Mil­li­me­ter trifft Zen­ti­me­ter

Vorfertigung auf neuem Niveau

Mit ihrem neuen Verwaltungs- und Besucherzentrum haben die Illwerke Österreichs grössten Holzbau errichtet. Architekt Hermann Kaufmann und Ingenieur Konrad Merz fanden die Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Ausdruck, zwischen Beton, Holz und Stahl.

Publikationsdatum
18-12-2014
Revision
18-10-2015

Für seine Preziosen aus Holz ist Vorarlberg berühmt. Die Basis dieser Tradition bilden klug bewirtschaftete Wälder, ein lebendiges Handwerk und die hohe Wertschätzung von Architekten und Fachplanern. Man nutzt die Ressourcen, die in der Region vorhanden sind – was sich ebenso auf das Material bezieht wie auf die Fertigkeiten und das Wissen der beteiligten Akteure.

Dennoch gibt es auch dort Grenzen für den Holzbau, die sich beim Hochhaus und bei gewerblich genutzten Bauten manifestieren. Wegen der verschärften Vorgaben zum Brandschutz muss eine Konstruktion aus Holz in der Regel verkleidet werden, und das Material ist im Vergleich zu Massiv- oder Stahlbauten wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig. Zudem verfügen die Zimmereien der Region nicht über die erforderlichen Kapazitäten, um Bauten ab einer gewissen Grösse allein zu fertigen.

Aus dem System heraus entwickelt

Architekt Hermann Kaufmann und Ingenieur Konrad Merz traten an, um die Grenzen für den Einsatz des Materials auszuweiten. Als langjährige Holzbaupioniere wissen sie um die Probleme in höheren An­forde­rungs­klassen. Zusammen mit dem Vorarlberger Unternehmen Rhomberg Bau entwickelten sie deshalb 2009 das LCT-Bausystem.

Es ermöglicht einen einfachen, modularen Holzbau, der selbst über die Hochhausgrenze hinaus nicht verkleidet werden muss. Das Grund­modul der Konstruktion bildet ein hybrides Rippen­deckenelement aus Holz und Beton, das die Planung vereinfacht und dank seinen Nach­weisen zum Brandschutz (REI 90) vom Einzelattest befreit ist.

Zudem können die Zimmereien mittels Vorfertigung grössere Aufträge bewältigen, denn der Verbund von Holz und Beton findet im witterungs­geschützten Elementwerk der ­Betonindustrie statt. Die Holzbetriebe liefern für eine Deckenplatte lediglich vier Brettschicht­holzträger (280 mm × 240 mm), die – in eine Stahlschalung eingelegt – einen Überbeton (80 mm) erhalten. Auch die Stirnseite der Platte ist in Beton ausgeführt, um Brandüberschlag und Druck quer zum Holz zu verhindern.

Das neue Illwerkezentrum Montafon (IZM) ist die erste Umsetzung des LCT-Systems in direkter ­Konkurrenz zu anderen Bauweisen. In einem geladenen Wettbewerb unter 13 Büros aus Deutschland, Österreich und der Schweiz setzte sich das Architekturbüro Hermann Kaufmann aus Schwarzach mit einem rund 120 m langen Gebäude durch – wiederum in Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Merz Kley Partner, das Büros in Dornbirn und Altenrhein betreibt.

Für den Architekten stand von Anfang an fest, dass er seinen Entwurf auf das System mit der Hybriddecke ausrichten wollte. Doch wie kann aus einem einzelnen Baustein eine ansprechende Architektur entstehen? Welche räumliche Qualität kann eine Bauweise bieten, die zwar effizient in der Fläche ist, aber nur schlecht mit Auskragungen operieren kann, da die Anschlüsse gelenkig ausgelegt sind  

Zusammen mit der Vorgabe, dass alle Arbeitsplätze über vergleichbare Bedingungen und Lichtverhältnisse verfügen sollten – wodurch auch die Gebäudetiefe weitgehend definiert war –, stand das Büro Kaufmann vor einer schwierigen Aufgabe: Die Form war in den grösstenteils durch das Modul und die Rahmenbedingungen bestimmt, ebenso die Ausrichtung mit den Hauptfassaden Richtung West und Ost. Auf dem Perimeter neben dem Ausgleichsbecken in Vandans war jedoch kein Platz für das lange Gebäude: Das Haus musste auf das Wasser ausweichen, an dessen Ufer es liegen sollte.

