«Ei­gent­lich passt das Ma­te­ri­al nicht in un­se­re Zeit»

Tadelakt und Terra di pietra

Malermeister Claude Bickel ist ein Pionier und ein Erfinder. Als einer der Ersten in der Schweiz experimentierte er mit dem marokkanischen Kalkputz Tadelakt. Nun hat er das Produkt weiterentwickelt. TEC21 sprach mit ihm über den Faktor Zeit im Handwerk und den Mythos Tadelakt.

Publikationsdatum
19-03-2014
Revision
18-10-2015

TEC21: Herr Bickel, wie haben Sie die Technik des Tadelakt kennengelernt?
Claude Bickel: Ich habe vor 38 Jahren mit der Berufslehre begonnen und die gestalterische Berufsmittelschule absolviert. Diese Seite des Handwerks – die gestalterische – interessierte mich schon immer. Ich kaufte mir damals die französische Wohnzeitschrift «Côté Sud». Dort entdeckte ich Artikel über Tadelakt. Auf den Bildern sah man, wie die Handwerker die Wände mit einem Stein polierten. Das hat mich fasziniert. Irgendwann kam ein Bekannter, der in Marokko mit Möbeln handelt, mit einem Sack Pulver vorbei und meinte: Das hier ist Tadelakt. Ich probierte, damit eine Wand zu verputzen, aber der Tadelakt riss erst und fiel dann komplett von der Wand – weil ich den Grundputz nicht genässt hatte. Doch die Faszination für das Material war geboren. Ich erlebe das immer wieder: Die Menschen sind fasziniert von Tadelakt: Man fängt an zu reiben, es ist fast meditativ. 

Woran liegt diese Faszination?
Bickel: Am haptischen Erlebnis, mit einem individuell ausgewählten Stein zu arbeiten, und auch am Geräusch. Wenn Sie genug Erfahrung haben, hören Sie am Geräusch, wann die Behandlung abgeschlossen ist. Die Bekanntheit von Tadelakt ist allerdings viel grösser als sein tatsächlicher Einsatz. In der Schweiz ist das eine sehr kleine Nische, es beherrschen nur wenige die Technik. Dafür braucht es sehr viel Wissen. Hat man zum Beispiel einen hydrophobierten Grundputz, braucht man gar nicht erst anzufangen.

Seit einigen Jahren arbeiten Sie vermehrt mit Ihrer Eigenentwicklung Terra di Pietra statt mit Tadelakt. Warum?
Bickel: Vor etwa zehn Jahren erhielt ich die Anfrage, das Hamam der Migros in Zürich mit Tadelakt zu verputzen. Das Problem bei Tadelakt ist, dass er für eine Anwendung im extremen Nassbereich zwei Monate aushärten muss, bis zum vollständigen Aushärten dauert es ein halbes Jahr. Zum anderen braucht er einen rauen mineralischen Putz als Unterlage. Überall, wo Beton oder GFK-Platten den Untergrund bilden, ist nicht gesichert, dass die Haftung über Jahre bestehen bleibt. Das sind Voraussetzungen, die mit heutigen Baustellen nicht kompatibel sind. Darum suchten wir ein Material mit den haptischen und optischen Tiefen und Qualitäten von Tadelakt, das aber nicht dessen lange Bearbeitungs- und Trocknungszeit hat und bei dem die Haftung auch auf Platten gewährleistet ist. 

