Viel ge­zeigt und nichts ge­sagt

Die Hauptausstellung der Architekturbiennale Venedig im Arsenale präsentiert eine Flut von Exponaten. Die wenigsten wagen sich an relevante Themen, übergeordnete Zusammenhänge oder kritische Fragen. Dennoch lohnt sich der Besuch – nur schon als Anregung, den Diskurs ernsthafter anzupacken.

Publikationsdatum
15-05-2025

Der erste Raum der Hauptausstellung im Arsenale dient traditionell als Transit: Die Besuchenden lassen das gleissend helle venezianische Labyrinth hinter sich und werden auf den schattigen, streng linearen Weg im langgestreckten Corderie-Gebäude umorientiert. Die Schleuse zwischen den zwei Welten überrascht, lässt innehalten und stimmt auf das Biennale-Thema ein.

Dieses Jahr gelingt die Einstimmung nur bedingt. Das liegt nicht an der Qualität der ersten Installation, sondern am Thema selbst: «Intelligens. Natural. Artificial. Collective.» Das Motto klingt vage – auch das eine Biennale-Tradition –, dahinter steht jedoch eine Ansage. Kurator Carlo Ratti formuliert sie so: «Jahrzehntelang reagierte die Architektur auf die Klimakrise, indem sie versuchte, ihre klimaschädigenden Auswirkungen zu vermindern. Doch dies ist nicht mehr genug. Nun muss sich die Architektur anpassen.» 

Architektur, so Ratti weiter, sei immer die Antwort auf ein feindliches Klima gewesen. Heute, in Zeiten der Klimakrise, sei sie es erst recht und müsse sich darauf zurückbesinnen. Dabei müsse sie sich alle Formen von Intelligenz – natürlich, künstlich und kollektiv – zunutze machen. Die Schreibweise «Intelligens» ist ein etymologisch gewagtes Wortspiel mit gens, dem lateinischen Begriff für Volk, Stamm, Familie und soll «uns dazu einladen, jenseits des heutigen, limitierten Fokus auf KI und digitalen Technologien zu experimentieren» – und zwar gemeinsam.

Netto-Null war gestern – im Ernst jetzt?

Dieser Aufruf an die Architektur, sich mit allen Mitteln gegen eine feindliche Umwelt abzugrenzen, sorgt für Irritation, an der Biennale und darüber hinaus. Dass der primäre Zweck jeglichen Bauens seit der Urhütte und auch in der Tierwelt darin besteht, die Bewohnenden zu schützen, ist unbestritten; selbstverständlich ist diese Funktion weiterhin zentral. Auch die Feststellung, dass die Ziele des Pariser Abkommens zur Eindämmung der Erderwärmung nicht erreicht werden, ist leider korrekt; fraglos muss die Architektur – neben ihren Bemühungen, ihren CO2-Fussabdruck zu verringern – Antworten auf die Folgen des Klimawandels finden.

Doch was Ratti aus diesen Erkenntnissen folgert, kann als Paradigmenwechsel verstanden werden: Anstatt den Menschen als Teil eines Ökosystems zu betrachten, auf dessen Zusammenhänge er Rücksicht zu nehmen hat, entbindet er die Architekturschaffenden der Verantwortung, schädliche Folgen ihres Tuns zu vermeiden. Angesichts der Tatsache, dass das Bauen rund 40% der weltweiten Treibhausgasemissionen verursacht, wäre eine solche Haltung fatal.

Lesen Sie auch: 
Bien­nale de Ve­nise 2025: Ratti-fi­cial 
(auf Französisch)

Ob der Kurator tatsächlich im Sinn hatte, die Vermeidungs- und die Anpassungsstrategie gegeneinander auszuspielen, bleibt offen. Zumindest scheint er die Notwendigkeit, auf das Netto-Null-Ziel hinzuwirken, zu relativieren. Mit dieser Haltung wäre er nicht allein, politisch erfreut sie sich weltweit zunehmender Akzeptanz. Diese Unklarheit löste Verunsicherung aus, sodass der rote Faden der Ausstellung noch verwirrter ausfällt als sonst und zuletzt völlig zerfranst.

