Pla­tin, Pla­tin, Pla­tin

Die Fassade des Campus Pictet de Rochemont von dl-a, designlab-­architecture wird zwar aus Aluminium bestehen, und auch der Beton wird mit Stahl bewehrt. In drei Nachhaltigkeitsstandards jedoch soll der Neubau als höchste Auszeichnung ein edleres Metall erobern: Platin.

Publikationsdatum
02-09-2022

Auf etwa 230 Hektar beläuft sich die Fläche, auf der in Genf ein ganzes Stadtquartier umgestaltet werden soll. Das «PAV» – der Projektname bezieht sich auf die Orte Praille, Acacias und Vernets – wird sich damit in die derzeit grössten Stadtentwicklungsmassnahmen Europas einreihen. Südlich der Arve, vor ihrer Mündung in die Rhone, wird das Gebiet heute vorwiegend gewerblich-industriell, aber auch zu Wohnzwecken genutzt.

Die Arbeitsplätze wie auch hochwertige Wohnungen sollen sich künftig dort vervielfachen. Erreicht wird dies mit einer Verdichtung, die vor allem in die Höhe gehen wird. Gleichzeitig sollen aber auch Aussenräume angemessen ­gestaltet werden. Die Öffnung eingedolter Gewässer, etwa des Flusses Drize, ist ebenso Bestandteil dieses Projekts wie die Schaffung von Grünflächen.

Eine Bank als Campus

Einen bedeutenden Baustein dieser Entwicklung stellt der Campus Pictet de Rochemont dar, dessen Eröffnung auf das Jahr 2025 datiert ist. Im neuen Gebäude der Pictet-Gruppe werden 100 Wohnungen und 2500 Arbeitsplätze entstehen. 55000 m2 Bürofläche auf 23 Stockwerken beinhaltet das 90 m hohe Geschäftshaus. Dabei soll es eines der umweltfreundlichsten Gebäude Europas werden. Die Messlatte hierfür liegt hoch. Drei Platin-Zertifizierungen durch die Nachhaltigkeits- und Qualitätsstandards SNBS, LEED und WELL sollen dieses Ziel spruchreif machen.

Nachhaltigkeitsstandards
 

 

SNBS: Der Standard Nachhaltiges Bauen Schweiz zielt auf das Gebäude selbst, aber auch sein Umfeld ab. Dabei wird nicht nur die Umweltbilanz eines Baus betrachtet, sondern auch die Auswirkungen auf sein Umfeld, die Nutzbarkeit, der Komfort für die Benutzer und auch die Kosten respektive das Kosten-Nutzen-Verhältnis miteinbezogen.
 

 

LEED: Leadership in Energy and Environmental Design ist ein amerikanisches, international anerkanntes Label, dessen Fokus auf den Umweltbelangen wie Energieverbrauch, eingesetzte Materialien etc. der Bauten liegt.
 

 

WELL: Beim internationalen WELL-Zertifikat liegt das Augenmerk auf dem Wohlbefinden und der Gesundheit der Benutzer eines Gebäudes.

Unter anderem soll die gesamte Energie für das Gebäude durch regenerative Quellen abgedeckt werden, die Hälfte der Dachflächen begrünt ausfallen und Materialien mit wenig Emissionen eingesetzt werden. Die Aluminiumfassade soll zu 90% aus rezykliertem Material stammen, beim verwendeten Beton sollen es immerhin 60% sein – allerdings nur bei nicht tragenden Bauteilen. Abbruchmaterialien werden so weit als möglich der Wiederverwertung zugeführt werden, in erster Linie soll der Transport mittels Bahn erfolgen.

Der ­bisher eingedolte Fluss Drize wird geöffnet und revi­­talisiert, Rgenwassernutzung zur Bewässerung der Grünflächen ist ebenfalls vorgesehen. Im Innenhof des Gebäudekomplexes entsteht ein öffentlicher Park, der an die Umgebung angeschlossen ist, und 90% der Arbeitsplätze bekommen Sicht nach aussen. Die verkehrstechnische Erschliessung stützt sich auf eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr, für Velos stehen 700 Plätze zur Verfügung.

