Bau­en in den Ber­gen: Wo­für ei­ne Aus­zeich­nung?

Ein Essay über die Vorzeigebeispiele und den Charakter alpiner Baukultur

Die Alpin- und Montanarchitektur, traditionell oder modern, schwankt zwischen einem radikalen Verzicht auf die technische oder konstruktive Staffage und dem auf heimelige Ansichten abzielenden Rustikal-Design.

Publikationsdatum
03-11-2017
Revision
03-11-2017

Die Geschichte der alpinen Zweitwohnungen ist noch lang nicht zu Ende erzählt. Eben sind die Kantone Wallis und Graubünden beim Bund vorstellig geworden, um leer stehende Ställe und Maiensässe umnutzen zu dürfen. Die vorberatende Kommission im Bundesparlament erteilte der Standesinitiative zwar eine deutliche Abfuhr, doch Bundesrätin Doris Leuthard hat das Anliegen in die laufende Revision des nationalen Raumplanungsgesetzes integriert.

Wie realitätsnah ist aber ein solches Szenario, das auf einen Schlag zwei bis dreihunderttausend Standorte in der Berglandschaft in weit verstreute Wochenend- und Ferienabsteigen verwandeln wird? Ebenso wie die Parlamentarier sind auch Raumplaner sowie Umwelt- und Heimatschutzorganisationen eindeutig dagegen. Die Zeiten, als man Verpflegung und sonstiges Gepäck auf dem eigenen Buckel in die Abgelegenheit schleppte, sind längst vorbei. Erst gut ausgebaute Zufahrtswege machen aus einem engen, schiefen und luftigen Heuschober das heimelige, komfortable Urlaubsdomizil.

In den peripheren Tälern sind die Disziplinen Bauen und Raumentwicklung äusserst eng miteinander verwandt; nirgends sonst hinterlassen die Folgen eines planlosen Vorgehens derart deutliche Spuren in der Landschaft.

Aus der betroffenen Alpenperipherie

Wer nun mehr an der idyllischen Bergwelt hängt, der Besucher aus der Stadt oder der Bewohner vor Ort, ist eine beliebte, aber kontrovers diskutierte Frage. Stimmen gegen den Massenumbau von Ställen zu Komfortwohnungen kommen aber nicht nur von aussen sondern sind auch lokal motiviert. Beispielhafte Einwände sind das individuelle Empfinden und die bestehende Siedlungsstruktur, erfuhr ich aus dem Gespräch mit einem Architekten aus der betroffenen Alpenperipherie: So viele Stunden habe er auf dem Heustock des Onkels geschuftet, dass ein solcher Ort wenig entspannend wirke. Ein Stall sei ein Stall und kein Ferienhaus.

Etwas weniger persönlich gefärbt war der folgende Einwand: Viele Brachen stehen mitten im Dorf; eine Umnutzung verändere daher das bäuerlich geprägte Ortsbild. Zudem entspreche eine solche nur für die Ferienzeit wirksame Verdichtung keiner Nachhaltigkeitsstrategie. Eben: Der Stall ist ein Stall und kein Ferienhaus. Ein Berg ist ein Berg und keine Maus. Und eine Berghütte ist eine Berghütte und kein Wellnesshotel. In der Tradition des alpinen Bauens gehören Funktion und Aussehen zusammen. Bauen in den Bergen funktioniert selten flexibel. Der Mehrzwecksaal ist zwar ein Inbegriff des dörflichen Zusammenlebens. Davon ausgenommen aber ist Multifunktionalität ein städtisches Motiv, das auf massentaugliche Logistik und höchst effiziente Verbindungs- und Versorgungswege angewiesen ist.

Kombination mit gelungenem Design

Der eingangs zitierte Baufachmann lehnt mögliche Änderungen allerdings nicht kategorisch ab. Vielmehr denkt auch er darüber nach, wie der Stillstand mit geschickten architektonischen Eingriffen verhindert werden kann. «Constructive Alps» ist eine Auszeichnung für gute Architektur im europäischen Alpenraum, die genau solche Beispiele und Ansätze, in Kombination mit gelungenem Design, sucht. Unter dem Patronat des Bundesamts für Raumentwicklung (ARE) fand die Preisverleihung zum vierten Mal statt.

