Ei­ne Fra­ge des Lichts

Das Area Control Center in Dübendorf, für die zivile ­Flug­sicherheit in der Schweiz zuständig, wurde im Februar 2021 umgebaut. Das Beleuchtungs­konzept von Sommerlatte & Sommerlatte baut auf ­chronobiologischen ­Erkenntnissen auf – es unterstützt die Konzen­­trations­fähigkeit der Lotsen und schafft Tageslicht, wo gar keines ist.

Publikationsdatum
09-06-2022

Grenzenlose Freiheit vermutete der deutsche Liedermacher Reinhard Mey einst über den Wolken. Aber wie das mit der Freiheit so ist – bis zum Chaos ist es möglicherweise nur ein kleiner Schritt, und ein Durcheinander gilt es in der Luftfahrt tunlichst zu vermeiden. Zuständig dafür ist jeweils die Flugsicherheit eines Landes; in der Schweiz regulieren die von der Flugsicherungsgesellschaft Skyguide betriebenen Area Control Center in Dübendorf und Genf die zivile Luftfahrt. Die dort tätigen Fluglotsen sind zuständig für den  Schweizer Luftraum sowie für jenen des angrenzenden Auslands. Starts und Landungen wickeln die Towerlotsen des jeweiligen Flughafens unabhängig davon ab.

Müde Augen, müder Kopf

Untergebracht ist das Dübendorfer Area Control Center in einem weitläufigen Komplex auf dem dortigen Militärflughafen. Die zivile Flugsicherung belegt in dem Gebäudekomplex von 2006 (Architektur: Jakob Burkard, Bern) einen 960 m2 grossen, gefangenen Raum – ohne Tageslicht oder Sichtbezug nach draussen. Dort arbeiten die Lotsinnen und Lotsen im 24-Stunden-Betrieb, jeweils in Sieben-Stunden-Schichten. Die maximale Einsatzzeit am Stück für jeden Fluglotsen beträgt zwei Stunden, gefolgt von einer Pause von 40 bzw. 30 Minuten.

Die Tätigkeit ist anspruchsvoll, die Konzentration hoch – ein Umstand, dem die Gestaltung des Raums bis zum aktuellen Umbau nicht unbedingt entsprach. Die Beleuchtung bestand aus in die abgehängte Decke montierten, grossflächig quadratischen Lichtdecken, die diffuses Licht abstrahlten. Die hohe Leuchtdichte der Lichtdecken sowie der starke Kontrast zur dunkel erscheinenden Decke führten zu Direkt- und Reflex­blendung, was den Sehkomfort und damit auch die Konzentrationsfähigkeit einschränkte und bei den Nutzerinnen und Nutzern zu Ermüdung führte. Hier sollte ein neues Beleuchtungskonzept Abhilfe schaffen.

Aufgrund einer früheren Zusammenarbeit wendete sich Skyguide dafür an das Zürcher Lichtplanungsbüro Sommerlatte&Sommerlatte. Den Lichtplanenden war schnell klar, dass sie hier die Quadratur des Kreises zu lösen hatten, und zwar gleich mehrfach: Damit man sich konzentrieren kann, muss es möglichst hell sein. Gleichzeitig galt es, Blendungen auf den dunklen Radar­monitoren zu vermeiden. Zudem wünschten sich die Mitarbeitenden einen Aussenbezug: ein Anliegen, das allerdings 2017 aufgrund einer Studie aus Kostengründen von der Bauherrschaft verworfen wurde.