Wie sind Sie vorgegangen?
Bickel: Tadelakt ist ein raues Produkt, erst über das Polieren mit dem Stein holt man die Feinanteile des Kalks hervor. Also beschlossen wir, eine Oberfläche zu entwickeln, die eher einem Terrazzo gleicht. Dafür benutzten wir auch Tadelakt, den wir jeweils in 2-t-Tranchen aus Marokko importieren. Aber wir verbesserten dessen Siebkurve, fügten etwas Weisszement und Quarz bei und einen minimen Anteil an organischen Zusätzen für die Haftung. Dieser Putz, die Terra di Pietra, wird nicht mit Steinen poliert, sondern mit japanischen Shiage-Gote-Kellen. Sie sind schön weich für die Schlussbearbeitung.
Terra di Pietra lässt sich schon am nächsten Tag schleifen. Weil das Material so hart und widerstandsfähig ist, können auch die nachfolgenden Gewerke arbeiten, ohne dass die Wände abgedeckt werden müssen. Statt mit Olivenseife wie beim Tadelakt behandeln wir Terra di Pietra mit Steinöl. Es funktioniert ein wenig anders als die Seife, bei der ein chemischer Prozess mit den alkalischen Bestandteilen des Tadelakts die Hydrophobierung herbeiführt. Das Öl wirkt selber wasserabweisend. Uns war wichtig, mit einem natürlichen Produkt zu arbeiten. 

Sie haben die Schwierigkeiten von Tadelakt erwähnt – gibt es auch Gebiete, wo der Einsatz Sinn macht?
Bickel: Tadelakt ist ein Material, das Zeit braucht und gepflegt werden will, und damit passt es eigentlich nicht mehr in unsere Realität. Die Kanten sind rund, nicht pfeifengerade wie bei uns sonst üblich. Es gibt Haarrisse, die viele als Schaden wahrnehmen, aber für die Technik ganz normal sind. Wenn Sie mit spitzen Absätzen über einen Boden aus Tadelakt laufen, ist er ruiniert. In Marokko läuft man mit Babouches drüber, dort ist das kein Problem. Trotz allem gibt es Kunden, die sich bewusst für Tadelakt entscheiden. Sie bringen dem Material dann aber auch Wertschätzung entgegen und pflegen es. Tadelakt ist nach wie vor eine wunderbare Technik, aber nicht für jedermann. 

Zeit, Pflege, Wertschätzung – das sind Begriffe, die man gemeinhin nicht mit dem Alltag auf einer Baustelle in Verbindung bringt.
Bickel: Es gibt eine zunehmende Diskrepanz zwischen der hochstehenden Architektur, die es hierzulande gibt, und der Qualität der Oberflächen. Die Wände in den Innenräumen sind oft einfach mit einem weissen Abrieb versehen, obwohl sie doch das Kleid der Räume sind. Entscheidet sich doch jemand für eine handwerklich aufwendige Oberfläche, gesteht man der Herstellung oft nicht mehr die nötige Zeit zu. Man kann keine Handwerkskunst verlangen, sich dann aber nicht an die Regeln halten, die die Herstellung zu eben dieser Kunst machen. Ein Öl trocknet nun mal oxidativ. Das kann man nicht beschleunigen. Stellt man einen Ofen zum Trocknen in den Raum, entstehen in mineralischem Putz nur Risse. Als Unternehmer bleibt mir die Möglichkeit, meine Kunden – Privatpersonen wie Planer – genau über die Anforderungen der jeweiligen Technik aufzuklären, sowohl was den Zeitrahmen für die Herstellung als auch die Pflege der Oberflächen betrifft. Und ich habe mich bewusst dafür entschieden, als Betrieb nicht weiter zu wachsen – nur so kann ich die Qualität bieten, die mich als Handwerker interessiert. 

Das klingt leicht resigniert.
Bickel: Mir gefallen die Ästhetik und die Haptik natürlicher Materialien. Wenn man einen Holzboden versiegelt, habe ich keine Freude mehr daran. Tadelakt hingegen ist für unsere Zeit, in unserem Umfeld auch für meinen Geschmack meist fast zu archaisch. Die runden Kanten und die kleinteilige Wolkigkeit, die durch das Polieren mit einem Stein entsteht – das passt nicht zur Umgebung, zu den Designlavabos, den Hochglanztüren und den Spots, die den Raum ausleuchten. Terra di Pietra ist eine Alternative: eleganter, aber trotzdem lebendig. Es sind zwei Techniken mit mineralischem Material, die sich ähnlich sind. Beide sind sehr schön, aber für mich passt Terra di Pietra besser zu unserer Zeit. 

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