Das ab­ge­na­bel­te Haus

Dezentrale Stromproduktion

Null- und Plusenergiehäuser sind wichtige Einheiten im Konzept einer dezentralen Stromversorgung. Wie gross darf ein Wohngebäude aber sein, damit die Rechnung am Jahresende wirklich aufgeht? 

Publikationsdatum
14-04-2016
Revision
14-04-2016

Bisher wurde das Null- und Plusenergiekonzept vorwiegend an Einfamilienhäusern und kleineren Wohnungsbauten erprobt. «Bei sehr guter Dämmung ­und vollflächiger Belegung von Dach und Fassade mit Photovoltaikmo­dulen sind aber auch sich selbst versorgende Hochhäuser und gros­se Verwaltungsbauten möglich», erklärt Monika Hall, Wissenschaftlerin am Institut Energie am Bau der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW).

Ihre Erkenntnis bezieht sich auf das kürzlich abgeschlossene Forschungsprojekt «Grenznull»: Gebäude mit bis zu 40 Stockwerken können so viel Solarstrom selber erzeugen, dass sie ihren eigenen Energiebedarf vollständig abdecken (vgl. Kasten unten).

Simulationen anhand von vier Modellgebäuden zeigen ­jedoch: Eine ausgeglichene ­Bilanz ist mit zunehmender Höhe immer schwieriger zu erreichen, da die Module an der Fassade einen geringeren spezifischen Solar­ertrag beisteuern als auf dem Dach.

«Gebäude mit fünf bis sechs Stockwerken und sechs Wohnungen pro Etage erlauben den Nullenergiestandard aber in vielen Fällen», ­lautet eine Hauptaussage der Grenznull-Studie. Die Berechnungen berücksichtigen verschiedene Parameter wie die Art der Wärmeerzeugung (Gas, Fernwärme, Wärmepumpe), die Sonnenscheindauer, die Beschattung durch Nachbargebäude und die eigenen Bal­kone sowie den Systemwirkungsgrad der Photovoltaik-(PV-)Anlage. 

FHNW-Forscherin Hall hat die Simulationsergebnisse an drei grösseren Wohngebäuden validiert: Der «Palazzo Positivo» in Chiasso (vgl. TEC21 41/2014) nutzt die achtstöckige Fassade und das Dach zur Solar­energieproduktion; in Romanshorn steht ein Mehrfamilienhaus mit sechs Geschossen und Plusenergiebilanz; und das dritte Beispiel sind mit Solarpaneelen eingehüllte Zwillingshochhäuser in Zürich Leimbach.

Heizbetrieb maximieren

Folgende Hauptfaktoren begünstigen laut Hall die Erreichung des Nullenergie-Ziels: ein sehr hoher Dämmstandard, energieeffiziente Haushaltsgeräte, Fernwärme oder Wärmepumpe zur Erzeugung von Heizwärme und Warmwasser, gros­se PV-Flächen mit hohem Systemwirkungsgrad (14 bis 20 %) sowie geringe Verluste bei der Wärmeverteilung und -speicherung.

Kaum beeinflussbar ist dagegen die Verschattung durch Nachbargebäude. Ebenfalls gering ist der Einfluss vorgelagerter Balkone oder die Ausrichtung des Gebäudes. 

In zwei vom Bundesamt für Energie (BFE) geförderten For­schungs projekten hat Monika Hall zusätzlich untersucht, wie Betrei­ber von PV-Anlagen ihre Eigenverbrauchsquote maximieren können. Am deutlichsten wird der Anteil erhöht, wenn die Betriebszeit der ­Wärmepumpe in die Tagesstunden verlegt wird.

Ein Plusenergiegebäude in Rupperswil diente als Fall­beispiel: 16 % des Stromverbrauchs entfallen auf die Wärmepumpe. Da ­sie grundsätzlich nur zwischen 10 und 19 Uhr läuft, wurden im Win­ter 1000 kWh PV-Strom am Tag, anstatt in den Abend- und Nachtstunden, konsumiert.

Der Eigenversorgungsgrad stieg dadurch von 21 % auf 34 %, ohne dass ein grösserer Energiespeicher eingebaut werden muss. Andere Forschungsprojekte zeigen, dass ­die Quote auf deutlich über 50 % erhöht werden kann.

Komfort immer ein Muss?

Im Anschlussprojekt untersuchte Hall, wie eng sich die Betriebszeit der Wärmepumpe maximal begrenzen lässt. Wurde das Zeitfenster für den Betrieb auf weniger als sieben Stunden verkürzt, war das Haus nicht mehr ausreichend beheizt. Für Holzbauten sind kurze Betriebs­zeiten ungeeignet, weil die Leichtbauweise zu wenig Wärmespeicherfähigkeit besitzt.

Eine interessante Beobachtung machte die FHNW-Forscherin am Rand. Die Komfortbedingungen für die Raumwärme sind nicht unbedingt ein Muss: Obwohl das Komfortminimum von 20 °C (gemäss SIA-Norm 180 «Wärmeschutz, Feuchteschutz und Raumklima in Gebäuden») bisweilen um 1K unter­schritten wurde, beschwerten sich die Mieter nicht. 

«Die festgeschriebenen Mindesttemperaturen sollten zumin­­dest punktuell unterschritten werden können, um einen flexibleren Be­trieb der Wärmepumpen zu ­er­mögli­chen. Sie würde dann vermehrt laufen, wenn eigener PV-Strom direkt genutzt werden kann», lautet die Schlussfolgerung von Monika Hall.

Weitere Informationen
Schlussbericht zum Forschungsprojekt «Grenznull», Bundesamt für Energie 2016; Bezug unter: www.bfe.admin.ch


Definierte Energiebilanz

Null- respektive Plusenergiegebäude produzieren dank einer eigenen PV-Anlage übers Jahr mindestens so viel Strom, wie die Bewohner mit haustechnischen Anlagen für Heizung, Kühlung, Warmwasser, Lüftung sowie den Privatgebrauch verbrauchen. In der erwähnten FHNW-Studie ist der Haushaltsstrom für Elektro- und Haushaltsgeräte und Beleuchtung, unabhängig von der Bewohnerzahl, mit spezifischem Jahresbedarf von 20 bis 30 kWh/m2 deklariert.

Davon sind Bilanzierungskonzepte wie zum Beispiel der Gebäude­standard Minergie-A abzugrenzen, die sich auf die Versorgung des Raum­klimas beschränken. Folglich decken solche Objekte nur den Jahresverbrauch an Wärme und Kälte für Heizung, Kühlung, Warmwasser, Lüftung und haustechnische Hilfsbetriebe mit hauseigenem Solarstrom.

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