Schu­le mit Weit­blick

Die Sonderschule Bernrain liegt idyllisch am Stadtrand von Kreuzlingen. Im Umbau von Architektur Studio Roth verschmelzen Alt und Neu zu einem Ganzen. Umgeben von hellen Unterrichtsräumen ergänzt eine neue Treppenhalle das pädagogische Konzept der Institution.

Publikationsdatum
23-04-2020

Die Schule Bernrain liegt auf einer Anhöhe inmitten von Obstbaumplantagen und Einfamilienhäusern im Südwesten von Kreuzlingen. Zwischen einigen der Häuser zeichnet sich der blaugraue Horizont des Bodensees ab. Man kann sich gut vorstellen, wie malerisch die Gegend war, als Jakob Wehrli, ein Anhänger Pestalozzis, die Schule im Jahr 1843 als «Landwirtschaftliche Armenanstalt» für Knaben gründete.

Im Lauf der vergangenen 175 Jahre entwickelte sich die Institution zur heutigen Internatsschule Bernrain, die im offenen Austausch mit ihrer Umgebung steht. Ihr Ziel ist es noch immer, Schüler und Schülerinnen mit herausforderndem Verhalten, Lernblockaden und fehlender Orientierung auf ihren Weg zu helfen, auch wenn die Methoden heute zum Glück andere sind als damals.

Die Umgebung hat sich ebenfalls verändert – anders als zu ihrer Gründungszeit ist die Schule mit der Stadt verwachsen. Das erhaltenswerte Ensemble vereint vier Bauten aus unterschiedlichen Zeiten: Das Haupthaus mit Unterkünften und Verwaltung steht entlang der Strasse Richtung Frauenfeld und spannt auf seiner Rückseite mit Turnhalle, Schulhaus und Landwirtschaftsgebäude einen geschützten L-förmigen Platz auf.

Veränderungen stehen an

Als die Schulleitung vor einigen Jahren feststellte, dass die Anlage und besonders die vier Klassenzimmer für den Betrieb nicht mehr ausreichten und unfunktional waren, schrieb sie einen selektiven Wettbewerb für die Umgestaltung von Schule und Turnhalle aus. Bea Maria Roth von Architektur Studio Roth brachte die Bauten von 2016 bis 2019 energetisch, statisch und brandschutztechnisch auf einen zeitgemässen Stand und modernisierte Innenräume und Fassaden.

Eine ausführlichere Version dieses Artikels finden Sie in TEC21 11/2020 «Schulen in neuem Kleid».

Die im Untergeschoss der Turnhalle liegenden Werkstätten sind nun natürlich belichtet. Eine Stufenreihe aus Beton, die sich entlang der Hallenfassade über den Sockel spannte und so Teil des Pausenplatzes war, wurde entfernt. Durch diese Massnahme konnte man am Sockel Fenster anbringen, durch die Licht ins Souterrain gelangt.

Das Raumangebot des Schulhausbaus wurde um einige Gruppenräume, eine Bibliothek und einen Fitnessraum erweitert. Die Architektin zielte mit ihrem Entwurf nicht wie andere Wettbewerbsteilnehmer auf eine komplette Transformation oder gar einen Neubau, sondern stimmte den Schulhausumbau integrativ auf die Innenräume des alten Riegelhauses ab. Darüber hinaus kombinierte sie die Instandsetzungsmassnahmen mit wenigen gezielten Neuerungen, wie den grossen Fensterfronten oder der Treppenhalle.

Die Veränderungen sind zwar auf Vorher-Nachher-Fotos der Räume unmittelbar zu erkennen, aber bei einem Spaziergang durch das Haus hat man den Eindruck, dass Alt und Neu nahezu nahtlos ineinander übergehen. Insgesamt wirken die Räume leichter, offener, aufgeräumter und gleichzeitig solider als vorher.

Ein neues Augenpaar ins Grüne

An der Rückseite des Schulhaus befinden sich zwei identische, scheunenartige alte Holzanbauten, die eine zent­rale Rolle bei der Raumerweiterung spielen. Die alten, etwas lottrigen «Zwillinge» stachen der Architektin von Anfang an ins Auge. «Sie haben etwas Anekdotisches, man kommt fast nicht darum herum, sich eine Geschichte dazu auszudenken. Darum wusste ich sofort, dass ich etwas damit machen wollte», erzählt sie. Seit dem Umbau beherbergen die Scheunen einen Teil jener Räume, die der Treppenhalle weichen mussten.

