Holz­bau im Glas­man­tel

Im städtischen Umfeld ist Solararchitektur selten anzutreffen. Umso glanzvoller ist ihr Auftritt im Zentrum von Basel: Der Stadtkanton hat letzten Herbst einen neuen Verwaltungsstandort eröffnet, dessen schimmernde und funkelnde Hülle reichlich Energie erzeugt.

Publikationsdatum
24-02-2022

Die Referenz war selbstbewusst gewählt: Der «Ca’ d’Oro» ist ein venezianischer Palazzo aus dem 15. Jahrhundert, dessen golden verzierte Fassade sich dem Canal Grande zuwendet. Mit einem Projekt gleichen Namens entschied jessenvollenweider architektur vor wenigen Jahren einen Projektwettbewerb im Zentrum von Basel für sich. ­Merkmal des 2013 präsentierten Entwurfs war eine ornamentale Goldfassade.

Nun ist der neue Sitz des kantonalen Amts für Umwelt und Energie (AUE) an der Spiegelgasse 11/15, zwischen Marktplatz und Schifflände, eröffnet. Vom Goldglitzer blieb – wie an der verwitterten Fassade der mittelalterlichen Referenz – wenig übrig. Das Kleid des achtgeschossigen Bürogebäudes in Basel schimmert noch, aber im dunkleren Farbspektrum.

Auch die Bauherrschaft nahm die Aufgabe mit sichtlichem Stolz in Angriff: Gesucht war ein Leuchtturm für die 2000-Watt-Gesellschaft. Gemäss Ausschreibung sollte ein nachhaltiges Vorbild für die Klimaverträglichkeit entstehen. Der Anspruch an die Architektur war, ein beispielhaftes Muster für die hohen Ambitionen zu entwickeln.

Unter Schonung von Ressourcen oder einer ökologischen Konstruktionsweise lässt sich viel verstehen; eines jedoch sticht – an dieser prominenten Passantenlage – unvermittelt ins Auge: Der Ersatzneubau trägt hinter den Glasfassaden ein detailreiches Photovoltaikmosaik zur Schau, das rundum emissionsfreien Strom erzeugt.

Neben den nachhaltigen Vorgaben beeinflussten städtebauliche Ansprüche den gestalterischen Spielraum massgeblich. Der Standort ist eine innerstädtische Baulücke mit geschützten Bauten in der Nachbarschaft.

Kein klassischer Holz-Beton-Hybrid

Das Gebäude selbst ist ein Hybrid aus Holz und Beton und steht auf einem massiven Untergeschoss. Die Struktur darüber weicht von der üblichen Mischbauweise ab: Anstatt die Kräfte in einem Betonkern zu bündeln, wird hier die Tragstruktur auf viele schmächtige Raumstützen verteilt. Letztere sind 30 cm × 50 cm gross und halten jeweils einen Abstand von 4.5 m bis 5.3 m zuein­ander. Die meisten sind verleimte Brettschichtelemente aus Fichte und Weisstanne. An hochbelasteten Stellen enthält der Stützenkern robusteres Buchenholz.

In Basel sind die Anforderungen an die Erdbebensicherheit höher als in der übrigen Deutschschweiz: Gekreuzte Stahlbänder steifen das Holzskelett aus, im Fachwerkverbund mit den Stützen und den Holz-Beton-­Decken. Im Gegensatz zu anderen Holzbauten übernimmt der Erschliessungskern keine tragende Funk­tion. Treppenhaus und Lift sind dennoch grosszügig dimensioniert und von oben belichtet. Konstruktiv wurde das Nötigste umgesetzt: Die vertikale Führungsschiene ist jeweils an der Deckenschicht fixiert.

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Das Gebäude wuchs geschossweise in die Höhe: Auf die vertikalen Stützen wurden jeweils horizontale Haupt- und Nebenträger aus Holz gelegt. Die Freiräume dazwischen füllen vorgefertigte Betonelemente aus; die Fläche darüber ist mit Beton ausgegossen. Dass die hybriden Decken nur 22 cm dünn sind, zeigt die hohe Effizienz bei der Materialisierung. Auch die Wahl der Baustoffe reduziert den ökologischen Fussabdruck: Sehr viel Nadelholz stammt aus nahen Jurawäldern. Die mineralische Hauptzutat ist Recyclingbeton. Auch bauphysikalisch vereinfacht die Kombination von Holz und Beton einiges: Massive Bauteile erhöhen das interne Wärmespeichervermögen und helfen mit, die Arbeitsräume im Sommer passiv zu kühlen.

