Recycling am Bau: Quoten sagen nicht alles
Welche Baustoffe werden in der Schweiz rezykliert, und wie viel wird stofflich wiederverwertet? Eine Studie des Bundesamts für Umwelt modelliert die baubezogene Entsorgungskette. Die Autoren erklären, welche Rückschlüsse für die Kreislaufwirtschaft daraus zu ziehen sind.
Die Recyclingquote von Beton aus dem Hochbau liege bei 95 %, wird in der Baupraxis gern betont. Oder anders ausgedrückt: Bezogen auf die Masse stünde fast die gesamte einmal verbaute Baustoffmenge für eine Wiederverwendung zur Verfügung. Illustriert diese hohe Zahl nicht eindrücklich, wie sorgsam der Umgang im Bauprozess mit Rohstoffen ist? Doch aufgepasst: Jede Quote darf nur so weit interpretiert werden, wie es ihre Bezugsgrössen und -systeme zulassen. Letztere lassen sich nämlich unterschiedlich wählen, abhängig von den Arbeits- und Verwertungsschritten vom Gebäuderückbau bis zur Entsorgung.
Die oben genannte Zahl beziffert tatsächlich nicht das Ganze, sondern nur denjenigen Anteil im Rückbaumaterial, der als sortenreiner Betonabbruch anfällt und danach zu Recycling-Granulat verwertet werden kann. Auf der Baustelle findet jedoch zuerst eine Triage statt: Weil sich dort nicht alle Betonbauteile stofflich sauber trennen lassen, fällt aktuell weniger als zwei Drittel der in einem Gebäude verbauten Betonmenge überhaupt als sortenreiner Betonabbruch an. Erst diese Fraktion lässt sich mit einer Quote von 95 % weiter verwerten.
Beton im Mischabbruch
Welche Wege der Betonabbruch in der Entsorgung nimmt, lässt sich anhand des KAR-Modells relativ genau bestimmen (vgl. «Regionale Materialflüsse im Modell» unten). Bei grossen Objekten begünstigt der hohe Anteil an Betonbauteilen wie Zwischendecken oder Bodenplatten den Rückbauerfolg: 56 % des Betons werden so dem reinen Betonabbruch überführt; Metallbewehrungen lassen sich daraus einfach entfernen.
Weitere 14 % des Betons können dagegen nur so rückgebaut werden, dass sie mit anderen mineralischen Baustoffen wie Ziegeln und Backsteinen vermischt anfallen und deshalb in die Mischabbruchfraktion gelangen. Dies geschieht oft bei kleineren Objekten, bei denen eine Trennung vor Ort an den Platzverhältnissen scheitert oder nicht rentabel ist.
Aus dem Mischabbruch kann das Betongranulat aussortiert und zu Recyclinggranulat aufbereitet werden. Auch dieser Aufbereitungsschritt erreicht eine Quote von 95 %, wobei sich diese nur auf den Beton bezieht. Der Anteil des gesamten Mischabbruchs, der stofflich als Sekundärkörnung verwertet wird, ist dagegen deutlich geringer und liegt nur bei etwa 50 %.
Die restlichen 30 % des Betons aus rückgebauten Bauwerken werden in einer Deponie entsorgt. Dieser Beton ist für eine Wiederverwertung verloren und sorgt dafür, dass die tatsächliche Recyclingquote deutlich unter den eingangs erwähnten 95 % liegt.
Unterschiedliche Recyclingprodukte
Wird die Recyclingquote auf die Anforderungen an die Kreislaufwirtschaft abgestimmt, sind die Systemgrenzen neu zu ziehen. Dafür interessiert derjenige Betonanteil von bestehenden Gebäuden, der zu Recycling-Granulat verarbeitet werden kann. Aus diesem Granulat wird aber nicht nur neuer Beton, sondern es wird zum Beispiel als Recycling-Kiessand im Tiefbau eingesetzt.
Der gesamte Verwertungsanteil beträgt dabei 67 %. Oder anders ausgedrückt: Nach dem Abbruch stehen vom verbauten Beton rund zwei Drittel wieder als Sekundärrohstoff zur Verfügung.
Gips und Flachglas: Konkurrenz für Recycling
Die Studie über die Baustoffentsorgung in der Schweiz, die im Auftrag des Bundesamts für Umwelt (Bafu) erarbeitet wurde1, beleuchtet nicht nur den Umgang mit Beton, sondern modelliert auch die Entsorgungswege aller anderen Baustoffe, die in relevanten Mengen anfallen.
Die Ergebnisse wurden nach einheitlichen Kriterien berechnet; die durchschnittliche Recyclingquote über alle Baustoffe hinweg liegt bei ungefähr 60 %. Drei Fünftel der rückgebauten Baustoffe lassen sich dank sachgerechtem Rückbau und bewährten Recyclingprozessen wieder für neue Produkte nutzen. Die Quote selbst ist nicht genauer bestimmbar, da die Modelle auf zahlreichen Annahmen beruhen.
