es­pa­zi­um un­ter­wegs: zur in­ter­es­san­te(re)n Schwes­ter der Schö­nen

Die schöne Wanderung von Weesen nach Quinten hier vorzustellen wäre fehl am Platz – ein Klassiker, zigfach beschrieben und begangen. Aber Hand aufs Herz, vom Höhepunkt der Seerenbachfälle und einigen schönen Aussichten abgesehen ist diese Tour auf längeren Strecken relativ langweilig. Deswegen schauen wir uns hier einmal die Kehrseite der Medaille an und gehen auf die Südseite des Walensees: Als technikaffine Leserin und Leser von TEC21 werden Sie nicht enttäuscht sein – und selbst für Kinder ist die Tour auf dem Heerweg spannend.

Publikationsdatum
26-07-2021

Auch in diesem Sommer bleibt das internationale Reisen schwierig. Unter dem Motto «In Grenzen unbegrenzt» präsentieren wir Ihnen daher wöchentlich unsere Redaktionstipps mit Ausflugsideen zu Schweizer Perlen der Baukultur.

Wir starten unsere Exkursion in Weesen – und lassen Liszt, den ältesten Gasthof der Ostschweiz, die Römer, das Kloster und was es hier sonst noch alles Interessantes gibt einfach mal bei Seite. Man kann nicht alles in einen Tag packen, und heute wollen wir Sandstrände, Natur und Technikgeschichte aus 2000 Jahren in extremen Bedingungen erwandern.

Über die Linthbrücke gehen wir zum Ort hinaus, links liegen die ersten jungen Meter des Linthkanals zum alten Strandbad (Sandstrand!). Der Linthkanal führt über 17 km in den Zürichsee und ermöglichte erst die Besiedlung der gesamten Linthebene, wie wir sie heute kennen – ein geniales, 200 Jahre altes Vorzeigeprojekt des Wasserbaus, seit 2013 instand gesetzt und verbessert.

Alte Bunker stehen entlang des Kanals, und mächtige Bäume mit üppigem Mistelwuchs säumen diesen kurzen Wegabschnitt. Fiele Miraculix hier vom Baum, man würde sich nicht wundern, schliesslich stand hier auch schon ein alter gallorömischer Tempel, in dem nach oder vor der Fahrt über den Walensee Opfergaben dargebracht wurden.

In alten Zeiten war das Passieren des fjordartigen Nadelöhrs des Walensees weniger vergnüglich als heute – aber dazu später. Nun heisst es erst mal die Aussicht vom alten Strandbad (und vielleicht ein Bad) geniessen. Der Walensee liegt über seine gesamte Länge vor einem, im Hintergrund liegt «der schlafende Ritter», die 2310 m hohe Gauschla, in seiner gesamten Länge. Die Silhouette der Alviergruppe bildet diesen schönen Rahmen.

Doch an Schlaf ist beim Anblick dieses ruhenden Edelmanns nicht zu denken: Unsere Tour geht ja erst los! Entlang des Walensee-Westufers geht es nun zum Gäsi. Wir durchqueren den Campingplatz – hier ist das einzige Beizli (Spielplatz!) auf unserer Runde. Am schönsten geht dies natürlich entlang des langen Sandstrands. Bald darauf kommen wir zum Gäsidelta: Hier mündet der sechs Kilometer lange Escherkanal in den Walensee. Wie der Linthkanal gehört er zum Linthwerk.

Vom Linthsteg aus – er ist die ehemalige Eisenbahnbrücke der einspurigen Strecke nach Walenstadt – sieht man auf der einen Seite das Delta, nach Süden fällt der Blick auf ein wahrhaftiges Bündel an Verkehrssträngen: Aus dem Kerenzerberg kommt der SBB-Tunnel, dahinter zwei Röhren der Autobahn A3, die alle sofort in drei Brückenbauwerke über den Kanal übergehen. Derzeit führen auch noch eine Behelfsbrücke und Förderbänder zur Felswand hin – gerade wird der 5.5 km lange Sicherheitsstollen für den Autobahntunnel Kerenzerberg gebohrt. Ein kurzer Abstecher stromaufwärts des Escherkanals bringt uns zur Baustelle.

Zurück am Linthsteg folgen wir nun dem Veloweg in Richtung Mühlehorn. Nach wenigen Metern fällt ein zugemauerter Tunnel ins Blickfeld. Es ist der alte, aufgelassene Eisenbahntunnel als Fortsetzung des Linthstegs – der Kerenzerberg stand einfach schon immer im Weg. Eine Kurve weiter ist an einer Felswand eine grosse Steinplatte angebracht – eingewachsen im Wald erinnert sie an Steinruinen der Maya oder Azteken. Allerdings ist sie immer noch hochaktuell: Es handelt sich um ein Denkmal zu Ehren von Hans Conrad Escher, dem Initiator des Linthwerks. Eingetragen sind die höchsten Seestände des Walensees, und man muss den Kopf unglaublich in den Nacken legen, um etwa die Marke von 1807 zu sehen. Um 5 Meter konnte der Walensee dank der Linthregulierung abgesenkt werden.

