Nur ein biss­chen Ar­chi­tek­tur

Um den untergenutzten Kirchen der Reformierten Gemeinde der Stadt Zürich wieder Anziehungskraft zu verleihen, reichen aus baulicher Sicht zarte Eingriffe – viel wichtiger aber sind neue Inhalte.

Publikationsdatum
28-03-2023

Verborgen hinter dicken Mauern bewahrt die Stadt Zürich ein grosses Kapital: Platz! 47 Kirchen ihrer reformierten evangelischen Gemeinde verteilen sich über das Stadtgebiet. Und längst nicht alle davon werden noch für Gottesdienste gebraucht. Anlass genug für die Architekturstudierenden der Lehrstühle Silke Langenberg und Adam Caruso an der ETH Zürich, den Bestand unter die Lupe zu nehmen und Vorschläge für eine Wiedereinbindung in das urbane Treiben zu entwickeln. Während die innerstädtischen Kirchen bereits soziale und niederschwellige Programme anbieten, schlummert gerade in den Randbezirken, wo es häufig an zentralen öffentlichen Räumen fehlt, noch Potenzial.

Ein E-Paper mit einer Zusammenstellung der über 40 reformierten Kirchen im Kanton Zürich finden Sie hier.

Eine eigens zusammengestellte Broschüre erlaubt einen Überblick zur jeweiligen Lage und den Bautypologien des kirchlichen Portfolios. Die Vielfalt in Gestaltung und Konstruktion bei gleichbleibender Symbolik, die den Lesenden hier vor Augen geführt wird, ist beeindruckend. Was aber tun mit diesen prachtvollen Räumen, die inmitten der Stadtgesellschaft und doch nur selten zugänglich sind? Der Luxus einer zumeist brachliegenden Immobilie, die andererseits den vollen Unterhalt für sich beanspruchen muss, passt nicht recht zu den Maximen eines Zwinglis.

Akzeptiert und bewährt...

Sieben Studierende haben sich im Rahmen ihrer Diplomarbeiten mit einzelnen Kirchen auseinandergesetzt und ihre Thesen öffentlich in der Kirche St. Peter ausgestellt. Die Arbeiten der Studierenden waren durch das schlecht sichtbare Planmaterial nur dürftig nachzuvollziehen. Der Schwerpunkt lag eindeutig bei der Darlegung der Standpunkte und der abstrakten Diskussion um Öffnungen der Stadt und der Kirche aufeinander zu. Die zahlreich erschienenen Gemeindemitglieder belegten das grosse öffentliche Interesse.

Im Vorfeld der Podiumsdiskussion appellierte Adam Caruso daran, Kirchen – auch unter dem Druck der dichter werdenden Städte – nicht als finanzielle Trümpfe, sondern vielmehr als gesellschaftlich und historisch bedeutende Orte einzustufen. Ihre grosse Qualität, den gestaltbaren leeren Raum, gelte es zu erhalten. Die Erkenntnis, dass dafür keine grossen Eingriffe, sondern vielmehr neue Partnerschaften nötig sind, war die Ausgangssituation für die Entwurfsarbeiten der Studierenden.

In diesem Sinne ist die Idee von Eric Wuite für die Kirche Enge ein interessanter Ansatz: Er schlägt vor, die benachbarte Jüdische Liberale Gemeinde einzuladen, die Kirche für ihre Gottesdienste als Synagoge zu benutzen. Die Ausrichtung der Gemeinde gen Jerusalem ist unkompliziert möglich durch das Umklappen der Bänke, die christlich traditionell gen Osten gerichtet sind. Ein grosser Vorhang, der das Schiff teilt, stärkt nicht nur die sakrale Atmosphäre, sondern verkleinert den Raum bei Gottesdiensten mit einer geringen Besucherschar. Parallele Raumnutzungen sind ebenfalls ohne grosse Umbauten möglich.

Weitere Entwürfe widmen sich der würdigen Unterbringung von Obdachlosen oder einer stärkenden Verbindung mit benachbarten profanen Bauten wie einem Schulhaus. Dies alles sind Allianzen, die anerkannt und teils schon in der Umsetzung sind.

...oder revolutionär

Unter den Referierenden stach der Pfarrer Roland Diethelm hervor. Mehr als die Vertretenden der Stadt und auch als die Studierenden forderte er einen mutigen Schritt in die Mitte der Bedürftigen. Bisher sind Kirchennutzungen, die das traditionelle Abhalten von Gottesdiensten nicht stören, bereits möglich. Er plädiert aber auch für Ideen, die dem Gottesdienst entgegenstehen und ihn aus einzelnen der 47 Bauten verdrängen. Eine Öffnung von Kirchenräumen rund um die Uhr lasse Probleme erwarten. Das dürfe aber kein Grund sein, es nicht zu versuchen. Dabei betonte er die Bedeutung der transzendentalen Qualität der Kirchenräume, die es nicht zu beheben, sondern zu pflegen gelte. Mit einer Neudefinition von «Kirche» könne das jenseits von religiös gebundenen Nutzungen gelingen.

Auf der Suche nach spirituellen Räumen, die die nächste Generation für sich entdeckt, spielen Industrieareale und Aussenräume eine Rolle. Wie in althergebrachten Traditionen stellen Licht und Musik die Verbindung zu transzendenten Gedankenräumen her. Ein Nachdenken über derartige Zusammenhänge könnte zu neuen Inhalten für Kirchen führen.  

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