Vor­den­ken statt Nach­den­ken

In den Niederlanden haben sich mehrere Architekturbüros auf das Bauen mit wiederverwendbarem Material spezialisiert. Der Hauptsitz der Triodos Bank, entworfen von RAU Architects, ist nach dem Prinzip Cradle to Cradle rückbaubar und mit jedem Einzelteil dokumentiert.

Publikationsdatum
04-06-2021

Die Idee des zirkulären Bauens ist gerade in den Niederlanden nicht neu, den jahrhundertealten Vorbildern begegnet man auf so gut wie jedem holländischen Polder: Windmühlen. Die Holzkonstrukte dienten ab dem 17. Jahrhundert dazu, Seen und Marschland trockenzulegen. Sie wurden als Baupakete geliefert und vor Ort montiert. Hatten sie ihren Zweck erfüllt, baute man sie ab und setzte sie andernorts wieder zusammen. Sie waren also ein höchst bewegliches Sachgut.

Ähnlich ist der neue Hauptsitz der Triodos Bank konzipiert, entworfen vom Architekturbüro RAU aus Amsterdam. Der Bau besteht aus trocken gefügtem Holz, Stahl und Glas – zusammengehalten von exakt 165 312 Schrauben – und ist komplett demontabel. Alle verwendeten Einzelteile sind in der Madaster-Datenbank erfasst und ohne Wertverlust wiederverwendbar.

Gute Lage und Gegenwind

Dass ausgerechnet die Triodos Bank ein solches Gebäude in Auftrag gegeben hat, ist nicht verwunderlich, gilt sie doch als nachhaltigstes niederländisches Kreditinstitut. Die Einlagen der Kunden verwendet die Bank, die auch Niederlassungen in Belgien, Deutschland, Frankreich, Spanien, und Grossbritannien hat, ausschliesslich zur Finanzierung ökologisch, sozial oder kulturell wertvoller Projekte.

Gegründet wurde sie 1980 bei einer Veranstaltung in der Villa De Reehorst, einem Landsitz in der Nähe des Städtchens Zeist. 2015 fiel die alte Villa einem Brand zum Opfer, aber das umliegende Landgut existiert noch und ist Teil der «ökologischen Hauptstruktur» eines Netzwerks von Naturschutzgebieten. Als die Stiftung 2015 dringend Geld brauchte, wandte sie sich an die Triodos Bank mit der Frage, ob sie dort nicht ihren neuen Hauptsitz errichten wolle.

Mehr zum Thema finden Sie in unserem digitalen Dossier «Kreislaufwirtschaft»

Zu der Zeit suchte Triodos schon eine Weile nach einem neuen Unterkommen. Am liebsten wollte die Bank ein bestehendes Gebäude beziehen, aber keines erfüllte ihre Wünsche. Vor allem die Erreichbarkeit spielte eine grosse Rolle, denn die Mitarbeitenden einer nachhaltigen Bank sollen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu ihrem Arbeitsplatz gelangen.

Da der Bahnhof Driebergen-Zeist neben dem Landgut liegt, liess sich die Bank überzeugen. Es folgte ein langwieriger Planungsprozess mit Gegenwind, denn eine Umweltorganisation klagte gegen den Bau im Naturschutzgebiet. Letztlich bot die Bank an, das Landgut im Gegenzug um zwei Hektar zu erweitern. Sie agiert nun als Gutsverwalter und arbeitet an der Aufwertung des zuvor etwas vernachlässigten Geländes.

Den Standort des Neubaus bestimmten historische Sichtachsen und die Lage des Bahnhofs. Nun erheben sich am nördlichen Rand des Landguts drei rundliche Türme mit zwei, drei und fünf Geschossen aus einem Sockel. Die Türme fliessen wie Wassertropfen ineinander über und haben begrünte Dächer. Sie sind in eine Glasfassade aus 1280 Glaspaneelen gehüllt, gefasst in Extrusionsprofile aus Aluminium, die das Gebäude horizontal gliedern.

Tagesaktuelle Werte und BIM

Der Haupteingang ist zum gegenüberliegenden Bahnhof orientiert. Wer mit dem Fahrrad kommt, kann es in einer unterirdischen Garage parken. Autofahrer müssen einen fünfminütigen Fussweg vom Parkplatz zum Büro in Kauf nehmen. Ökologischen Mehrwert erhält der Parkplatz mittels 120 bidirektionaler Ladestationen und eines 3000 m2 grossen Dachs mit Sonnen­kollektoren, das mit Erdwärmetauschern den Strom für den Neubau produziert.

Beim Betreten des Bankgebäudes findet man sich in einem lichtdurchfluteten, öffentlich zugänglichen Foyer mit Restaurant und Rundumsicht in den Wald. In der Mitte des Raums ist das Haupttragwerk erkennbar: Es besteht aus gebogenen Spanten aus mehrschichtigem Massivholz, die in hölzerne Lamellendecken münden – der Raum wirkt, als stünde man unter einem überdimensionierten Pilz.