Im ersten Stock prangt gartenseitig auf jedem der Häuschen ein rundes Fenster. Die Detailarbeiten an diesen Fenstern waren arbeitsintensiv: Zwischen der inneren Fassadenschicht mit dem runden Fenster und der äus­seren, ebenfalls rund ausgesparten liegt ein Sonnenschutz. Der Zwischenraum musste entwässert werden: Eine der Fensterrundung folgende Regenrinne führt im Fassadeninnern auf die Schiene, an der das Schiebefenster des unteren Klassenzimmers befestigt ist.

Von dem kleinen Hügel gegenüber aus erscheinen die Fenster mit dem äusseren Ring wie ein kullerndes Augenpaar und verleihen der Anlage ein verspieltes Wiedererkennungsmerkmal.

Dem Betrieb auf den Puls fühlen

Die enge Stiege auf der Westseite wurde durch eine Halle mit  Treppe und Galerie ersetzt. Dieser Ort ist mehr als eine Erschliessung. Das neue Herzstück des Baus – wie die Architektin den Raum nennt – dient als Garderobe, dem Aufenthalt, der Kommunikation und dem Spiel. Lehrerinnen und Lehrer stehen im Gespräch auf der Galerie, Kinder eilen die Stufen hinunter nach draussen auf den Pausenplatz, und andere drücken ihre Nase ans Glasfenster der Klassenzimmertür, um zu sehen, was dahinter geschieht. 

Die Halle ist von verschiedenen Seiten belichtet: Wo zuletzt Bambus zwischen den beiden Scheunen wucherte, liegt heute ein neuer Gruppenraum. Nicht nur seine Fassadenfront, sondern auch seine Längsseite gegen die Treppe ist verglast. Die Schulzimmer, die im hinteren Bereich des Hauses der Halle weichen mussten, befinden sich nun mit grosszügigen Nebenzimmern im Erdgeschoss und im ersten Stock der beiden An­bauten.

Ein schönes Detail: Die Ziegel der bei­den Zwillingsbauten sind zu drei Viertel alt, nur die restlichen, wohl defekten wurden ersetzt. Das diskret gesprenkelte Oberflächenbild zeugt vom umsichtigen Umgang mit der Altbausubstanz.

Die hellen Räume mit ihren Durchblicken entsprechen dem Unterrichtskonzept, das auf Anschaulichkeit, Handlungsorientierung und einem animierenden Klima beruht. Zu Beginn waren Lehrerschaft und Schulleitung etwas skeptisch: Man befürchtete, die Kinder könnten abgelenkt werden. Doch während der Visite der Schulstunde sitzen alle konzentriert an ihren Tischen, und die Schulleitung ist der Ansicht, dass die Offenheit ­positive Synergien freisetze. Eine kleine Treppe führt ins Dachgeschoss, in dem sich neue Arbeitsplätze für An­gestellte und eine kleine Bibliothek befinden.

Die äusseren Holzteile sind in einem Ton gestrichen, der je nach Lichteinfall grau, grünlich oder sogar bläulich wirkt. Auf dem Platz vor dem Eingang, entlang der Fassade, verbindet ein arkadenartiges Vordach mit Sitzbänken die Schule mit der Turnhalle. Dieses Element bietet Gelegenheit zum Pausenspiel bei schlechterem Wetter.

Die Arkade und sämtliche Eingriffe im Innern und Äusseren des Schulhaus und der Turnhalle fassen das ehemals heterogene Bild der Anlage zu einer funktionalen und optischen Einheit zusammen. Darüber hinaus befindet sich hinter dem Haus noch immer die grosszügige Grünanlage – in anderen Projektvorschlägen hätte sie einem Neubau weichen müssen.

Artikel aus früheren Heften und exklusive Online-Beiträge in unserem E-Dossier «Holz».

Am Bau Beteiligte

Bauherrschaft
Verein Bernrain-Brunegg, Kreuzlingen

Architektur
Architektur Studio Roth, Zürich

Holzbau
Raschle Holzbau, Kreuzlingen

Elektroplanung
Beerli, Frauenfeld

Tragstruktur
Planimpuls, Kreuzlingen

Heizung, Lüftung, Klima
Novus Engineering, Frauenfeld

Bauphysik
Weber Energie und Bauphysik, Bern und Schaffhausen

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