Die innere Uhr stellen

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Fachleute mit einer Faszination fürs Fliegen in einem gefangenen Raum ohne Sichtbezug nach draussen und ohne Tageslicht arbeiten. Für die Planerinnen und Planer war daher klar, dass ihr Auftrag über ein reines Beleuchtungskonzept hinausgehen und möglichst viel «Flugatmosphäre» im Raum geschaffen werden sollte. Sie entschlossen sich, das Tageslicht zu simulieren und den Schlaf-Wach-Rhythmus der Mitarbeitenden durch biologisch wirksames Licht zu unterstützen – Stichwort: Human Centric Light. Der Begriff umschreibt eine Beleuchtung, die das Wohlbefinden, die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit positiv beeinflussen soll (vgl. TEC21 35/2016). Konkret wird die Beleuchtung dabei dem natürlichen Tagesverlauf angepasst, und zwar nicht nur in Bezug auf die Beleuchtungsstärke, sondern auch hinsichtlich des Lichtspektrums. Lichtquellen mit einer hohen melanopischen tageslichtäquivalenten Beleuchtungsstärke (MEDI) können die zirkadiane Rhythmik, also den Wach-Schlaf-Rhythmus, unterstützen. Das bedeutet: hohe Blauanteile in den Morgenstunden, wärmeres Licht bei Sonnenaufgang, ansteigende Blauanteile zum Mittag, Abnahme der Blauanteile gegen Abend und hohe Blauanteile mit niedriger Beleuchtungsstärke nach Sonnenuntergang. Das sich verändernde Licht wirkt so über melanopsinhaltige fotosensitive Ganglienzellen («ipRGC») im Auge unmittelbar auf die Synchronisation der biologischen Uhr und damit auf die Ausschüttung des Dunkelhormons Melatonin aus der Zirbeldrüse.

Für diese Art von Beleuchtung existieren allerdings bisher keine Vorschriften. Die aktuellen Beleuchtungsnormen, die nur die visuellen Aspekte des Lichts berücksichtigen, führen meist dazu, dass nur wenig nicht visuell wirksames Licht das Auge erreicht und dessen Potenzial nicht ausgeschöpft werden kann. Die Planenden wendeten sich daher für Unterstützung an das Zentrum für Chronobiologie der Universität Basel.

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Indirekt, grossflächig, blendfrei

Die im Austausch mit den Forschenden gewonnenen Erkenntnisse resultierten in mehreren Massnahmen. Häufig führt die nach unten gerichtete Beleuchtung von Deckenleuchten, die für Räume mit PC-Bildschirmen vorgesehen sind, zu einer relativ geringen vertikalen Beleuchtungsstärke. Diese ist aber wichtig, damit viel biologisch wirksames Licht durch die Pupille ins Auge gelangen kann – im Gegensatz zur horizontalen Beleuchtungsstärke, die die Helligkeit auf einer horizontalen Fläche wie einem Schreibtisch angibt. Um also eine möglichst hohe vertikale Beleuchtungsstärke zu erzielen, platzierten die Planenden zwölf mit LED bestückte Lichtmasten im Raum. Mit den auf die Decke gerichteten Leuchten (Lichtfarbe 5700 K; Farbwiedergabe Ra>92) schaffen sie via Reflexion indirektes Licht und erinnern zudem in ihrer Materialisierung aus Aluminium roh an die Lichtmasten am Rollfeld – ein Hauch von Flughafen im Innern.

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Überhaupt der Himmel: Am Beginn der Arbeiten stand die Frage, wie mit der ungeliebten abgehängten Decke umzugehen sei. Um die Intervention an diesem heiklen Punkt – Bauarbeiten über den Köpfen von Flug­lotsen bei laufendem Betrieb sind ein Tabu – möglichst gering zu halten, entschieden sich Bauherrschaft und Planungsteam dafür, die Decke zu erhalten, aber aufzuwerten. Neu spannt sich eine dreidimensionale, vertikal offene Papierschicht (Brandschutzklasse B1) ähnlich einer Girlande flächig durch den Raum – an diesem von Technik geprägten Ort ein überraschend poetisches Element. Durch die schiere Dimension des Raums wirkt das Ganze erstaunlich homogen.

Unterbrochen wird die Schicht durch vier ca. 6 m2 grosse Oberlichter, die einen Aussenbezug simulieren. Sie bestehen aus jeweils acht Leuchten, die einen virtuellen Himmel und ein zenitales Sonnenlicht erzeugen. Eine Nanobeschichtung auf den Gläsern der Leuchten simuliert die blaue Farbe des Himmels. Die Wirkung der Oberlichter ist verblüffend und verändert die Raumwahrnehmung radikal: Der Raum wirkt höher und offener. Da die Helligkeit dem natürlichen Sonnenverlauf folgt, können die Mitarbeitenden mit einem Blick erkennen, ob es draussen hell oder dunkel ist. Ergänzt wird die indirekte, blendfreie Grundbeleuchtung durch individuelle Arbeitsplatzleuchten, die die Fluglotsen bei Bedarf einschalten können. Im Bereich der Supervision in vorderen Raumteil sind sie als Pendelleuchten in Propellerform ausgeführt, eine weitere Reminiszenz an die Luftfahrt.

