«Sie sas­sen in bio­lo­gi­scher Dun­kel­heit»

Oliver Stefani vom Zentrum für Chronobiologie an der Universität Basel begleitete das neue Beleuchtungskonzept für die Flugsicherung Skyguide in Dübendorf. Im Gespräch erklärt er, wie Licht die Konzentration fördert und wieso hell nicht gleich hell ist.

Publikationsdatum
09-06-2022

TEC21: Herr Stefani, Sie arbeiten am Zentrum für Chronobiologie der Universität Basel. Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschung?

Oliver Stefani: Am Zentrum für Chronobiologie wird die Wirkung von Licht auf den Menschen untersucht. Im Speziellen untersuchen wir, wie sich Bildschirmlicht am Abend auswirkt. Aktuell beschäftigen wir uns mit der Entwicklung eines Spezialbildschirms, bei dem wir die Hintergrundbeleuchtung, also das Lichtspektrum, gezielt einstellen können.

Warum ist das wichtig?

Im menschlichen Auge gibt es drei Arten von Fotorezeptoren: Die Zapfen dienen dem farbigen Tag­sehen, die lichtempfindlichen Stäbchen sind für das schwarz-weisse Nachtsehen zuständig. Dann gibt es noch die fotosensitiven, nicht visuellen Ganglienzellen. Sie dienen nicht dem Sehen, sondern steuern den Schlaf-Wach-Rhythmus. Sie enthalten das lichtempfindliche Pigment Melanopsin, das am stärksten von Licht mit einer Wellenlänge von 480 Nanometern angeregt wird, also im türkisen Bereich des sichtbaren Lichtspektrums liegt. Vereinfacht gesagt: Diese sogenannten ipRGC-Zellen registrieren die Grundhelligkeit. Gegen Abend, wenn es dunkler wird, schüttet der Körper Melatonin aus, ein Hormon, das uns müde macht und wichtig ist für Regenerationsprozesse im Körper. Licht am Abend unterdrückt diesen Prozess. Bei unserem aktuellen Projekt versuchen wir, das Lichtspektrum des Monitors so zu verändern, dass wir die Fotorezeptoren im Auge gezielt ansteuern können. Schauen wir den Monitor an, wirkt das Licht gleich, aber wir entfernen das Spektrum im sensiblen Bereich von 480 Nanometern mit der Methode der sogenannten Silent Substitution1. Wir untersuchen nun, ob dann am Abend weniger Melatonin unterdrückt wird.

Spielt auch die Beleuchtung am Tag eine Rolle für den Schlaf-Wach-Rhythmus?

Am Tag sollte man möglichst viel Helligkeit ausgesetzt sein, weil das einerseits die Konzentra­tionsfähigkeit fördert, andererseits aber auch den Schlaf in der Nacht unterstützt. Das ist schwierig, wenn man mit Bildschirmen arbeitet, vor allem, wenn es so viele sind wie bei Skyguide. Die Bildschirme dort sind auch schon einige Jahre alt und nicht besonders hell, zudem haben sie aufgrund der Tätigkeit einen dunklen Hintergrund. Aber: Erhöht man den Anteil des Umgebungslichts mit einer Wellenlänge von 480 Nanometern, gelangt davon auch mehr ins Auge und damit auf die fotosensitiven Ganglienzellen. Neben einer Erhöhung der Helligkeit mit den entsprechenden Leuchten kann das auch über die Lichtverteilung geschehen. Meistens ist das in den Büros so: Eine gut entblendete Leuchte hängt über dem Schreib­tisch und leuchtet nur die Arbeitsfläche aus. Man hat also eine Lichtinsel über dem Schreibtisch. Davon wird man nicht geblendet, aber es gelangt eben auch sehr wenig Licht ins Auge. Die Herausforderung liegt also darin, viel Licht ins Auge zu bringen – speziell mit dem Spektralanteil um 480 Nanometer –, aber ohne dass es blendet und ohne dass Licht auf den Bildschirmen reflektiert wird. Unsere Aufgabe war es, für dieses Problem Lösungen vorzuschlagen.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Die eine Variante bestand darin, eine Beleuchtung mit einem hohen Spektralanteil im Bereich von 480 bis 490 Nanometern vorzuschlagen. Es gibt LED, die besonders hohe Werte in diesem Bereich haben. Das Problem dabei ist, dass sich die Menschen meist nicht wohl fühlen, wenn das Licht einen hohen Blauanteil besitzt. Das Licht wird dann als kalt, als un­gemütlich empfunden. In einer anderen Studie haben wir aber festgestellt, dass man sich wohler und wacher fühlt und das Licht auch als angenehmer beurteilt, wenn die Farbwiedergabe des Leuchtmittels besonders gut ist. So werden auch kalte Lichtfarben als angenehm empfunden. Es ist ein Austarieren zwischen einer guten Farbwiedergabe und einer guten Energieeffizienz.