Hausgemachtes Inferno als Auftakt

Die meisten Präsentationen vermeiden politische Stellungnahmen, konkrete Zahlen und unbequeme Zusammenhänge. Bei manchen fragt man sich, ob sie naiv, ironisch oder einfach nur zynisch gemeint sind. Die meisten beschränken sich darauf, aktuelle Projekte oder Forschungsergebnisse zu vermitteln, ohne direkt auf das Biennale-Motto zu reagieren. Offene Kritik üben nur wenige.

Zu den unverhohlen kritischen Beiträgen gehört die erste Installation, jene im Transit-Raum, konzipiert vom deutschen Büro Transsolar. Nach dem Lesen der kurzen Einführung von Carlo Ratti im Eingang geht man durch einen schwarzen Filzvorhang hinein und begreift mit einem Schlag, weshalb die kuratorische Zielvorgabe zum Scheitern verurteilt ist. Man landet unvermittelt in einem dunklen, feuchten, überhitzten Raum voll surrender Klimaanlagen, die weitere Abwärme produzieren, und schlängelt sich, einen Ausgang suchend, mit wachsendem Unbehagen zwischen hüfthohen Becken voll Brackwasser hindurch. 

Die Botschaft dieses sinnlich überwältigenden, apokalyptischen Raums fährt körperlich ein: Unsere Versuche, mittels Technik ein angenehmes Lebensumfeld zu schaffen, mögen punktuell funktionieren, im grösseren Massstab bewirken sie oft das Gegenteil. Die Folgen der Klimaerwärmung mit technischen Mitteln von sich fernzuhalten, mag vielerorts notwendig sein; noch notwendiger jedoch wäre es, eine weitere Erwärmung zu verhindern. 

Fakten, die zum Denken anregen

Was danach folgt, ist eine schier endlose Aneinanderreihung von Exponaten unterschiedlicher Grösse und Qualität. Weil der zweite Ausrichtungsort der Ausstellung, der Hauptpavillon in den Giardini della Biennale, wegen Umbau geschlossen ist, wirkt die Anordnung der Beiträge im Arsenale noch dichter als sonst. Dies erschwert die Orientierung, da nicht immer klar ist, auf welche Installation sich die Erläuterungstafeln jeweils beziehen. 

Immerhin finden sich in diesem Sammelsurium auch eindrückliche Beiträge, die allein einen Besuch lohnen. Zum Beispiel «Calculating Empires: A Genealogy of Technology and Power since 1500» von Kate Crawford (New York, USA) und Vladan Joler (Novi Sad, Serbien), zwei 12 m lange, überhohe Tafeln, auf denen unterschiedliche Kontrollmechanismen der letzten 500 Jahre diagrammatisch dargestellt sind – ein synoptisches Wimmelbild, das schonungslos in der Übermacht von digitalen Technologien und KI kulminiert. 

Dem Vermittlungsmittel Diagramm selbst widmet sich auch eine eigene, sehr sehenswerte Ausstellung von AMO/OMA in der Fondazione Prada: Sie zeigt wunderschöne historische Exponate aus Zeiten, als die in Diagrammen dargestellten Inhalte noch auf selbst erhobenen – oder selbst erfundenen – Daten beruhten und nicht auf den undurchsichtigen Such- und Interpretationsmechanismen heutiger KI.

Hightech, Lowtech, Hobbygarten

Mehrere Beiträge, sowohl im Arsenale als auch beispielsweise im kanadischen Pavillon, widmen sich Baustoffen, die von Robotern gespritzt werden und dank Pilzen, Algen oder Bakterien weiterwachsen und sich verhärten. Trotz der Faszination für diese Hightech-Symbiosen stellt sich die grundsätzliche Frage, welchen Beitrag sie global leisten können. 

