Pan­zer­hal­le zer­legt

Im Bauprojekt «uptownBasel» wird 50 Jahre alter Stahl aus dem Rückbau einer Panzerhalle wiederverwendet. Was es für ein solches Projekt braucht: einen strukturell durchdachten Bestandsbau mit Standardprofilen, intelligente Rückbauprozesse, eine digitale Materialverwaltung – und vor allem ein koordiniertes Planungsteam.

Publikationsdatum
14-07-2025

Auf dem Schorenareal von Arlesheim entsteht derzeit «uptownBasel», ein inter­nationales Kompetenzzentrum für Industrie 4.0. Neben Industrieproduk­tion, Gesundheitswesen und Logistik zielt die Liegenschaft auf Dienstleister in Sachen Digitalisierung ab. So gibt es hier im Gebäude 1 den ersten kommerziell nutzbaren Quantencomputer-Hub der Schweiz. 

Seit Anfang der 1970er-Jahre stand auf dem Areal eine Halle mit eindrücklichen Dimensionen, in der bis 1995 Panzer und Geschütze eingelagert werden konnten. Das ursprünglich für militärische Zwecke errichtete Gebäude verfügte über ein robustes Untergeschoss in Stahlbetonbauweise, das für sehr hohe Lasten ausgelegt war. Darüber erhob sich eine imposante stützenfreie Halle aus Stahl, mit einem Grundriss von rund 130 m × 70 m und einer lichten Höhe von 16 m. 

Das Dachtragwerk wurde ausserhalb der Gebäudehülle durch drei Fachwerkträger mit einer Spannweite von 70 m quer zur Halle getragen. Sie waren in einem Achs­abstand von 32.4 m angeordnet, dazwischen lag ein System aus Sekundär- und Tertiärträgern (IPE 500 und IPE 300). Das Tragwerk des Stahldachs aus Trapez­blechen wurde in der Deckenebene und in den Gebäudeecken jeweils über Verbände ausgesteift. 

Obwohl der Zustand der Stahlstruktur erstaunlich gut war, erwies sich das Dach aus statischer Sicht als unterdimensioniert – es war lediglich für Nutzlasten unter 100 kg/m² ausgelegt. Die Diskrepanz zwischen konstruktiver Qualität und heutiger Nutzungsanforderung wurde zum Ausgangspunkt für ein richtungsweisendes Projekt.

Potenziale erkennen, sinnvoll nutzen

Der ursprüngliche Projektansatz verfolgte mehrere Ziele: Die Panzerhalle sollte zum Gebäude 8 umgebaut werden. Rund 35 % der bestehenden Struktur – vor allem die in der Halle eingezogene Zwischendecke – sollten rückgebaut und das Dachtragwerk ertüchtigt werden, um eine intensive Nutzung etwa als Dachgarten zu ermöglichen. Dabei war angedacht, die rückgebauten Profile für die Verstärkung des Bestands zu nutzen. Innerhalb der grossvolumigen Halle sollte in Zukunft eine mehrgeschossige Haus-im-Haus-Konstruktion erstellt werden. Zentral war von Beginn an der Anspruch, möglichst viele der vorhandenen Stahlprofile wiederzuverwenden.

Dieses planerische Gesamtkonzept wurde aber rasch verworfen. Eine detaillierte Bestandsaufnahme durch das Planungsteam – bestehend aus Fachleuten für Architektur, Tragwerksplanung und Arealentwicklung – ergab ein klares Bild: Die Tragkapazität der Gründung und der Betonkonstruktion des Untergeschosses war derart gross, dass dem bestehenden Untergeschoss mit üblichen und lokalen Ertüchtigungsmassnahmen eine zeitgemässe Vollnutzung aufgesetzt werden konnte, ohne das Fundament zu verstärken. 

Ausserdem zeigten die visuellen Inspektionen des Stahlbaus nur gering­fügige Korrosion, die Trägerprofile waren in sehr gutem Zustand, Festigkeitsprüfungen bestätigten die Material­qualität, und die Schraub- und Schweissverbindungen waren überwiegend intakt. Für die geplante intensive Dachnutzung wäre aber sicher eine Ertüchtigung des Dachtragwerks notwendig gewesen. Diese stand in einem ökonomisch und ökologisch ungünstigen Verhältnis zum Nutzen. Die Spannweiten von 70 m und die niedrige Auslegung für Auflasten machten eine Nachrüstung mit vertretbarem Aufwand unmöglich. So entschied man sich für einen Neubau.

