Ke­gel, Kreuz und Druck­ring

Verkehrsknoten Wankdorfplatz Bern; Bauingenieurwesen: Emch + Berger

Das zentrale Element auf dem neuen Wankdorfplatz ist der zweistöckige Verkehrsknoten. Die Verkehrsströme fliessen ab Ende 2012 ober- und unterirdisch durch das Bauwerk. Dass sich die Ingenieure von Emch + Berger bei der Konstruktion auf ein dynamisches Umfeld einlassen mussten, zeigt allein schon das hohe Verkehrsaufkommen vor Ort. Kaum sichtbar sind hingegen die Randbedingungen, die die Konstruktion technisch bestimmten: Werkleitungen, Aufrechterhaltung des Verkehrsflusses und bodenmechanische Kennwerte schränkten die Ausführungsfreiheit ein.

Publikationsdatum
09-01-2012
Revision
01-09-2015

Bauvorhaben sind heute in einem immer komplexeren Umfeld eingebunden, weshalb ingenieurspezifische Herausforderungen in Planung und Ausführung vielfältig sind und sich stetig verändern. Das Gesamtverkehrssystem rund um den Wankdorfplatz steht exemplarisch für ein solches Umfeld: Der Verkehrsknoten stösst infolge der Gebietsentwicklung der letzten Jahre an seine Kapazitätsgrenzen und soll deshalb angepasst werden. Für diesen regionalen Entwicklungsschwerpunkt werden seit 2009 die Verkehrssteuerung optimiert und die vorhandenen Infrastrukturen verändert. Die Aufgabe war allerdings nicht zu lösen, indem ­nur zusätzlich Kapazität für den künftigen Mehrverkehr geschaffen wird. Die für die Kapazitätserhöhung nötigen Infrastrukturen sollten vielmehr aus dem Bestand heraus ent­wickelt werden, ohne dass dabei die aktuelle Nutzung wahrnehmbar eingeschränkt wird.

Herzstück des neuen Wankdorfplatzes

Das interdisziplinäre Projektteam «BE3 Wankdorfplatz» sah ein Verkehrskonzept vor, das die Leistungsfähigkeit des gesamten Verkehrssystems in ausgewogener Weise erhöht: Als Herzstück entflechtet ein zweistöckiges Verkehrsbauwerk mit einer oberirdischen Kreuzung und einem unterirdischen Kreisel die Verkehrsströme auf dem Wankdorfplatz. Während des übergeordneten Entwurfs übernahmen die Verkehrs- und Städteplanenden Emch + Berger Ingenieure, 3B Architekten und Schweingruber Zulauf Landschaftsarchitekten die Federführung. Für das Teilprojekt «Unterirdischer Kreisel Wankdorfplatz» hingegen lenkte der konstruktive Ingenieur – in diesem Fall die Ingenieure von Emch + Berger – federführend die Planungsarbeiten. Bestimmend für den Tragwerksentwurf waren vor allem zahlreiche umwelt- und umfeldbedingte Auflagen und Einflüsse während der Bau- und Betriebsphase. Mit den äusseren Randbedingungen, die aus der bauzeitlichen Verkehrsführung und dem unmittelbaren Projektumfeld gegeben waren, und mit den normativen Vorgaben aus Geometrie, Tragsicherheit und Gebrauchstauglichkeit galt es, ein in Bezug auf Bauzeit und Investitionskosten optimiertes Baugruben- und Tragwerkskonzept zu entwerfen. Bereits zu Beginn der Projektierungsarbeiten waren Auftraggebende und Planende sich darüber einig, dass es schwierig sein würde, alle Kriterien zu erfüllen und gleichzeitig die finanziellen Rahmenbedingungen einzuhalten. Während des Tragwerksentwurfs kanalisierten sie daher die massgebenden Bedingungen und gewichteten diese nach deren Relevanz für das Bauwerk. Dazu erarbeiteten sie zusammen mit diversen Behördenstellen eine detaillierte Nutzungsvereinbarung, die den Umfang eines technischen Berichts annahm. Auf diesem Kriterienkatalog basierend, entwickelten die Ingenieure unter laufender Abstimmung mit den anderen Ingenieurdisziplinen wie Verkehrsplanenden und Trasseespezialisten sowie mit den Architekten die Konzepte für Baugrube und Konstruktion. Bereits die ersten Entwürfe für das Tragwerk zeigten allerdings, dass eine in Bezug auf Investitions- und Unterhaltskosten optimierte Konstruktion nur mit Kompromissen hinsichtlich der vereinbarten Anforderungen und auferlegten Restriktionen für Bau und Betrieb zu erreichen ist. Das grösste Konfliktpotenzial lag in der Wechselwirkung zwischen kurzer Bauzeit und geringen Verkehrsbehinderungen sowie hoher Wirtschaftlichkeit. Diese Korrelation zeigt, dass eine Realisierung ohne Verkehrseinschränkung nur mit einer längeren Bauzeit oder höherem ­finanziellem Aufwand zu erreichen ist. Ebenso lässt sich aber mit einer kurzen Bauzeit die Dauer von Verkehrsbehinderungen verringern, was wiederum eine positive Wechselwirkung zwischen diesen Elementen darstellt. Eine Chancen- und Gefahrenanalyse zeigte schliesslich die ­realistischen Möglichkeiten auf, aufgrund deren die Ingenieure schliesslich die Konstruktion für die Baugrube und für das Tragwerk definitiv festlegten: Dank einem geschickten Verkehrsregime zur Entlastung des Wankdorfplatzes während der Bauarbeiten lässt sich der unterirdische Kreisel während der Hauptetappe in nur zwei Bauphasen und mittels konventioneller Baumethoden erstellen.

