Ein Tun­nel un­ter dem Bos­po­rus – Er­öff­nung

Um in Istanbul von A nach B zu kommen brauchen Pendler und Touristen Zeit und Nerven. Staus, ein nur unzureichend organisierter öffentlicher Verkehr und nicht zuletzt die geografischen Gegebenheiten sind die wohl wichtigsten Gründe für das Chaos. Doch es besteht Aussicht auf Entlastung: Am 29. Oktober soll ein neuer Eisenbahntunnel unter dem Bosporus freigegeben werden.

Publikationsdatum
24-10-2013
Revision
07-11-2015

Istanbul ist mit rund 13.7 Millionen Einwohnern (Stand 2012) die bevölkerungsreichste Stadt der Türkei. Der Bosporus – die Meerenge zwischen dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer – trennt die Stadt in einen europäischen und einen asiatischen Teil. Fähren und zwei Strassenbrücken verbinden die beiden Stadtteile. Rund 65% der Bevölkerung leben im europäischen Teil, wo sich aber rund 73% der Arbeitsplätze befinden. Man kann von rund 1.5 Millionen Pendlerbewegungen täglich über die Meeresenge ausgehen.

Um die Verkehrsprobleme in Istanbul zu entschärfen, wurde seit 1999 das Projekt «Marmaray» in einer türkisch-japanischen Kooperation realisiert. Die Bauarbeiten begannen im Jahr 2004. Das Eröffnungsdatum musste wiederholt verschoben werden, und die Gründe dafür waren diverse: Die Entdeckung eines antiken Hafens blockierte die Arbeiten ebenso wie Probleme in der Zusammenarbeit der verschiedenen Projektbeteiligten, zum Beispiel bei der Gleisverlegung und bei der Installation elektrischer Anlagen.

Der Tunnel wird das existierende Eisenbahnsystem in Istanbul aufwerten und eine direkte Verbindung unter dem Bosporus hindurch schaffen, die einem das bisherige Umsteigen von der Bahn auf das Schiff erspart. Damit wird ein alter Traum wahr, mit dessen Realisierung schon Sultan Abdülmecid vor 170 Jahren gern in die Geschichtsbücher eingegangen wäre. 

Es steht das Versprechen im Raum, mit dem Gesamtprojekt bisherige Schwachstellen im öffentlichen Verkehrsnetz auszubessern: Kapazität, Vertrauenswürdigkeit, Zugänglichkeit, Pünklichkeit und Sicherheit sollen steigen. Voraussichtlich ab 2015 – wenn alle Zufahrtsstrecken fertiggestellt sind – verbindet die neue, insgesamt 76km lange Bahnlinie den Istanbuler Bahnhof Halkali auf der europäischen Seite mit der Stadt Gebze am östlichen, anatolischen Stadtrand.

Tunnel im Erdbebengebiet 

Zwei Gleise führen durch das Herzstück des Projekts, den 13.6km langen Eisenbahntunnel. Er besteht aus 1.4km Absenktunnel unter dem Bosporus, 9.8km bergmännisch sowie 2.4km in offener Bauweise erstellten Abschnitten. Der tiefste je gebaute Tunnel im Senkkastenverfahren muss in einer Wasserstrasse mit 50.000 verkehrenden Schiffen pro Jahr und zahlreichen, täglich die Meerenge querenden Fähren erstellt werden. Da lediglich 20km vom Tunnel entfernt in Ost-West-Richtung die äusserst aktive nordanatolische Verwerfungslinie durch das Meer läuft, lag grosses Augenmerk auf einer erdbebensicheren Ausführung. 

Eingriffe in die Stadt 

Die Modernisierung der Bahnverbindung bedingt auch städtebauliche Massnahmen. In Yenikap  am Marmara-Meer, Sirkeci am Bosporus nahe dem Goldenen Horn und in Üsküdar auf der asiatischen Seite entstanden neue unterirdische Bahnhöfe anstelle historischer oberirdischer Bauten. Des Weiteren entstanden bzw. entstehen insgesamt 37 oberirdische Stationen zwischen Halkal  und Gebze; einige sind Neu-, andere Umbauten. Einige historische Bahnhöfe wie das berühmte Haydarpasa-Terminal auf der asiatischen Seite des Bosporus wurden mit dem Marmaray-Projekt obsolet; ihre Zukunft ist ungewiss. 

Auch für die internationale Logistik und den Fernverkehr bringt der Tunnel Erleichterungen. Denn bislang trennte der Bosporus das westeuropäische Schienennetz vom ebenfalls normalspurigen Netz der asiatischen Türkei, dem Irak, Syrien und dem Iran – Güterwaggons mussten mit Fähren über die Meeresstrasse transportiert werden. Über die Ukraine, Russland und Georgien im Norden des Schwarzen Meeres auszuweichen war und ist wegen der unterschiedlichen Spurweite nur erschwert möglich. So vereinfacht die neue Verbindung den Gütertransport zu Lande deutlich.

 

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