Anstelle der Panzerhalle mit der Haus-in-Haus-­Konstruktion sollte ein neuer Stahlbetonbau auf dem originalen Untergeschoss entstehen, mit zwei Pavillons auf dem Dachgeschoss – konzipiert aus den rückgebauten Stahlprofilen. Also setzte sich das Planungsteam damit auseinander, den gesamten Stahlbau der Panzerhalle geordnet und intelligent rückzubauen, alle Bauteile direkt vor Ort einzulagern und für die Weiternutzung vorzubereiten. Die Elemente kommen bei drei Gebäuden von «uptownBasel» wieder zum Einsatz: beim Gebäude 8, beim Gebäude 2 und beim Gebäude 6.

➔ Mehr zum Thema in TEC21 14/2025, «Zweiter Einsatz für Stahl»

Planung wie beim Bau – nur rückwärts

Der Rückbau der Panzerhalle wurde in Etappen geplant – mit derselben Präzision wie bei einem Neubau mit seinen eigenen spezifischen Bauphasen. Die Gesamtstabilitäten mussten stets erhalten bleiben, Zwängungen vermieden und Kräfteverläufe temporär umverteilt werden. 

Anstelle eines destruktiven Abbruchs wurde der Rückbau als ingenieurtechnisch geführter Prozess realisiert. Diese Vorgehensweise ermöglichte es, die Stahlträger weitgehend unbeschädigt auszubauen. Viele dieser Bauteile wurden direkt für eine zweite Nutzung qualifiziert, katalogisiert und angeschrieben. Andere wurden hinsichtlich Korrosion und Deformation klassifiziert und vorerst eingelagert. 

Wesentlich ist in jedem Fall die Dokumentation: Jedes Bauteil wurde digital erfasst, mit einem QR-Code versehen und in einer Materialdatenbank abgelegt. Diese enthält Informationen zu Profilquerschnitt, Länge, Zustand, Prüfprotokollen, Lage auf dem Lagerplatz sowie potenziellen Einsatzmöglich­keiten. Derzeit liegen rund 1200 t rückgebauter Stahl auf dem Areal, verteilt auf definierte Lagerflächen. Dank der digitalen Verwaltung kann man jederzeit gezielt auf benötigte Träger zugreifen.

Tragwerksplanung: vom Prüfenden zum Steuernden

Bei einem derartigen Vorhaben verändert sich die Rolle des Tragwerksplaners grundlegend: Statt zu entwerfen und statische Anforderungen zu prüfen, wird er auch zum koordinativen Leiter des Materialkreislaufs – eine Disziplin, die im heutigen Bauwesen noch nicht etabliert ist. Er prüft, welche Träger wo eingesetzt werden können, erstellt Schnittpläne für alle Profiltypen, beeinflusst das Tragraster und die Spannweiten im Neubau und stimmt sich in der Gestaltung mit der Architektur ab. 

Weil der verfügbare Stahl feststeht – in Abmessung, Qualität und Menge –, muss sich das Projekt dem Material anpassen, nicht umgekehrt. Diese Umkehrung verlangt eine neue Denkweise: Bauen mit begrenzt vorhandenem Material und Potenzial statt mit frei definierbarem Sollzustand.

Die Wiederverwendung der Stahlbauteile beschränkt sich bei «uptownBasel» nicht auf einzelne Träger, sondern erfolgt auf mehreren ineinandergreifenden Ebenen, die zusammen einen systemischen Ansatz bilden: Bauteil-, System-, Prozess- und Entscheidungsebene.

Ein systemischer Ansatz

Auf der Bauteilebene wurden die Stahlprofile sorgfältig rückgebaut, klassifiziert, eingelagert und für eine gezielte Wiederverwendung vorgesehen. So bilden diese Elemente zum Beispiel das strukturelle Rückgrat der beiden neuen grossen Pavillons mit den Technikzentralen auf dem Gebäude 8 und werden auch für die Gebäude 2 und 6 verwendet. Dabei setzt man die Bauteile so ein, dass sie in einem neuen statischen System tragwerkspezifisch optimal ausgenutzt werden. 

Wesentlich war auch die Prozessebene: Der Rückbau der Träger erfolgte nicht isoliert, sondern war eng mit der Neubauplanung auf demselben Areal abgestimmt. Viele Bauteile wurden nicht einfach ausgebaut und zwischengelagert, sondern bereits in konkrete Bauabschnitte eingeplant. Die zeitliche und inhaltliche Verknüpfung von Rückbau, Lagerung und Planung schafft die Voraussetzungen für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft im Hochbau auf lokaler Ebene – hier sogar auf demselben Areal.