Und so steht der lange Holzbau nun auf rund einem Viertel seiner Länge im künstlichen See, den die Illwerke seit 1943 für den Wasserausgleich betreiben. Der fünf­geschossige Riegel rückt in die Nähe der westlich gelegenen Kraftwerksanlage Rodund und hält einen grosszügigen Grünraum frei, der den Blick auf die gesamte Längsfassade ermöglicht.

Struktur bildet den Raum

Bis zur Decke über dem Erdgeschoss sind die erd- und wasserberührten Bauteile des IZM in Ortbeton erstellt. Um das Plattenfundament auf dem Seeufer zu erstellen, mussten die Baustelle mit einem Damm zwischen zwei Spundwänden vom Becken abgetrennt und die Baugrube trockengelegt werden. Der mit Lehm abgedichtete Beckenboden wurde nach dessen Entfernung sorgfältig wieder verschlossen. Das Erdgeschoss beherbergt entsprechend der Tragfähigkeit des Betons die Räume mit den grössten Spannweiten: den Empfang, die auf drei Seiten offene Mensa mit der Küche und einen Vortragssaal. Zusammen mit der Treppe, die zu den Seminarräumen im 1. Obergeschoss führt, bietet die Eingangshalle einen grosszügigen zweigeschossigen Raum.

Ebenfalls aus Beton sind die beiden Treppentürme ausgeführt, an denen in jedem Geschoss eine 8 m tiefe Plattform angehängt ist. Sie stabilisieren die Konstruktion und sorgen für ausreichend Fluchtwege im 120 m langen Bau. An die Türme sind die vier Geschosse in Holzbauweise wie ein Segel angehängt und die Decken­elemente an den Plattformen verankert. Um die ­Zugkräfte aufzunehmen, wurden je nach Belastung ­zwischen zwei bis vier Zugstangen in die Rippenverbundplatten eingegossen. Ein Schloss verbindet die Elemente unter­einander; so werden die Zugkräfte in den Stahlbeton der Treppentürme eingeleitet.

In diesen vier Geschossen, wo die Abteilungen der Illwerke ihre Büros haben, dominiert also der Holzbau. Im Rohbau wurden die rund 10 000 m2 Nutzfläche in nur sechs Wochen erstellt – eine Zahl, die illustriert, wie leistungsfähig das System und die Vorfertigung sind. Das Besondere daran: Das Tragwerk des Rohbaus wird zum bestimmenden Element im fertigen Büro. Hier spielt es seine Stärken aus, denn das Holz wird nicht mit Gipsplatten ummantelt.

Für den Endausbau wurde ein Hohlkastenboden auf die rohe Decke des Elements eingebaut. Zwischen die Rippen des Deckenelements kam hinter Schallschutzblechen die Verteilung der Haustechnik zu liegen. Die Hauptleitungen verlaufen über einer herabgehängten Decke in einer zentralen Zone. Die Bleche wurden hauchdünn mit Farbe bespritzt, gerade genug, um die störenden Löcher abzudecken, aber immer noch so dünn, dass deren akustische Wirksamkeit beibehalten blieb.

Das Detail steht für die verschiedenen Ebenen, die im IZM zusammenkommen: Die Klarheit und Effizienz des Tragwerks trifft auf einen sorgfältigen handwerklichen Ausbau, der sich den Rhythmus und die Strukturen des Systems zunutze macht. Genau in dieser Balance zwischen rationaler Bauweise und passgenauem Ausbau liegt der Reiz des IZM – und das Potenzial von Holzbauten in diesen Dimensionen.