Ein Meisterstück der Organisation

Mindestens so spannend wie die Herausforderung, ­möglichst viel Licht bei möglichst wenig Blendung ins Auge zu bringen, war auch die bauliche Umsetzung des neuen Konzepts. Die Flugsicherheit arbeitet im 24-Stunden-Betrieb, ein Umzug in ein Provisorium während der Bauarbeiten war aus finanziellen Gründen nicht verhältnismässig: Alle technischen Systeme sind in zweifacher Ausführung vorhanden, ein Notsystem bildet ein weiteres Back-up. Diese Infrastruktur temporär ein weiteres Mal aufzubauen, wäre zu aufwendig gewesen.

Also entschied sich die Bauherrschaft für einen Umbau unter laufendem Betrieb. Vier Wochen Zeit hatten die Verantwortlichen dafür eingeplant, jeweils während der Nachtschicht zwischen 22 und 6 Uhr, wenn wegen des Nachtflugverbots weniger Fluglotsen benötigt werden. Um die wenige zur Verfügung stehende Zeit möglichst effizient zu nutzen und mögliche Probleme zu erkennen, spielten die Handwerker die Arbeiten jeweils im Vorfeld einmal durch – vor Ort und nachts, um zu testen, wie es um die Konzentrationsfähigkeit bestellt ist, wenn man ausserhalb des gewohnten Schlaf-Wach-Rhythmus arbeitet. Die Fluglotsen wurden dabei in einer schalldichten Box vom Baulärm abgeschottet. Eine Vertreterin der Bauherrschaft war jede Nacht als Ansprechpartnerin und Koordinatorin vor Ort, Briefings mit allen Beteiligten zu Beginn jeder Schicht klärten mögliche Schnittstellen. Neigte sich die Nacht dem Ende zu, musste jeweils das komplette Baumaterial aufgeräumt werden, da im Arbeitsbereich der Flugsicherung nichts gelagert werden darf.

Mit leuchtendem Beispiel voran

Betrachtet man Bilder des Raums vor dem Umbau, ist kaum zu glauben, dass die Intervention hauptsächlich in der Optimierung der Beleuchtung bestand. Und das Konzept scheint zu funktionieren: Gemäss den Forschenden vom Zentrum für Chronobiologie der Uni Basel, die das Projekt wissenschaftlich begleiteten, ergab die abschliessende Evaluation eine hohe Zufriedenheit bei den Nutzerinnen und Nutzern – zu Recht, wie der eigene Augenschein vor Ort ergab. Betritt man heute den Raum, herrscht eine frische, ja lichte Atmosphäre. Bleibt zu wünschen, dass das Beispiel Schule macht und auch ähnliche Räume, zum Beispiel Messehallen oder als Blackbox konzipierte Museen, mit solch einem «Wohlfühllicht» ausgestattet werden.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 19/2022 «Unter den Wolken».

Weiterführende Literatur

Beleuchtung Skyguide, Dübendorf

 

Bauherrschaft
Skyguide, Dübendorf

 

Architektur
agps, Zürich

 

Lichtplanung
Sommerlatte & Sommerlatte, Zürich

 

Farbgestaltung
Raumgwand, Meilen

 

Chronobiologie
Zentrum für Chronobiologie, UPK Basel / Chronolight, Wetzikon

 

Akustik
Lemon Consult, Zürich

 

Kunst am Bau
Reto und Markus Huber, Zürich

 

Decke
Matrix Systems, Unterengstringen

 

Doppelboden
Lenzlinger Söhne, Uster

 

Elektrotechnik
Volta Elektro, Winterthur

 

Metallbau
Blaser Metallbau, Andelfingen

 

Leuchten
Erco Lighting, Zürich; RS Licht nach Mass, Horgen; Zumtobel, Zürich; Coelux, Lomazzo (Como)

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