Die 2.5 m hohen Innenräume bleiben der sparsamen Materialisierung treu. «Rohbau gleich Ausbau» nennt Sven Kowalewsky, zuständiger Architekt bei jessenvollenweider architektur, das Gestaltungsziel für die Wandoberflächen und Decken: Das Nadelholz ist sichtbar; seine helle Farbe prägt das Kundencenter im Parterre und ebenso Büroräume, Treppenhaus und ­Cafe­teria darüber. Die Decken sind frei von jeglichen Installationen, mit Ausnahme der Notfallleuchten. In Streifen angeordnete Filzmatten dämpfen die Schall­übertragung in den Grossraumbüros.

Passend zum zurückhaltenden Ausbaucharakter sind die Betonböden lediglich geschliffen und versiegelt. Auch die Glasbausteine, die den 25 m hohen Liftturm einhausen, veranschaulichen das rohe, aber durchaus edel wirkende Materialisierungskonzept.

Low- und Hightech kombiniert

Im Ersatzneubau trifft Lowtech auf Hightech. Den ­technoiden Kontrast zum materialgetreuen Innenleben liefern die PV-Fassaden. Die vier nicht durchwegs ­ein­sehbaren Gebäudeseiten sind mit Solarmodulen ­ver­sehen. Abhängig von Tageslicht und Blickwinkel verändern sich deren Schimmer und Glanz. Dank unregelmässigen Farbpunkten und einem Kachelrelief variiert der solare Ausdruck. Das Design entwarfen die Architekten; der PV-Hersteller steuerte eigenes Entwicklung-Know-how bei.

Weil die randlosen Glaselemente stumpf gestossen sind, strukturieren sie die Fassaden auch dort, wo keine Fenster eingebaut sind. Die Vielfalt der Grössen beschränkt sich auf ein Dutzend Hoch- und Querformate. Einheitlich ist dagegen der Aufbau: Gehärtetes Schmelzglas schützt die monokristallinen Zellen vor Hagel und garstigem Wetter; Glas auch auf der Rückseite verbessert die Dauerhaftigkeit und die Ökobilanz.

Gemäss den Planungsprognosen tragen alle vier Solarfassaden trotz der standortbedingten Beschattung das ihre dazu bei, den Gebäudebetrieb ausreichend mit eigener Solarenergie zu versorgen. Gesamthaft soll die PV-Anlage zwischen 45 000 und 50 000 kWh pro Jahr erzeugen.

Sparsamer Umgang mit Energie

Einige konstruktive Details helfen mit, die Energieeffizienz am Gebäude zu steigern. Neben der Dämmung hilft insbesondere die spezielle Machart der Fenster, den Wärmeabfluss zu konditionieren. Die Verglasung ist in zwei Schichten getrennt, in eine äussere Aufprallschicht und die inwendige Dreifachverglasung. Dazwischen befindet sich der vor Witterung und Wind gut geschützte textile Sonnenschutz. Im hermetisch abgedichteten Zwischenraum wird mechanisch zudem ein konstanter Überdruck erzeugt. Deshalb bieten solche «Closed Cavity»-Fensterbauteile einen hochwertigen thermischen, akustischen und hygrischen Schutz des Innenraums.

Automatisch oder von Hand steuerbare Fensterflügel ergänzen bei Bedarf die Raumklimatisierung; im Sommer ermöglichen sie eine freie Nachtauskühlung für das gesamte Bürogebäude: Die warme Luft kann über das Treppenhaus nach oben abziehen und über das Dach ausströmen.