Baugrubenabschluss wirkt als Druckring

Die Planenden konzipierten mit Spundwandbohlen eine wasserdichte Baugrube. Bereits in der Vorprojektphase drei Jahre vor Baubeginn bestätigten Rammversuche die Machbarkeit des Spundwandverbaus. Sonden massen im Vorfeld die Ausbreitung und Intensität der ­Vibrationen im Baugrund während des Einbringens und Rückziehens der Spundbohlen inklusive deren Auswirkung auf erschütterungsempfindliche Werkleitungen wie Gas- und Wasserleitungen. Auf Basis dieser Erkenntnisse legte das Planerteam «BE3 Werke» Werk­leitungen grossräumig und definitiv um. Auf Bodenanker musste man verzichten, denn die Festsetzkräfte sind in diesem Baugrund bescheiden, und zahlreiche subterrane Bauwerke schlossen einen Einbau nahezu aus. Die Ingenieure nutzten deshalb den ringförmigen Baugrubenabschluss des Kreisels für eine stabile Tragstruktur: Analog zu einem Fahrradfelgen setzt ein Druckring den allseitig wirkenden Erddruck in eine Druckkraft um. Damit sich das Kräftegleichgewicht trotz leicht asymmetrisch wirkenden Kräften einstellt, wurden Aussteifungen in den Rampenbereichen eingebaut und der Druckring aus Stahlbeton ausgebildet. Kräfteumlagerungen infolge Deformationen werden so aktiv zugelassen.

Abgesenkter Grundwasserspiegel

Im Bereich der Baugrube ist der Grundwasserspiegel gespannt, und der dichte Baugrubenabschluss schränkt den natürlichen Grundwasserstrom von der Grossen Allmend zum Vorfluter Aare ein. Die Ingenieure perforierten die dichten Bodenschichten gleichmässig über die gesamte Baugruben-fläche mit Entlastungsbohrungen und setzten Filterbrunnen ein, die den Wasserdruck innerhalb sowie im Anströmungsbereich ausserhalb des dichten Baugrubenabschlusses absenkten respektive die Höhe des Grundwasserspiegels regulierten. Über Sickergräben im Sohlebereich der Baugrube wird ausserdem das Restwasser aus dem Erdreich abdrainiert, damit eine befahrbare, frostunempfindliche und stabile Baugrubensohle entsteht. Mit diesem Grundwasserhaltungskonzept konnte man das Grundwasser in der Baugrube während der Betonarbeiten ohne Gefahr eines hydraulischen Grundbruchs bis auf das Niveau der Baugrubensohle absenken. Gleichzeitig verhinderten die Ingenieure mit diesem Konzept, dass sich das Grundwasser im Anströmungsbereich auf der Seite der Grossen Allmend einseitig aufstaut. Dank einer minutiösen Überwachung der Grundwasserstände respektive -drücke in der und um die dichte Baugrube liessen sich unerwünschte Ver­änderungen schnell erkennen und Gegenmassnahmen rechtzeitig einleiten.