Die gleiche Skepsis erwacht allerdings auch bei den zahlreichen vernakulären Bauweisen und biobasierten Baustoffen, die es zu sehen gibt. Bei manchen Materialien ist eine Anwendung im industriellen Massstab – und damit ein tatsächlicher Einfluss auf das Klima – nicht ausgeschlossen. Anderen fehlt schlicht die Relevanz: Die Verwendung von Elefantendung zur Herstellung von Bausteinen mag an einigen Orten sinnvoll sein, skalieren lässt sie sich jedoch kaum und kann höchstens als Inspiration zu eigenen kreativen Lösungen dienen. 

Seltsam muten auch die niedlichen Tröge samt Bewässerungssystem an, die europäische Stadtbewohner zum Bepflanzen ihrer Balkone und Dachterrassen animieren sollen; teilweise gleicht die Ausstellung einer kommerziellen Gartenbau-Messe.

Naivität, Opportunismus …

Fast alle Beiträge verweigern sich der kritischen Reflexion, inwiefern das Gezeigte im Kontext der Klimakrise überhaupt zielführend ist. Unklar ist, ob dies aus Naivität geschieht oder aus Opportunismus. Wer widersteht schon der Versuchung, an der Biennale zu partizipieren? Hier hätte es eine klare kuratorische Haltung gebraucht.

Zu den ärgerlichen Beiträgen gehören etwa hübsch ausgeleuchtete Arrangements, die für Bauschutt als Baustoff werben: Reuse von Abbruchmaterialien ist gut, besser wäre jedoch Refrain, also gar nicht erst abzubrechen. Und wenn eine tansanische Mädchenschule auf dem Land vorgestellt wird, deren Dach von materialsparenden Lehmstützen aus dem 3-D-Drucker getragen wird, kommt man nicht umhin zu denken: Wäre es nicht sinnvoller gewesen, sie durch lokale Arbeitskräfte errichten zu lassen? 

Möglicherweise gut gemeint ist auch eine Installation, die in – beabsichtigter? – Souvenir-Shop-Manier darauf hinweist, dass schon die alten Griechen ihre Amphoren in Seegras verpackten: Soll das die Lösung sein für das wirkliche Problem, nämlich die Menge von Gütern, die unnötigerweise um den Erdball verfrachtet werden?

… oder blanker Zynismus?

Richtig mulmig wird es einem im letzten Teil der Ausstellung, die technischen Fortschritten gewidmet ist. Etwa dem Vorschlag, durch Roboter gewartete Rechenzentren auf den Mond auszulagern, weil es auf der Erde ja zu heiss wird – so können sich die zurückgebliebenen Menschen immerhin mit guten digitalen Angeboten trösten.

Weitere Ideen sind: ein sexy geschnittener Raumanzug für eine Menschheit, die interplanetär unterwegs ist; ein Survival-Kit, der tagsüber Schatten spendet und nachts Wasser aus der Wüstenluft kondensiert; ein Zelt aus ursprünglich für die NASA entwickelten Spezialstoffen als Unterkunft; geodätische Kuppeln mit Paradiesgarten für Superreiche. Auch hier bleibt offen, ob diese Ideen wörtlich – das heisst: zynisch – gemeint sind oder als Kritik und Warnung.

Hingehen? Hingehen!

Und das ist vielleicht das grösste Problem dieser Ausstellung: Sie ist gefällig. Viele Projekte sind gut gemeint, sozial und ökologisch nachhaltig, sie sind harmlos und schaden niemandem, es gibt nichts einzuwenden – ausser, dass ihre Wirkung sehr begrenzt ist. Andere, die Kontroversen provozieren könnten, sind so präsentiert, dass man sie – je nach politischer Haltung – als Fortschritt oder als Kritik interpretieren kann.

Der Kurator gibt sich kämpferisch, doch seine Ausstellung nimmt dem Diskurs jeglichen Wind aus den Segeln. Umso wertvoller sind die wenigen Beiträge, die ihn dennoch führen, innerhalb der Hauptausstellung und in den Pavillons. Ein Besuch der Biennale lohnt sich deshalb auf jeden Fall.

Verwandte Beiträge