In dessen hölzernem Fuss sind Treppenhäuser, Liftschächte, Toiletten und Teeküchen untergebracht. Auch in den Bürogeschossen, wo sich flexi­ble Arbeitsplätze für 600 Mitarbeiter be­finden, bestimmen überall Holz und Glas das Bild. Gipskarton oder Tapeten sucht man vergeblich, denn es wurden kaum Blend­materialien verwendet.

Mit Ausnahme des betonierten Kellergeschosses, der Aluminiumprofile und des stählernen Ringbalkens, der die Glasfassaden trägt, besteht das Gebäude aus Holz, das mittels dreifacher Keilzinkenverbindungen und 25–50 cm langer Schrauben trocken gefügt wurde. Insgesamt sind 2632 m3 Holz verbaut, das grösstenteils aus Deutschland stammt.

Das alles weiss man haargenau, da alle Materialien dokumentiert und in der Madaster-Plattform registriert sind. Der Materialpass weist den Wert aller Einzelteile nach Demontage aus. Und zwar tagesaktuell, denn der Wert des Baus wird täglich auf Basis historischer und aktueller Börsendaten berechnet.

Nachhaltigkeit greifbar machen

Die Madaster-Plattform geht ebenfalls auf eine Initiative von RAU Architects zurück. Sie entstand aus der Erkenntnis, dass der Abriss eines Bürobaus etwa 200 000 Euro kostet und nur Schutt übrig bleibt, der in den Niederlanden meist als Füllmaterial unter Autobahnen landet. Gleichzeitig ist die Baubranche für 40 % des Materialverbrauchs in den Niederlanden verantwortlich. RAU Architects will Gebäude daher nicht mehr als Konsumprodukte, sondern als lebendige Materialbanken begreifen. Mit dem Pass werden Nachhaltigkeitsbehauptungen greif- und messbar.

Madaster
Madaster ist eine gemeinnützige, öffentliche Onlineplattform, die ressourcen­relevante Daten von Bauwerken inventari­siert, strukturiert und in Materialpässe fasst. Der Bausektor kann mit dem neuen Standard den Wandel zu kreislauffähigen Geschäftsmodellen gestalten. Mitglieder können die Daten nutzen, um Materialien wiederzuverwenden und in Designs zu ­investieren, die das Schliessen von Wertstoffkreisläufen fördern und Verschwendung von Ressourcen vermeiden.

Natürlich hat das auch einen Effekt auf den Entwurfsprozess, denn die Zirkularität muss von Anfang an berücksichtigt werden. Thomas Rau nennt das «vordenken statt nachdenken». Ist die Denkarbeit geleistet, geht der Bauprozess schnell, denn er ist vollständig standardisiert: Erst wurde der halb vertiefte Keller betoniert und dann der Kern gebaut, an dem die Geschossböden hängen.

Die Wände bestehen aus 200 mm dicken, kreuzweise verleimten Paneelen, die Bodenplatten aus 120–150 mm dickem laminiertem Fichtenholz. Die CLT-Ele­men­te wurden paarweise geliefert, vom Lkw an ihren Standort gehievt und dort verschraubt. Innerhalb von zwei Wochen war der Gebäudekern mit Treppenhäusern, Liftschächten und Nasszellen fertig.­

Nun steht die «Holzkathedrale», wie das Bankgebäude genannt wird, am Waldrand und harrt der Zukunft. Ob das Wiederverwendungspotenzial eines Tages genutzt wird, bleibt abzuwarten. Bis dahin hat die Triodos Bank einen zeichenhaften Firmensitz, der als rundlich-tropfenförmiges Bekenntnis zur Kreislaufwirtschaft gelesen werden kann.

Am Bau Beteiligte

 

Bauherrschaft: Triodos Bank, De Reehorst

 

Architektur: RAU Architects, Amsterdam

 

Statik, Massiv- und Holzbau: Aronson, Rotterdam und Luning, Arnhem

 

Kostenmanagement: BBN Adviseurs, Amsterdam

 

Inneneinrichtung: Ex Interiors, Nieuwegein

 

 

Facts & Figures

 

Nutzfläche: 12 994 m2

 

Volumen: 49 203 m3

 

Baujahr: 2019

 

Baukosten: nicht kommuniziert

Entstanden im Auftrag des Bundesamts für Umwelt sind bei espazium – Der Verlag für Baukultur folgende Sonderhefte zur Kreislaufwirtschaft erschienen:

 

Nr. 1/2021: «Zirkuläre Architektur: Bauten, Konzepte und Zukunftsstrategien»

Die Artikel dieser Ausgabe und weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem digitalen Dossier «Kreislaufwirtschaft».

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