Die detaillierte Recyclingquote und das Potenzial zu deren Steigerung sind jedoch abhängig vom jeweiligen Baustoff: Metalle wie Stahl, Aluminium und Zink werden, wenn technisch möglich, fast immer rezykliert. Die Studie rechnet mit einer Recyclingquote von 98 %. Beton wird zu rund zwei Dritteln wiederverwertet und zu rund 30 % deponiert.
Allerdings spricht aus technischer Sicht nichts dagegen, den Deponieanteil zu verringern und so das Recycling zu verbessern. Die Kapazitäten der Aufbereitungsanlagen für Mischabbruchmaterial sind nicht ausgeschöpft. Problematisch sind die geringe Nachfrage und der limitierte Absatz für RC-Produkte. Ein steigendes Marktinteresse könnte den Einsatz von RC-M-Beton – Recyclingbeton aus der Mischabbruchfraktion – unmittelbar erhöhen.
Auch andere Baustoffe sind prinzipiell technisch gut verwertbar, fallen aber durch geringe Recyclingquoten auf. Beim Flachglas werden nur etwa 15 % der Abfallmengen und beim Gips rund 17 % stofflich verwertet. Zwar sind die erhobenen Daten unsicher, weil detaillierte Erhebungen schwierig durchzuführen sind. Dennoch lässt sich das unbefriedigende Recycling teilweise auch technisch begründen.
Zudem kann ein Recyclingverfahren mehr kosten als die Gewinnung von Primärrohstoffen oder Sekundärrohstoffen aus anderen Quellen. Beim Flachglas und beim Gips lässt sich die Situation folgendermassen ausführen: Flachglas fällt als Rückbaumaterial in unterschiedlichen Qualitäten und mit unterschiedlichen Beschichtungen an. Zudem ist Fensterglas fest mit dem Rahmen verbunden. Ohne spezialisierte Prozesse lassen sich die einzelnen Komponenten aus dem Bauteil Fenster nur ungenügend trennen.
Bei den Sekundärrohstoffen wird rückgebautes Flachglas von Verpackungsglas aus der Flaschensammlung konkurrenziert, das in grossen Mengen und oft in besserer Qualität verfügbar ist.
Gips wird in Karton-, Faser- oder Vollgipsplatten respektive als Gipsputz verwendet. Die heutigen Recyclingverfahren stehen nur für Gips aus bestimmten Anwendungen zur Verfügung. Zudem ist die Nachfrage nach RC-Gips gering, weil Sekundärgips aus der Rauchgaswäsche von Kohlekraftwerken angeboten wird. Davon fallen insbesondere in Deutschland grosse Mengen in sehr guter Qualität an.
Erster Recyclingschritt: einfach trennen
Insgesamt kommt die Baustoffrecyclingstudie des Bundesamts für Umwelt zum Schluss, dass die Bauwirtschaft schon sehr viel für das Kreislaufprinzip tut. Allerdings reicht die durchschnittliche Recyclingquote knapp über 60 % und ist deshalb noch weit von einer echten Kreislaufwirtschaft entfernt. Mineralische Bauabfälle stärker zu verwerten ist jedoch nicht alleinige Aufgabe der Entsorgungswirtschaft.
Eine wichtige Rolle kommt auch Architektinnen und Architekten, Planenden und Bauunternehmungen zu. Denn diese bestimmen, wie Gebäude und Bauteile konstruiert werden. Und nur Konstruktionen, die sich beim Rückbau einfach trennen lassen, vereinfachen die Aufbereitung der Abfälle zu einem Sekundärrohstoff.
Regionale Materialflüsse im Modell
Das KAR-Modell erfasst sämtliche Kies-, Aushub- und Rückbaumaterialflüsse und dient dem Kanton Zürich seit über zehn Jahren zur Bestimmung von Herkunft, Menge und Verwertungsschritten für mineralische Baustoffe. Mittlerweile nutzen weitere öffentliche Institutionen das laufend weiterentwickelte Simulationsmodell, das sich an unterschiedliche territoriale Einheiten anpassen lässt. Zehn Kantone und der Bund erfassen die Flüsse der mineralischen Abfälle mit diesem KAR-Modell. Paul Knüsel
KAR-Modell – Modellierung der Kies-, Aushub- und Rückbaumaterialflüsse: Modellerweiterung und Nachführung 2014, Umweltämter der Kantone BE, TG, SO, SG, ZG und ZH, Stefan Rubli, Martin Schneider 2016; www.kar-modell.ch
Anmerkung
1 Harmonisierte Ökobilanzen der Entsorgung von Baustoffen, Bundesamt für Umwelt 2020.