Re­cy­cling fürs Ohr

An mehreren Samstagen nahm ein Mikrofon auf dem Entsorgungsplatz des Werkhofs Langendorf im Kanton Solothurn jeweils eine Stunde lang Lärm, Klänge und Stimmen auf. Aus dem so gewonnenen Material komponierte Lorenz Belser im Stil der musique concrète die «Kleine Entsorgungs-Symphonie». Espazium.ch hat den Regisseur getroffen und ihn zu seinem Projekt befragt.

Publikationsdatum
02-04-2024


Sie haben mit Ihrem Mikrofon Geräusche auf dem Entsorgungsplatz des Werkhofs Langendorf gesammelt. Daraus haben Sie eine «Kleine Entsorgungs-Symphonie» komponiert. Man hört, wie verschiedene Materialien entsorgt werden. Es sind auch Autos, Menschen und Vögel zu vernehmen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Seit einigen Jahren mache ich Hörspiele nach dem Motto «dig where you stand». Eines Tages stand ich zufällig auf diesem Entsorgungsplatz – und fand das alles plötzlich sehr symbolisch. Hier zeigen sich grössere gesellschaftliche, politische und ökologische Zusammenhänge.


Wie ist die Symphonie aufgebaut?

Sie beginnt ganz leise, dann kommt es zu einem Allegro und jemand stellt die Frage, ob das denn «Musik» sei – in der Folge hat sich die Symphonie sozusagen selbst weitergebaut. Ich liess mich überraschen, was für Geschichten sich an diesem Ort ergeben.


Die Symphonie beginnt mit Naturgeräuschen, gefolgt von durch Menschen verursachtem Lärm: Autos, Entsorgungsgeräusche, einem Helikopter, der über den Entsorgungsplatz fliegt. Wie sind Sie darauf gekommen, diese Abläufe so abzubilden?

Der Ablauf ist ironisch-klassisch: Am Anfang geht eine Türe auf, und die Autos fahren vor. Am Ende fahren die Autos wieder weg, und eine Frau wünscht «schöns Wuchenänd». Die inneren Abläufe entstanden aber aus dem Material selbst. Ziemlich schnell habe ich gemerkt, dass es hier nicht nur um Lärm geht, sondern auch um Stille, Natur und um Momente, in denen nichts passiert. Und wer definiert das Ende? Hören Sie selbst …


Sie bezeichnen Ihre Symphonie als «dokumentarisches Hörbild». Wie unterscheidet es sich von einem klassischen Hörspiel?

Mit «Hörbild» meine ich, dass es eher flächig funktioniert als linear. Da baut sich etwas aus sich selbst auf, aus dokumentarischem Material, nicht aus einer Geschichte.


Auf Ihrer Website steht: «700 kg Siedlungsabfälle produziert die Schweiz pro Jahr und Kopf – ein Europa-Rekord! Davon werden gerade mal 150 kg recycelt.» Was möchten Sie mit Ihrem Werk aussagen oder bewirken?

Das eine ist die Moral, die steht in diesem Satz. Es geht nicht darum, dass wir zu wenig recyceln, sondern dass wir bereits zu viel produzieren und konsumieren. Das andere ist das Spiel: Das kann katastrophisch sein, oder kindlich. Im Endeffekt geht es um eine Vergegenwärtigung. Um ein Staunen über etwas, das uns selbstverständlich scheint.

Über die Symphonie


Konzept: Lorenz Belser und Pia Thür
Montage: Lorenz Belser 
Graphik: Pia Thür 
Mastering: Pedro Haldemann 

 

Finanziell unterstützt vom Lotteriefonds des Kantons Solothurn, der Däster-Schild-Stiftung und dem Verein mikroskopTHEATER.

 

➔ Hier geht es zur «Kleinen Entsorgungs-Symphonie» von Lorenz Belser.

Lorenz Belser, geboren im Aargau und wohnhaft im solothurnischen Langendorf, ist Kulturschaffender. Er war Regieassistent, Regisseur, Dramaturg und Produzent. 

 

Heute macht er Online-Hörspiele, schreibt und tritt ab und zu als Slam-Poet auf. Mehr Informationen zu Lorenz Belser und seinem mikroskopTHEATER auf www.mikroskoptheater.ch.

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