Auf der Systemebene ermöglichte die Gleich­artigkeit und Häufung bestimmter Querschnitte die Entwicklung eines modularen Konstruktionssystems, denn eine Modularität schafft auch eine Wiederverwendungslogik. In diesem Sinne bot die ehemalige Panzerhalle bezüglich ihrer statischen Struktur des Bestandsbaus eine optimale Grundlage. Rund 60 % der Träger entfielen auf das Standardprofil IPE 300, ein gängiges Bauteil mit vielseitigen Einsatzmöglichkeiten. 

Damit eröffnete sich die Chance, Raster und Aufbauhöhen so zu gestalten, dass auch heutige Anforderungen erfüllt werden können – etwa für Büro-, Gewerbe- oder sogar Wohnnutzungen. Möglich wird dies etwa durch eine 10 cm starke Betonschicht, die kraftschlüssig über Kopfbolzenverbindungen mit Trägern von 30 cm Höhe verbunden ist. Die gesamte Konstruktion bleibt mit einem Installationsvolumen unter 50 cm Gesamthöhe kompakt. Die Standardisierung vereinfacht nicht nur die Planung, sondern optimiert auch die Verbindungstechnik und reduziert potenzielle Schnittstellenprobleme.

Auf der Entscheidungsebene schliesslich zeigt sich der Wille des Architekten und der Bauherrschaft, diesen Weg zu gehen, denn ein zentrales Hindernis für die breite Anwendung von Re-Use im Bau ist das Fehlen normierter Verfahren. Die Grundlage bei diesem Projekt ist ein mehrstufiges Qualitätssicherungsverfahren: visuelle Kontrolle, Festigkeitsprüfung, Korrosionsbewertung und Klassifikation jedes einzelnen Elements. 

Hans-Jörg Fankhauser, der Architekt, bemerkt dazu: «Daraus entsteht eine dokumentierte Grundlage, auf deren Basis Verantwortung übernommen werden kann.» Dennoch braucht es eine mutige Bauherrschaft, die Vertrauen in das interdisziplinäre Team setzt – und nicht hinter einem normativen Sicherheitsdenken zurückweicht.

Auch Ingenieure machen hierin auf allen Ebenen wertvolle Erfahrungen. Dr. Kevin Rahner von Schnetzer Puskas Ingenieure aus Basel erläutert beispielsweise, es sei wichtig, dass die Effizienzgewinne moderner Schweissverbindungen im Stahlbau nicht leichtfertig übergangen werden dürfen: «Es klingt verlockend, alle Verbindungen durch verschraubte Knoten zu ersetzen, um eine spätere Wiederverwendung zu vereinfachen. Doch in der Praxis zeigt sich ein differenzierteres Bild.» 

Verschraubte Verbindungen sind nicht nur statisch weniger effizient, sondern aufgrund der geometrischen Schraubenanordnung quasi plastische Subsysteme mit ungleichen Lastverteilungen – einzelne Schrauben können überlastet werden, während andere weniger beansprucht sind. Schweissverbindungen hingegen können entsprechend der Beanspruchungen ausgebildet werden. Die Schweissverbindung ist statisch deutlich effizienter, weshalb sich solche konstruktiven Details über die Baugeschichte hin auch weiterentwickelt haben.

Zudem hat sich in Rückbauprojekten mehrfach gezeigt, dass auch geschraubte Verbindungen beim Auseinandernehmen an ihre Grenzen stossen. Rahner ergänzt: «Der Aufwand zur Freilegung und Anpassung beschädigter Knoten ist oft so hoch, dass es wirtschaftlicher und sicherer ist, den Verbindungsbereich zu entfernen und neue Knoten auszubilden – insbesondere, wenn das Trägerelement selbst noch gut erhalten ist.» Vor diesem Hintergrund entschieden sich die Projektverantwort­lichen auch in diesem Fall dafür, tragfähige Träger wiederzuverwenden, jedoch einzelne Knoten gezielt mit modernen, geschweissten Lösungen zu erneuern.

Mit solchen Erkenntnissen auf der Ebene des Tragsystems sowie auf Ebene der konstruktiven Details und mit solchen Referenzprojekten entstehen die wertvollen Erfahrungswerte, die es braucht, um Re-Use im Bauwesen weiter voranzubringen. Sie schaffen die Grundlage für künftige Anwendungen – über das Einzelprojekt hinaus.
 

Re-use Stahl «uptownBasel», Arlesheim (BL)

 

Bauherrschaft
uptownBasel, Arlesheim


Areal-Konzeption
Fankhauser Arealentwicklungen, Arlesheim

 

Architektur
Fankhauser Architektur, Arlesheim
 

Bauingenieurwesen
Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel

 

Beratung Demontage, Logistik
SCE, Hombrechtikon
 

Demontage
Aregger, Buttisholz
 

Stahlbau Montage
Stamm Bau, Arlesheim
 

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