Den Widerspruch überwinden

Das klassische Bausystem aus Stützen und Platten ist die Domäne des Betons. Das IZM dringt als Holzbau darin ein und vereint, was im ersten Moment unvereinbar erscheint. Das Bausystem ist wirtschaftlich, und es geht mit der Qualität eines individuell konstruierten Holzbaus einher.

Dazu mussten die Planer eine Lösung für die unterschiedlichen Toleranzen auf der Baustelle finden: Der Baumeister arbeitet vor Ort mit einer Genauigkeit von einem Zentimeter, der Zimmermann und der Stahlbauer im Bereich von Millimetern. Insbesondere im Bereich der Fassaden kommt dies zum Tragen, denn dort werden die Elemente gestapelt: Auf den Holzstützen liegt die Deckenplatte, auf der wiederum die nächsten Holzstützen stehen. Der Betonüberzug der vorgefertigten Elemente aus dem Werk weist Toleranzen auf, die auf der Baustelle ausgeglichen werden müssen.

Die Lösung, diese Massgenauigkeiten auf einen Nenner zu bringen, liegt im Deckenelement: In jeder Ecke durchdringt ein Hüllwellrohr (80 mm) den betonierten Stirnbereich der Platte von oben nach unten. Auf der Stütze, in die ein Metallstab mit einer Bohrung eingelassen ist, liegt die Betonstirn auf. Die nächste Stütze weist an ihrem Fuss einen konisch zulaufenden Dorn auf, der genau in die Bohrung des Stahlrohrs passt. Dank diesem Detail lässt sich die Präzi­sion des Holz- und Stahlbaus über die fünf Geschosse aufrechterhalten. Rund um den Dorn bleibt eine Fuge, die mit Mörtel vergossen wird. Mit einfachen Mitteln werden die unterschiedlichen Toleranzen ausgeglichen.

Quantensprung in der Grösse

Das Büro Kaufmann baut schon seit Langem im Passiv­hausstandard, so auch das IZM. Dieses nutzt zudem konsequent die Abwärme der nahe gelegenen Stromgeneratoren: Ein 450 m3 grosses Becken mit Wasser von 12 bis 18 °C steht das ganze Jahr über zur Verfügung. Alle Elektromotoren der Gebäudetechnik laufen mit Gleichstrom ohne Umwandlungsverluste, im ganzen Haus erstrahlen durchgehend LED-Leuchten. Und  dass bei den Illwerken – wenig erstaunlich – ausschliesslich Strom aus Wasserkraft zum Einsatz kommt, verbessert die Nachhaltigkeitsbilanz.

Dafür hat das IZM ein Green-Building-Zertifikat nach ÖGNI/DGNB in Gold erhalten; Dies belegt, dass neben bau­lichen und energetischen auch weitere Ziele bezüglich Ökologie, Ökonomie sowie soziokultureller, technischer und Prozessqualität verfolgt wurden. 

Hermann Kaufmann und Konrad Merz betreiben mit der Holz-Beton-Rippenverbunddecke Grund­lagenforschung für den Holzbau in dieser Grössen­ordnung. Die Idee ist zwar nicht neu, und es gibt vergleichbare Lösungen auf dem Markt, aber mit dem IZM ist eine beispielhafte Balance zwischen industriel­ler Vorfertigung und individuellem Ausbau gelungen. Ohne seine haptischen Qualitäten einzubüssen, bietet das Material ein leistungsfähiges Bausystem, das der Holzwirtschaft neue Einsatzgebiete eröffnet.

Landschaftsarchitektur: Keller Damm Roser


Weitere Informationen

Im Frühling 2015 erscheint bei Detail –- Institut für internationale Architekturdokumentation eine Monografie über das Illwerkezentrum Montafon.

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