Um die zahlreichen Anforderungen an dieses Leuchtturmprojekt zu erfüllen – die Zertifizierungen stützen sich auf 400 Kriterien –, wurde der Campus Pictet de Rochemont mit BIM 6-D geplant. TEC21 fragte bei Anne-Claire Pliska und Michael Enzmann von BG Ingenieure nach, wie die Erfahrungen mit dieser recht neuen Planungsmethode waren.

BIM 6-D bezieht sich auf weitere Dimensionen, die in einem Modell integriert sind. Bildet eine 3-D-Planung nur das Räumliche ab, ist bei 4-D bereits die Ausführungszeit hinterlegt, etwa die Bauzeit bestimmter Elemente. In 5-D fliessen die Kosten mit ein; eine Veränderung eines Bauteils spiegelt sich also in den Kosten wider. In BIM 6-D kommen nun noch die Nachhaltigkeit und Effizienz hinzu. Es wird faktisch ein Energiemodell des Gebäudes erstellt, mit dem sich Verbesserungen schnell verifizieren lassen. Noch weiter käme 7-D zum Einsatz. Hier würden sich Wartungsmassnahmen (Facility Management) schon im Modell wiederfinden.

TEC21: Frau Dr. Pliska, Sie sind Direktorin für Stra­tegische Planung und Innovation der BG-Gruppe. Welche Position nehmen Sie bei der Planung des Campus Pictet ein?

Anne-Claire Pliska: BG führt einen Innovationsfonds, der dazu beiträgt, neue Dienstleistungen und Methoden zugunsten unserer Kunden zu entwickeln. Die BIM-6-D-Methodik für das Pictet-Projekt wurde im Rahmen dieses Fonds entwickelt. Es ist eine Prozessinnovation, die von uns kreiert und auf den Markt gebracht wurde. Der Vorteil für den Kunden liegt in der optimierten energetischen Dimensionierung bei einer schnellen Planungszeit.

Der Campus Pictet gilt als Leuchtturmprojekt. Was macht das Projekt so besonders?

Pliska: Heute reden viele Immobilienfirmen über Nachhaltigkeit am Bau. Wir von BG setzen sie um! Der Campus Pictet de Rochemont in Genf stellt eine ökologische Referenz im Gebäudebereich dar: Das Baukonzept, das eine modulare Nutzung ermöglicht, das Energiekonzept, das eine angemessene Dimensionierung der technischen Anlagen erlaubt, und die Nutzerzugänglichkeit mit einem starken Schwerpunkt auf sanfter Mobilität in der Umgebung des Campus machen ihn zu einem einzigartigen Projekt.

Der Gebäudekomplex hat das Ziel, die SNBS-, LEED- und WELL-Labels auf Stufe Platinum zu erhalten, und damit differenzierte Leistungen aufzuwerten:

  • Nachhaltigkeit und wirtschaftliche Tragfähigkeit (SNBS, Schweizer Label),
  • Umwelt- und Energieschutz (LEED, internationales Label)
  • Niveau des Wohlbefindens der Bewohner (WELL, internationales Label).

Bisher hat noch kein Gebäude in der Schweiz alle drei Labels erhalten. Dies wird also eine Premiere!

Herr Enzmann, Sie sind Einheitsleiter bei BG im Gebäudebereich. Wie können Labels eine Sensibilisierung für nachhaltige Gebäude schaffen?

Michael Enzmann: Damit eine Immobilie als nachhaltig betrachtet werden kann, müssen verschiedene Themen in den Bereichen Ökonomie, Ökologie und Gesellschaft miteinander in Einklang gebracht werden. Die gegenseitige Beeinflussung dieser Themen ist komplex und lässt sich nicht so einfach erkennen und darstellen. Labels führen diesbezüglich zu einer Transparenz, die es der Allgemeinheit ermöglicht, Immobilien miteinander zu vergleichen. Dieser Aspekt ist vor allem für professionelle Investoren in der Immobilienbranche wichtig, da längerfristig Immobilien mit einer guten Bewertung prioritär nachgefragt werden. In diesem Sinn helfen die Labels mit, die Sensibilisierung für nachhaltige Gebäude zu stärken.

Welche Infrastruktur wird das Gebäude bei seiner Fertigstellung aufweisen? Wie funktioniert die Klimatisierung? Und welche Energieträger kommen zum Einsatz?