Die öffentliche Bauherrschaft ist eine schweiz­weite 2000-Watt-Vorreiterin. Als erste Pilot­region packte der Kanton Basel-Stadt die Umsetzung dieser Leitidee an. Der AUE-Ersatzneubau soll als «Anschauungsobjekt» andere zum nachhaltigen Bauen motivieren. Neben dem «urbanen Sonnenkleid» werden dafür weitere ökologisch erforderliche Zusatzleistungen realisiert: eine fossilarme Versorgung mit Fernwärme aus der Kehrichtverbrennung, die Nutzung von Regenwasser für sanitäre Einrichtungen sowie ein Verzicht auf eigene Parkflächen im Untergrund. Die Dienstfahrzeuge sind im benachbarten Parkhaus untergebracht.

Auf den Punkt gebracht: Die Solarfassaden des AUE-Ersatzneubaus sind eine Eigenkreation, die zeigen, wie viel Einfluss die Architektur auf den Gestaltungsprozess nehmen kann.

Bewährungsprobe steht noch bevor

Zwar musste am AUE-Standort in die Tiefe gegraben werden. Doch das Untergeschoss ist für Grauwassertanks und Veloabstellplätze – inklusive Garderobe und Dusche für die Pendler – reserviert. Im Keller zu besichtigen ist zudem eine bauhistorische Überraschung, die den Abbruch der vormaligen Überbauung zeitlich verzögerte. Beim Aushub entdeckten Bauarbeiter mächtige Steinquader, die gemäss einer archäologischen Analyse das Fundament eines Basler Stadthauses aus dem 12. oder 13. Jahrhundert bildeten. Die Kundschaft des Umweltamts darf das freigelegte Fragment als Zeugnis der Basler Stadtgeschichte jederzeit besichtigen.

Lässt sich der junge «Ca’ d’Oro» diesbezüglich auch schon einordnen? Ein Palast ist das stolze Stadthaus, trotz einiger Eleganz und hohem Komfort, wohl nicht geworden. Seine Ornamentik weckt durchaus die Erwartung, die Solararchitektur auch als urbanes Stilmittel zu verstehen. Aber eigentlich steht die ökologische Bewährungsprobe noch bevor: Als Modell für ein klimaverträglicheres Bauen programmiert sind die Praxistauglichkeit und der ökologische Fussabdruck eingehend zu überprüfen. Seit Eröffnung sammeln unzählige Sensoren nun dazu die Betriebsdaten.

Die Fachhochschule Nordwestschweiz soll in einem wissenschaftlichen Begleitprogramm die wesentlichen Fragen beantworten: Kann der Basler Goldpalast mindestens so viel Energie erzeugen, wie er selbst verbraucht? Und gelingt es – mithilfe der Überschüsse vor Ort – sogar, die Menge aller bei Bau und Betrieb verursachten grauen Treibhausgasemissionen bis zum Ablauf des ersten Lebenszyklus in etwa 30 Jahren zu neutralisieren? Wie der Beitrag auf der nächsten Seite zeigt, beginnt sich der PV-Markt tatsächlich dafür zu interessieren.

Neubau Amt für Umwelt und Energie (AUE), Kanton Basel-Stadt

 

Am Bau Beteiligte
Eigentümer
Einwohnergemeinde der Stadt Basel

 

Nutzer
Amt für Umwelt und Energie Kanton Basel-Stadt

 

Architektur/Generalplanung
jessenvollenweider architektur, Basel

 

Baumanagement
b + p Baurealisation, ­Zürich / Basel

 

Holzbau und Tragwerk
SJB.Kempter Fitze, ­Frauenfeld TG

 

HLK, Energie / Nachhaltigkeit
Waldhauser + Hermann, Münchenstein BL

 

Planung und Ausführung PV-Fassade
BE Netz Luzern

 

PV-Module
Megasol, Deitingen SO

 

Nutzung
Verwaltungsgebäude: 74 Arbeitsplätze, Cafeteria und Kundencenter

 

Wettbewerb
2013

 

Projektierung
2014 – 2016

 

Bauzeit
August 2019 – Oktober 2021

 

Baukosten
18.31 Mio. Fr.

 

Kennzahlen
Energiebezugsfläche
2100 m2

 

Gebäudevolumen (SIA 416)
8038 m3

 

Fassadenfläche
1641 m2

 

PV-Fläche
1141 m2

 

Ertrag Photovoltaik
ca. 45 000 kWh

 

Energiestandard
Minergie-A-Eco

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