Der Teilumbau einer Alpwirtschaft im Bündner Oberland hat einen Anerkennungspreis gewonnen. Einzelne Ställe und Hütten der weitläufigen Alp Glivers unterhalb des Tödi bieten neu Räume für Massenlager und für Feste; die Architektur (Marlene Gujan, Conrad Pally) besticht durch eine sachliche und detailtreue Gestaltung, anerkennt die Wettbewerbsjury. Der Charakter alpiner Bauten bleibt dadurch innen und aussen erhalten.

Die Gewinner des Architekturwettbewerbs «Constructive Alps» und die übrigen Projekte auf der Shortlist zeigen ein vielfältiges Spektrum, das ebenso abgerundete Architektur wie raue Typologien mit Ecken und Kanten umfasst. Zwei weitere Objekte aus der Schweiz mit Auszeichnung vermitteln genau diese Authentizität, die hält, was sie verspricht. Ebenfalls im Bündner Oberland steht die Fussballtribüne der US Schluein, deren Holztragwerk einem analogen Raster (Architektur: Jan Berni, Georg Krähenbühl) entspricht und die bereits Kulisse für Freundschaftsspiele mit der österreichischen Nationalmannschaft war.

Verzicht auf Staffage

Etwas weniger eindeutig ist die Cabane Rambert auf 2582 m ü. M. über dem Unterwallis (Architektur Bonnard Woeffray). Die erweiterte Schutzhütte ist eine konventionelle Holzkonstruktion, wobei sich der überhöhte Anbau hinter einem verzinkten und solar ausgestatteten Kleid versteckt. Die kalte Oberfläche und die karge, hochalpine Umgebung sind sich nicht fremd.

Alpin- und Montanarchitektur, traditionell oder modern, glänzen besonders dann, wenn radikale Ansätze und ein Verzicht auf die technische oder konstruktive Staffage sichtbar sind. Im Vergleich dazu verpufft ein modernes, auf heimelige Ansichten abzielendes Rustikal-Design. Derart gefällig wirkt der Gesamtsieger von Constructive Alps: Das Schulhaus im vorarlbergischen Brand ist aus Holz und wirkt abgeschliffen. Alles, auch die Aussicht aus dem Fenster, scheint richtig positioniert und gemacht; trotzdem wird man architektonisch nicht überrascht.

«Constructive Alps» hat gleichwohl eine durchwegs gute Wahl getroffen. Denn die Auszeichnung gilt nicht nur schönen Kulissen, sondern lobt auch den Weg dazu. Alle Projekte zeugen von bemerkenswerter Baukultur; die meisten auch vom hohen Engagement und von lokalen Bedürfnissen. Das Lehrerteam durfte das Schulhaus Brand beispielsweise mit entwerfen. Die Fussballer aus Schluein haben das Training mit dem Bau der Tribüne verbunden. Und die übrigen Vorhaben werden ebenfalls von Dorfgemeinschaften, Korporationen oder Genossenschaften mitgetragen.

Hier kommt abermals der alpine Architekt mit seinem individuellen Erfahrungsschatz und seinen Überzeugungen ins Spiel: Während Bergdörfer zur Brache schrumpfen, wird er zum unerlässlichen Katalysator und Kurator für baulich und sozial abgestimmte Interventionen. Bauen in den Alpen kann viel Gutes und Schönes bewirken. Solche Geschichten finden auch im Flachland aufmerksame Zuhörer.

Auszeichnung auch für das Bundesstrafgericht
Ebenfalls einen Anerkennungspreis hat die Erweiterung des Bundesstrafgerichts in Bellinzona erhalten (Architektur: Bearth & Deplazes, Durisch + Nolli).

Constructive Alps: die Ausstellung
Bis 25. Februar 2018 Alpines Museum Bern
Frühjahr 2018, HTW Chur (geplant)
Weitere Infos zu Constructive Alps

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