Enzmann: Heute ist es natürlich nicht mehr denkbar, fossile Energiequellen vorzusehen. Die Gebäude des Pictet-Campus profitieren daher von einem Energiekonzept, das zu 100% auf lokalen erneuerbaren Energien basiert. Es handelt sich um einen Mix, der sich aus folgenden Elementen zusammensetzt:

  • Erdwärmesonden: Insgesamt wurden 33km vertikale Sonden in einer Tiefe von 300m installiert.
  • Wärmerückgewinnung aus Abwasser: Das System ist in ein 85m langes privates Abwassernetz ­integriert.
  • Aerothermie: Luft-Wasser-Wärmepumpen mit natürlichem Kältemittel (Propan) sind auf dem Dach des Hochhauses installiert und mit einem Luftkühler kombiniert. Die installierte Leistung beträgt 3500 kW für die Heizung und 3200 kW für die Kühlung. Simulationen, die auf stündlichen Energieprofilen basieren, haben die Installation validiert.

Die Gebäudetechnik wurde mit BIM 6-D geplant. Was ist darunter zu verstehen?

Enzmann: Die Modellierung von Gebäude­informationen in BIM 6-D und dynamische thermische Simulationen (DTS) ermöglichen es, genaue Schätzungen des Energieverbrauchs eines Gebäudes und damit des Produktionsbedarfs zu erstellen. Wir können uns von Standard-Engineering-Modellen lösen, die generell dazu neigen, den Bedarf zu überschätzen und somit die Anlagen zu überdimensionieren. Die Modellierung mit DTS ermöglicht also einen langfristig geringeren Energieverbrauch. Detaillierte Analysen sind möglich, und die Aus­wirkung einer Planungsentscheidung auf die wirtschaftlichen und betrieblichen Aspekte in der Be­triebsphase sind abschätzbar. Insgesamt wird ein besseres Management des Gebäudes während der Betriebsphase ermöglicht.

Inwiefern erleichtert eine BIM-6-D-Planung das Erreichen der Nachhaltigkeitsstandards? Wäre eine solch aufwendige Planung mit herkömm­lichen Methoden (2-D, 3-D) möglich gewesen?

Enzmann: Um das LEED-Label zu erhalten, müssen dynamische thermische Simula­tionen durchgeführt werden. Solche Simulationen für einen so komplexen Campus sind zeitaufwendig und auf­reibend. Bei herkömmlichen Methoden müssen 2-D-­Architektenpläne in die Simulationssoftware integriert und Materialien, Oberflächen, Öffnungen, technische Anlagen und Belegungsarten konfiguriert werden, bevor die eigentlichen Simula­tionen durch­geführt werden können. Das Verfahren ist schwer­fällig, zumal die Architektenmodelle sehr detailliert sind, eigentlich zu detailliert, um diese Art von Berechnungen in einer praktikablen Zeit durchzuführen. Die Berechnungszeiten können im­merhin eine Woche dauern. Die Innovation besteht also darin, ein vereinfachtes BIM-Modell mit geo­metrischen und thermischen Informationen in die Simulationssoftware zu integrieren. Indem wir die Berechnungen anschlies­send in die Cloud verlagern, können wir die dynamischen Simulationen massiv beschleunigen und durch den Vergleich mehrerer technischer Varianten schnell aussagekräftige Ergebnisse erzielen.

Wie viel Mehraufwand etwa bereitet eine solche 6-D-Planung? Kann man das abschätzen?

Enzmann: Dank der BIM-6-D-Planung wurde hier tatsächlich Zeit gespart! Dies ist eine Innovation im Energieplanungsprozess. BIM 6-D liefert aber auch genauere Ergebnisse, was wiederum zu einer optimierten Dimensionierung der Anlagen führt, da die in den Ingenieurstandards vorgesehenen Berechnungsspannen vermieden werden.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 27/2022 «Neue Grossbauten für neue Quartiere».

Gebäudetechnik Kongress
Dr. Anne-Claire Pliska ist Referentin zum Thema Planung mit BIM 6-D am Gebäudetechnik Kongress am 14. September 2022 in Baden.

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