Auch die heutigen Hochwasser werden dort eingetragen. Obwohl das Denkmal entfernt vom Walensee steht, zeigt es die Wasserstände an. Es ist eine kommunizierende Röhre, sprich: Der kleine Wasserbehälter an seinem Fuss ist unterirdisch mit dem See verbunden. Wenige Meter weiter folgt schon das nächste historische Bauwerk, das mit dem See zu tun hat: An einer Felswand, der Weisswand, kragt ein Stück eines Holzstegs heraus. Es ist die Nachbildung des sogenannten Heerwegs.

Ratsherr und Hauptmann Fridolin Heer von Glarus entging 1570 dem Tod durch Ertrinken nur, weil er bei einem aufkommenden Föhnsturm vorzeitig von Bord eines Schiffs auf dem Walensee ging. Das Schiff sank, nur 14 von 60 Menschen überlebten. 1603 liess er auf eigene Kosten den Heerweg anlegen, eine Verbindung von Niederurnen nach Mühlehorn entlang den Felswänden des Kerenzerbergs. Sein Baumeister, Hans de Franceschi, kam aus dem Maggiatal. Das Arbeiten ennet des Gotthards hat also schon eine lange Tradition.

Diesen kühnen Weg gehen wir weiter, jedoch ist er, wie schon damals, nicht ganz ohne Gefahren: Fridolin Heer kam bei einer Inspektion auf seinem Weg durch Steinschlag ums Leben. Bei Gewitter oder Sturm sei auch heute noch von der Begehung abgeraten – führt er doch unter hohen Felswänden entlang, und auch Sturzbäche queren ihn an einigen Stellen. Direkt neben der Rekonstruktion des Holzwegs ist die Galerie «Weisswand» der Autobahn zu sehen.

Unsere Wanderung führt in unmittelbarer Nähe, nur getrennt von einem Schutznetz, an der Strasse vorbei. 400 Jahre Strassenbau rücken hier ganz eng zusammen. Über eine Betontreppe steigen wir auf das Dach der Galerie, das auch als Einstieg in einige Kletterrouten dient. Der Weg führt nun aufwärts und entfernt sich vom Walensee. Die Felswände sind beeindruckend, und unglaublich üppige Efeugewächse – eher schon Efeubäume – ranken sich nach oben.

Nach einer Weile queren wir die Schlucht des Filzbachs. Die Temperatur sinkt am Wasser ab, die Erfrischung ist willkommen, allerdings ist ein längeres Verweilen auf dem stählernen Steg – unterhalb sieht man ein kurzes Stück der Autobahn – gar nicht so ratsam: Die beeindruckenden Dellen, die von Steinschlag herrühren, mahnen zur Vorsicht. Auf dem weiteren Weg kommen noch mehr Kletterrouten, und obwohl man die unter uns führende Nationalstrasse nicht sieht, erinnern im Wald eingewachsene Steinschlagbarrieren und Schutznetze an ihre Existenz.

Aufgehört zu existieren hat hingegen das Gebäude am Umkehrpunkt unserer Wanderung: Die ehemalige Raststätte Walensee fristet als Ruine ein kümmerliches Dasein. Für 750 000 Franken war sie vor einigen Jahren zum Verkauf ausgeschrieben. Zwar fand sich ein Käufer, allerdings konnte er bis zum heutigen Tag das Recht auf eine neue Nutzung nicht erlangen.

Nicht einmal der Parkplatz an der Autobahn darf mehr benutzt werden, was schade ist – hat man von ihm doch eine hervorragende Sicht auf die gegenüberliegenden Seerenbachfälle, die mit 585 m Höhe zu den zehn höchsten Wasserfällen der Welt gehören. Die mittlere Stufe ist schweizweit mit 307 m der höchste Freifall. Und auch die unterhalb aus dem Felsen schiessende Rhinquelle ist ein Kuriosum: Bis heute ist noch nicht gänzlich erforscht, von woher sie all ihr Wasser bekommt.

Aber zurück auf unsere Seite des Walensees: Die Kalkfelsen bilden einen pittoresken Hintergrund zu dem ehemaligen Restaurant, und wäre Caspar David Friedrich hier vorbeigekommen, wer weiss, welches Bild entstanden wäre.

Wir drehen hier um und nehmen den bequemen, ebenen Rückweg via Veloweg. Dieser führt durch zwei mehrere hundert Meter lange Tunnel – und auch hier wandeln wir wieder auf historischen Verkehrswegen. Waren dies doch ebenfalls Tunnel der früheren Eisenbahnlinie. Nach drei Stunden Marsch und so viel Verkehr und Wasser dürfte noch mehr Wasser nicht verkehrt sein. Also rein ins frische Nass – der Walensee hat auch im Sommer eine angenehm kühlende Temperatur.

Weitere Beiträge der Reihe espazium unterwegs gibt es hier.

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