Prä­zi­se Ein­grif­fe, gros­se Wir­kung

Das Verwaltungsgebäude des Tierparks Berlin aus den 1960er-Jahren hatte eine schlecht dämmende Leichtmodulhülle. Dass das kein Grund für einen Abriss war, zeigen ZRS Architekten mit einer neuen Holzfassade und wenigen Anpassungen im Innern.

Publikationsdatum
04-06-2021

Der Beginn dieses Projekts war erst einmal ganz gewöhnlich: Die Fassade des Skelett-­Versuchsbaus Typ «SK Berlin» sollte erneuert werden, denn die dünnen Leicht­experimentalmodule waren die grösste Schwachstelle des Verwaltungsgebäudes des Berliner Tierparks. Die Module bestanden aus einem U-Profil-Stahlrahmen, in den ein Sandwich aus zwei Gipsschichten und eine «Kerndämmung» eingebaut waren, sowie einer Verkleidung aus asbesthaltigen Fassadenplatten. Durch sie hindurch konnte das Aussenklima quasi 1 : 1 ins Gebäude eindringen. Die Beschäftigten sprachen deshalb davon, sich wie in einem dünnwandigen Zelt vorzukommen und nicht wie in einem schützenden Haus. Aus diesem Grund wurde das Gebäude 2012 leergezogen, die Belegschaft wurde auf verschiedene Bauten auf dem 160 ha grossen Gelände des Tierparks verteilt – für ein effizientes und teamorientiertes Arbeiten ziemlich ungünstig. Dem Innern wurde nur wenig ­Beachtung geschenkt. Das Team von ZRS Architekten spürte die Qualitäten des Bestands allerdings schnell auf und brachte diese seinem Auftraggeber schrittweise und erfolgreich näher.

Passgenau vom Erstbezug bis heute

Die Grösse und Raumaufteilung entsprachen auch nach rund 60 Jahren noch ziemlich genau den aktuellen Anforderungen: etwa 15 m2 pro Büro, natürlich belichtet und gut als Doppelarbeitsplatz nutzbar. Viele bauzeitliche Elemente wie Einbauschränke, Terrazzoböden und eine her­vorragend funktionierende Akustikdecke waren im Original und in gutem Zustand erhalten, und nicht zuletzt steckt in der Gebäudestruktur eine grosse Menge an grauer Energie. Deshalb zielte der Vorentwurf des ­Berliner Architekturbüros für das zwei­stufige Verhandlungsverfahren auf einen möglichst schonenden und erhaltenden Umgang mit der Substanz, die in eine ­hochwärmegedämmte Aussenhaut gehüllt wurde.

Nachdem ZRS Architekten mit ihrem Vorkonzept überzeugt hatten, wurden sie 2017 mit Sanierung und Instandsetzung des Gebäudes beauftragt. Diese wurden in zwei Bauabschnitten durchgeführt: zuerst der komplette Austausch der maroden Fassade, danach die Aufarbeitung und wenige Anpassungen im Innern. Allen Beteiligten war zu diesem Zeitpunkt klar, dass mit der Entscheidung zu einem grösstmöglichen Bestandserhalt deutlich mehr Arbeit und häufig ein Ringen um die beste Lösung auf sie zukommen sowie mehr Verantwortung auf ihnen lasten würde.

Ausserdem ist es insbesondere in Deutschland schwierig, Handwerker zu finden, die gern neue Wege gehen und sich den Herausforderungen eines solchen Bauvorhabens stellen. Während der Bauphase galt es, die ausführenden Teams engmaschig zu kontrollieren und regelmässig daran zu erinnern, mit den Innenausbauten pfleglich umzugehen. Das Brandschutzkonzept erforderte ebenfalls eine deutlich intensivere und detailliertere Planung als üblich – die Eigenarten des Vorhandenen immer im Blick. Hinzu kam, dass die finanziellen Auswirkungen vieler Entscheidungen aufgrund möglicher neuer Unwägbarkeiten nur schwer abzuschätzen waren.

Modulbauweise: Vorteile ausgespielt

Im ersten Bauabschnitt wurde die be­stehende Fassade demontiert, vorbildlich sortenrein getrennt und entsorgt. Die Ringanker, an denen die alte Gebäudehülle befestigt war, blieben erhalten und wurden für die Befestigung der neuen Holzmodule wiederverwendet. Ein wichtiger Aspekt bei der Wahl der neuen Fassadenkonstruktion war ihr Eigengewicht – sie sollte maximal so schwer sein wie die Originalfassade. Dadurch konnten die Planer auf einen statischen Nachweis der Bestandsbauteile verzichten. Damit die neuen Elemente der in Holztafelbauweise realisierten Fassade auch möglichst genau auf den Bestand mit erheblichen Toleranzen passten, wurde zum einen auf Basis eines Laserscans ein 3-D-Modell angefertigt, zum anderen der Betonrand manuell begradigt.