Lastspitzen vermeiden

Das Bauwerk ist flach gegründet, denn eine Tiefenfundation mittels Grossbohrpfählen erschien den Planenden zu risikoreich. Die im Gründungs-bereich vorliegenden Rückstausedimente wiesen zu geringe Festigkeitswerte auf, als dass unter minimalen Deformationen genügend grosse Tragwiderstände hätten erreicht werden können, und die Grundwasserverhältnisse hätten die Ausführung erheblich erschwert. Mit der Flachfundation erreichten die Planenden eine nahezu ausgeglichene Bilanz der Sohledruckspannungen zwischen ­Ursprungs- und Betriebszustand, was die Setzungen wesentlich begrenzt. Der Kreisel ist wasserdicht als Weisse Wanne ausgebildet. Eine konventionelle, aussen ­liegende Bauwerksabdichtung war wegen der engen Platzverhältnisse nicht umsetzbar. Diese wasserdichte Ausführungsweise mit Flachfundation auf relativ weichem und inhomogenem Baugrund bedingte eine Tragkonstruktion mit weitgehend gleichmässiger Lastverteilung – trotz den teilweise konzentriert eingeleiteten Lasten. Das Bauwerk ist deshalb nicht monolithisch, sondern fragmentiert erstellt. Dank in Bauwerklängsrichtung – also quer zur Tragrichtung – dilatierter Bauweise und mit dem Einsatz von Beton mit geringer Wärmeentwicklung gelang es den Ingenieuren, eine dichte Betonkonstruktion zu erstellen – obwohl die Geometrie kompliziert ist und der Rohbau verkehrsbedingt etappiert werden musste.

Zusammenspiel von Kräften und Gestaltung

Es galt, dem Kreiselbauwerk eine gestalterische Identität für den öffentlichen Raum zu verleiben. Massgebend für den Tragwerksentwurf war insbesondere die Gestaltungsidee, mit grossen Aussparungen Licht ins Kreiselzentrum einfallen zu lassen. Da die Aussparungen im Lasteinleitungszentrum der Kreiseldecke angeordnet werden sollten, sahen sich die Ingenieure aus statischen und konstruktiven Gründen gezwungen, das Eigengewicht der Decke zu minimieren. Hierzu besannen sich die Planenden auf Tragstrukturen aus den 1920er-Jahren – insbesondere das Fiat-Werk Lingotto in Turin –, bei denen stets ein minimaler Materialverbrauch angestrebt wurde. In Analogie zu solchen materialoptimierten Tragsystemen und unter Beachtung der Auftriebsproblematik wurde die Struktur der Kreiseldecke geplant und ausgeführt: Zwei sich in der Mitte kreuzende, vorgespannte Träger bilden die Haupttragelemente. Sie verbinden – Speichen eines Fahrrades gleich – das Kreiselzentrum und die Aussenwände miteinander. Die an die Träger gehängte Decke weist in Abhängigkeit der Spannweiten unterschiedliche Betonstärken auf, was Gewicht einspart und sich wiederum vorteilhaft auf die Lastverteilung auswirkt, denn auf diese Weise können die Lasten aus der Decke trotz punktueller Einwirkung verformungsarm auf die gesamte Bodenplatte verteilt werden. Diese schalungstechnisch aufwendige Geometrie ermöglicht es erst, die Gestaltungsidee umzusetzen – ausserdem widerspiegelt diese Abstufung sozusagen das iterative Zusammenspiel zwischen Architektur und Tragwerk.

Abmessungen Kreiselbauwerk


Durchmesser Baugrube
52.60 m


Tiefe Baugrube
ca. 10.0 m


Durchmesser Konstruktion
50.00 m


Plattenstärke 
Bodenplatte 1.00 m
Decke max. 2.54 m, min. 0.53 m


Vier Rampen jeweils
Trogbauwerke L = 52 m, B = 13.30 m
Stützmauern L = ca. 100 m 

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