Das Bau­haus wei­ter­we­ben

Die Lehre am Bauhaus bezog ihre Energie aus dem erklärten Willen zum Experiment, zum individuellen Handeln. Eine Methode, die heute zwischen digitalen und theoretischen Aspekten der Ausbildung wieder einen prominenten Platz einnehmen muss.

Publikationsdatum
11-07-2019

Vor 100 Jahren begründete Walter Gropius mit dem Bauhaus die wichtigste Schule für moderne Gestaltung. In mancher Hinsicht dient sie bis heute als Vorbild. Es sind allerdings weder die neuen Formen noch das Dogma des Funktionalismus, von denen immer noch Impulse ausgehen, sondern die Lehrmethoden: die Pädagogik des Bauhauses.

Man tut sich schwer mit diesem so kostbaren wie streitbaren kulturellen Erbe – das ist wohl die einzige Konstante in der wechselvollen Geschichte der Adaptionen. Im Gründungsjahr 1919 ging es noch vor allem um die Fortsetzung des «alten» Werkbundstreits zwischen den Befürwortern einer sozial wirksamen Serienproduktion und jenen, die nach einem neuen Stil suchten. Der Schweizer Architekturkritiker Peter Meyer warf 1927 dem Bauhaus, das sich für Flachdach und Metallglanz entschied, «klotzige Barbarei» vor.1 Heute streitet man darüber, ob die «unpolitische Gesinnung des Bauhauses» ein berechtigter Grund für die Absage des Konzerts einer linken Punkrockband im ikonischen Dessauer Gebäude war. Die Sprecherin der Stiftung Bauhaus Dessau wurde jedenfalls entlassen.

Die Kritik am Bauhaus zur NS-Zeit, die 1933 zur Schliessung der Schule am dritten Standort in Berlin führte, ist weniger erstaunlich als die Attacken der Nachkriegszeit. Daran waren sowohl die aus Amerika nach Deutschland zurückgekehrten Ästheten der Frankfurter Schule wie Theodor W. Adorno beteiligt, die vom «barbarischen Zugriff» des Funktionalismus sprachen,2 wie auch Architekten einer gemässigten Moderne. Rudolf Schwarz warf dem Bauhaus vor allem seine «unerträgliche Phraseologie» vor, jene dogmatische Haltung, die die Schule «immer tiefer in den Sumpf» steuerte.3 Seine Polemik löste in der Bauhaus-Debatte von 1953 wütende Reaktionen aus. Die Ab­lehnung oder Annahme des Bauhaus-Gedankens war während des Kalten Kriegs in der DDR und der Bundesrepublik Deutschland eine Frage der politischen Zuordnung.

Das Leben mit dem Bauhaus ist nicht leicht

Fast 30 Jahre später hatte der amerikanische Essayist Tom Wolfe leichtes Spiel, als er seinen Bestseller «From Bauhaus to Our House» schrieb: Die meisten kritischen Argumente wurden in den deutschen Diskus­sionen bereits verschossen. Wolfe hat sich aber vor allem darüber aufgeregt, dass eine Architektur, die in Deutschland als Antwort auf die Probleme der ­Zwischenkriegszeit entwickelt wurde, in den Vereinigten Staaten «nun hoch und breit aufgetürmt, in Form von Kunstgalerie-Anbauten für altehrwürdige Ivy-League-Universitäten, Museen für Kunstmäzene, Eigentumswohnungen für die Reichen, Firmensitzen, Rathäusern, Landhäusern» verwendet wird: «Arbei­terwohnungsbau für jeden Zweck, ausser für Arbeiter zum Wohnen».4 Im Unterschied zum Originaltitel stellt die deutsche Version resigniert fest, dass wir nun mit dem Bauhaus leben müssen, ob es uns gefällt oder nicht. Es ist eben nicht leicht, das Leben mit dem Bauhaus.

Wäre das Bauhaus zu seiner Blütezeit mit heutigen Kriterien evaluiert worden, hätte die sächsische Regierung die Institution schliessen müssen. In unserer Zeit der verwalteten Hochschulreputation findet die neuhumanistische Idee des Bauhauses – die technische und künstlerische Allgemeinbildung, die am Webstuhl oder in der Metallwerkstatt beginnt – keinen Platz in höheren Bildungsanstalten. Bildung, ursprünglich mit dem Programm der körperlichen und intellektuellen Selbsterziehung des Menschen, war im frühen Bauhaus noch mit Atemübungen und Mazdaznan-Ritualen verbunden und diente der Entfaltung der ­Begabungen.

Die Idee der Begabung ist jedoch suspekt geworden, weil sie der Gleichheit der Menschen widerspricht. Wir sprechen lieber über Skills, die alle erwerben können. Die moralisch begründete Ablehnung eines Studienkonzepts, das die Förderung und Entfaltung der Begabungen als seine wichtigste Aufgabe betrachtet, und die Kontrolle der Einhaltung von ethischen Grundsätzen im geregelten Studienbetrieb machten die Universität zu einer moralischen Instanz. Das war das Bauhaus nie. Die Schule hat ihren privilegierten Meistern fast unbeschränkte Freiheit und Autonomie gegeben, damit sie die Materialien und Techniken der neuen Realität durch ihr künstlerisches Sensorium und ihre Fantasie interpretieren und die Schüler so zum konstruktiven Denken und zum Erfinden erziehen. ­Heute, angesichts der explosionshaften Erweiterung der zur Verfügung stehenden Werkstoffpalette und der technischen Möglichkeiten, erscheint es wichtig, das P­otenzial dieser Pädagogik mit der Lehre in unseren Universitäten zu vergleichen.

Anmerkungen

Peter Meyer, «Moderne Architektur und Tradition», Zürich: H. Girsberger 1927, S. 42.
Theodor W. Adorno, «Funktionalismus heute», in ders., Ohne Leitbild. Parva Aesthetica. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1967, S. 104–127, hier S. 110.
Rudolf Schwarz, «Bilde Künstler, rede nicht. Eine (weitere) Betrachtung zum Thema Bauen und Schreiben», in Baukunst und Werkform, Jg. VI (1953), Heft 1, S. 9 ff.
Tom Wolfe, «Mit dem Bauhaus leben. Die Diktatur des Rechtecks», Übers. Harry Rowohlt. Königstein/Ts.: Athenäum 1982, S. 60 f.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 27-28/2019 «100 Jahre Bauhaus I: Grenzüberschreitung.» 

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