Standardmässig wird in der Beleuchtungsplanung mit 4000 Kelvin gearbeitet, das entspricht der Lichtfarbe Neutralweiss. Wenn es wärmer aussehen soll, nimmt man 3000 Kelvin, also Warmweiss. Das ist das, was die meisten Menschen als «schön» empfinden. Bei Skyguide haben wir jetzt 5700 Kelvin – was auch für die Lichtplaner eine Premiere war. Neben der Helligkeit und der Lichtfarbe spielte aber auch die Lichtverteilung eine Rolle. Es war wichtig, die komplette Decke möglichst hell anzustrahlen – eine helle Decke imitiert das Tageslicht und entspricht damit dem «Wohlfühllicht».

Empfinden das die Fluglotsinnen und Fluglotsen bei Skyguide auch so?

Bei Skyguide haben wir vor und nach dem Umbau jeweils eine Befragung der Mitarbeitenden durchgeführt. Von 111 Befragten hat ein signifikanter Anteil die neue Beleuchtung als natürlicher wahrgenommen und angegeben, sich besser zu fühlen und nicht mehr geblendet zu werden als vor dem Umbau. Vorher hatten sie von dem melanopsinstimulierenden Licht etwa 22 bis 28 Lux im Auge – empfohlen werden 250 Lux. Sie haben also praktisch in biologischer Dunkelheit gesessen. Seit dem Umbau sind es etwa 110 bis 263 Lux.

Mehr zum Thema Licht finden Sie in unserem digitalen Dossier

Was bedeutet das neue Beleuchtungskonzept für die Fluglotsen, die in der Nacht arbeiten? Hier besteht ja ein Widerspruch: Sie sollen wach sein, aber nicht aus ihrem Rhythmus fallen. Wie wird das in Bezug auf die Beleuchtung gehandhabt?

Das ist tatsächlich ein schwieriges Thema. In der Schweiz gilt ein Nachtflugverbot. Das heisst für die Fluglotsen in Dübendorf, dass weniger Mitarbeitende als am Tag anwesend sein müssen sowie Arbeitslast und Komplexität ebenfalls geringer sind. Man kann sie also in ihrem natürlichen Schlaf-WachRhythmus unterstützen, indem man das Gegenteil der Tagsituation macht: kleine Lichtinseln mit wenig Licht aus der Umgebung, das zudem von unten über die Tische reflektiert wird – für Licht von unten ist man nicht so empfindlich wie für Licht von oben. Abends setzt man sehr warmes Licht ein. Bei Sky­guide haben wir die Beleuchtung entsprechend eingestellt, recht dunkel und warm, und dann zusammen mit den Fluglotsen noch einmal abgestimmt – sie haben sich sogar für eine noch dunklere Variante entschieden. Die Beleuchtung jetzt entspricht also viel stärker dem natürlichen Licht als vor dem Umbau, als es tagsüber und in der Nacht die gleiche Beleuchtung gab. Trotzdem braucht es ausreichend Licht, damit die Fluglotsen und -lotsinnen arbeiten können.

Wie ist die Übergangszeit, die Dämmerung, gelöst?

Der Übergang imitiert bis zu einem gewissen Grad die natürliche Dämmerung, ist aber schneller. Dafür gibt es auch einen Grenzwert: 12 K/s sollten nicht überschritten werden, damit man die simulierte Dämmerung noch als angenehm empfindet.

Wie kam es dazu, dass Skyguide sich für dieses doch sehr aufwendige Beleuchtungskonzept entschieden hat?

Bei Skyguide gibt es ja überhaupt kein Tageslicht. Die Decke zu öffnen und Oberlichter zu schaffen war immer ein Wunsch der Fluglotsen, aber aus baulichen Gründen zu aufwendig und zu teuer. Der Leidensdruck in diesem hochsensiblen Arbeitsumfeld war aber gross. Mit einer gewissen Berechtigung: Bei unserer ersten Besichtigung vor Ort betraten wir den Raum und waren fast wie benebelt. Der Kreislauf fuhr runter, man fühlte sich einfach nicht wohl. Jetzt ist es umgekehrt.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 19/2022 «Unter den Wolken».

Anmerkung

 

1 Bei dieser Methode werden Lichtpaare («Metamere») verwendet, um selektiv eine bestimmte Klasse von ­Fotorezeptoren zu stimulieren, während die Aktivierung aller anderen konstant bleibt.

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