Glie­de­rung, Plas­ti­zi­tät, Opu­lenz

Architektursymposium an der appli-tech, Luzern

Alle drei Jahre trifft sich in Luzern die Maler- und Gipserbranche zur Fachmesse appli-tech. In diesem Jahr fand im Rahmen der Messe ein Architektursymposium statt. Das Thema: Eine mögliche Trendwende im Bauen – weg vom Minimalismus der Jahrtausendwende, hin zu einer reicheren, komplexeren Architektur.

Publikationsdatum
14-02-2015
Revision
01-09-2015

Souverän und sachkundig moderiert wurde der Anlass von Martin Tschanz, Architekturtheoretiker und Dozent an der Zürcher Hochschule für Wissenschaften. In seiner Einleitung resümierte er die Entwicklung der letzten Jahrzehnte, in denen sich eine Reduzierung der Formen aus gestalterischen Gründen zunehmend zu einer «unheiligen Allianz zwischen Gestaltung, Architektur und Ökonomie» formierte. Statt gekonnter Reduktion setze sich heute immer mehr die Erkenntnis durch: «Weniger ist tatsächlich oft weniger».

Gemäss Tschanz bleibe bei Nutzern und Planern aber ein diffuses Bedürfnis nach mehr, das sich in mehr oder weniger gelungenen Rückgriffen auf Elemente wie Erker oder Gesimse äussere. Das Resultat überzeuge oft nicht, denn unser Bezug zur Formenwelt sei unterbrochen, die Formen beliebig. 

Die Formenwelt des Rokoko in der heutigen Gestaltung untersucht der Aachener Professor Luc Merx in seinem Projekt Rokokorelevanz. Ein Schwerpunkt liegt auf der Frage, wie sich die opulenten Formen des Rokoko, wie in Stickereien, Spitze oder Stuck, mit heutigen Technologien realisieren und dabei aktualisieren lassen. Ein weiteres Untersuchungsfeld ist der Einfluss des Computers auf die heutige Gestaltung, wobei dieser zum eigentlichen Werkzeug wird. 

Auf diese Wechselwirkung zwischen Werkzeug und Produkt ging auch Marius Fontana in seinem Vortrag ein. Der Vertreter der Rapperswiler Malerdynastie fontana & fontana zeigte sieben Maltechniken in ihrer Anwendung (Sprenkel-, Spritz-, Bunteffekttechnik; Pointilismus, Klopfttechnik; Schablonentechnik; Kammzug-, Kammstrichtechnik; Tupftechnik, Trompe-l'œil). Die Freude am Beruf war ihm dabei anzumerken, sie komme «direkt vom Herz durch den Kopf durch die Hand an die Wand».

Neben der abnehmenden Wertschätzung für das Handwerk sei in seinem Beruf auch die Industrialisierung ein Problem. So würden eine Vielzahl an Werkzeugen gar nicht mehr oder in minderer Qualität hergestellt (z.B. Tupfbürsten); industrielle Farben liessen sich für viele Techniken nicht einsetzen. So gingen eine Vielzahl an Oberflächenbearbeitungen vergessen oder würden lediglich bei denkmalpflegerischen Prestigeobjekten wie der Villa Patumbah in Zürich oder dem Haus Sonneveld in Rotterdam wieder in Erinnerung gerufen.

Die Antwort auf die obligatorische (Publikums-)Frage nach den Kosten seiner Arbeit beantwortete Marius Fontana wie folgt: «Der Wille, in Technik zu investieren, ist enorm. Aber der Wille, in Handwerk zu investieren, fehlt.»

Hinter der Oberfläche

Einen ähnlich respektvollen, aber anders gelagerten Zugang zur Architektur präsentierte anschliessend Benjamin Widmer vom Zürcher Büro bernath+widmer. In seinen Projekten fokussiert das Büro auf der gekonnten Fügung der Bauteile, was Benjamin Widmer anhand von Beispielen aus dem Holzbau (Ferienheim Büttenhard, Scheune Dingenhart) sowie aus der Konstruktion mit Back- und Kalksandsteinen (Kinderhaus Entlisberg, Doppelkindergarten Oberönz) vorführte – frei nach dem Motto: «Jeder Stein hat eine Seele und will nicht verletzt werden.»

Daneben zeigte er auch Bilder seines eigenen Wohnhauses Leimenegg, bei dem der Farbauftrag mit dem richtigen Werkzeug ebenfalls ein wichtiges Thema war – und fontana & fontana beratend mitwirkten.

Den fulminanten Abschluss des Anlasses machte Arno Lederer vom Stuttgarter Architekturbüro Lederer+Raganarsdottir+Oei, bekannt für formen- und materialreiche Baukunst (Hospitalhof Stuttgart, Bischöfliches Ordinariat Rottenburg). Aus ihm sprach der etablierte Routinier, der es sich leisten kann, Kritik an seinen Auftraggebern zu formulieren: «Wir werden heute nicht für Architektur bezahlt, sondern für das Bauen.»

In seinem mitunter sehr launigen Vortrag plädierte er für eine Rückkehr der Schönheit in die Architektur und sah die Gründe für zunehmende Reduktion auf ökonomische und funktionelle Aspekte in einer Trennung von Wissenschaft und Kunst im 19. Jahrhundert und der Aufklärung: «Mit der Aufklärung kam der Abbau von Sinnlichkeit und Opulenz, heute zählt nur das Wort.»

In Lederers Augen existiert in der Architektur – ähnlich wie in der Philosophie (Hegel sei nicht «moderner» als Kant) – kein Fortschritt. Gegenüber der aktuellen Technik- und Labelhörigkeit bewies er ein gesundes Verhältnis: «Die haben das dann so hingerechnet» (in Bezug auf das Bischöfliche Ordinariat Rottenburg, das auch im Energie- und Umweltbereich gut abschneidet).

Darf Architektur schön sein? Kann sie vielleicht sogar Spass machen? Nach dieser Veranstaltung in Luzern besteht Hoffnung.

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