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Die Montage der neuen Fassade verschob sich in die Wintermonate, wodurch diese Konstruk­tion einen weiteren Vorteil ausspielen konnte: Die Elemente konnten ohne Unterbrechung und unabhängig von den Aussentemperaturen angebracht werden. Vor Ort montierten die Handwerker lediglich die vertikale Verschalung aus Lärchenholz. Dem Nachhaltigkeitsverständnis der Architekten entsprechend besteht die neue Fassade komplett aus nachwachsenden Rohstoffen und lässt sich nach ihrer Nutzungsdauer sortenrein trennen, eventuell sogar wiederverwerten. Im Bereich der Treppenhäuser wurde die neue Hülle weiss verputzt und mit einem Vogelornament verziert, das den ansonsten schlichten Bau leicht verspielt akzentuiert.

Baukulturelles Potenzial erkannt

Im Innern blieben möglichst viele Elemente erhalten; sie wurden nur dort durch Neues ergänzt, wo es aufgrund der Sicherheit oder minimaler Umbauten nötig war. Dazu zählen sehr behutsam platzierte Brandschutztüren, die pragmatisch angegangene Verkabelung für die gesamte IT und die Räume, die im Bereich des verlegten Haupteingangs neu entstanden sind. Die bauzeitlichen, eichenfurnierten Einbauschränke konnten im ersten Obergeschoss grossteils erhalten werden, im Erdgeschoss dagegen leider nur einer.

Hier bereitete eine Bodenabdichtung mit polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen, kurz PAK, Probleme, die auch unter den Einbauschränken eingebracht worden war. Aufgrund ihrer instabilen Konstruktion war es bei den meisten unmöglich, sie aus- und wieder einzubauen. Im Erdgeschoss blieb im «grünen Salon», der als Besprechungsraum genutzt wird, ein besonderes dieser Schmuckstücke erhalten. Dort bauten die Handwerker aufwendig die ­Böden der Schränke aus und verlegten darunter sowie auf allen Böden der Aufenthaltsräume eine Folie, die die Schadstoffe abschottet. Geschützt wird sie durch einen Fliessestrich. Dass auch diese Sonderlösung gut funktioniert, zeigten Raumluftmessungen, die nach den Arbeiten durchgeführt worden waren.

Wie gross die Energieeinsparungen durch die Fassadensanierung sind, lässt sich bei diesem Projekt nicht messen, denn der Verwaltungsbau ist gemeinsam mit ­allen anderen Bauten des grössten Landschaftstierparks Europas an ein Nahwärmenetz mit einem eigenen Blockheizkraftwerk angeschlossen. Bis zum Umbau konnte die interne Wärmeenergieabgabe an die Verwaltung nicht einzeln erfasst werden, daher gibt es keine Werte aus der Zeit vor der energetischen Fassadensanierung. Die vergleichende Analyse zwischen dem durchgeführten Teilabriss mit Sanierung der Innenräume und einem Komplettabriss mit Neubau spricht allein schon in Sachen Nachhaltigkeit Bände. Ganz gleich, ob beim CO2-Äquivalent oder bei der Gesamtprimärenergie: Die Einsparungen liegen bei rund 75 % und sind damit enorm. Zur äusserst positiven Energiebilanz dieser Sanierung kommt ein zweiter, ebenso wichtiger Aspekt hinzu: Den ­Beschäf­tigten blieb «ihr» Verwaltungsbau, den sie trotz seinen Nachteilen sehr schätzen, ­erhalten, und er bietet ihnen nun eine weitaus höhere Aufenthaltsqualität, verbunden mit altbekannten Werten.

Am Bau Beteiligte

 

Bauherrschaft: Tierpark Berlin-Friedrichs­felde, Berlin

 

Architektur: ZRS Architekten, Berlin

 

Tragwerk: ZRS Ingenieure, Berlin

 

Projektleitung: IBPM, Gesellschaft für ­interdisziplinäres Bauprojektmanagement, Berlin

 

Holzbau: Zimmerei Sieveke, Lohne/Oldenburg

 

 

Facts & Figures

 

Bruttogeschossfläche: 3345 m2

 

Nutzfläche: 2256 m2

 

Fertigstellung Renovation: 2019

 

Baujahr: 1960er-Jahre

Entstanden im Auftrag des Bundesamts für Umwelt sind bei espazium – Der Verlag für Baukultur folgende Sonderhefte zur Kreislaufwirtschaft erschienen:

 

Nr. 1/2021: «Zirkuläre Architektur: Bauten, Konzepte und Zukunftsstrategien»

Die Artikel dieser Ausgabe und weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem digitalen Dossier «Kreislaufwirtschaft».

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