Aus­ge­wähl­te Be­woh­ner­schaft

Das Zürcher Hunziker-Areal kombiniert sozialen Wohnungsbau mit einer gewissen Grundversorgungsqualität. Der Wohnraum ist effektiv günstig. Die Hürden für eine Bewerbung sind aber nicht einfach zu überwinden.

Publikationsdatum
26-03-2015
Revision
06-10-2015

Mehr als 50 gemeinnützige Bauträgerschaften aus der Stadt Zürich und Umgebung sind in der Baugenossenschaft «mehr als wohnen» vertreten. Gemeinsames Anliegen ist aber nicht nur der 180 Mio. Fr. teure Bau und Betrieb eines urbanen Wohnquartiers. Mindestens so sehr wollen sie den Verbund auch als Lernplattform nutzen.

Die erste Erkenntnis betrifft die klassische gemeinnützige Disziplin, Wohnraum zu günstigen Preisen anzubieten. Diesbezüglich scheint ein Leistungsbeweis gelungen: Die 4.5-Zimmer-Wohnungen werden für eine Miete zwischen 1600 und 2300 Franken netto angeboten. Nur in Ausnahmefällen haben private oder auch genossenschaftliche Wohnbauträgerschaften im vergangenen Jahrzehnt derart günstige Wohnungen in der Stadt ­Zürich auf den Markt gebracht. Vorbehältlich der Schlussabrechnung liegen die durchschnittlichen Erstellungskosten für die 13 Hunziker-Häuser bei etwa 3800 Fr./m2 HNF. Einer Studie der Stadt Zürich zufolge gelten 4000 Fr./m2 HNF als Vorzeige-Benchmark1. Das Preisniveau in Zürich Nord ist jedoch besonders; in Schwamendingen und Seebach sind Familienwohnungen unter 1000 Franken Nettomiete nicht selten.

Und noch eine zweite ökonomische Grösse hatte die Baugenossenschaft «mehr als wohnen» in ihrer Standortbewertung in Betracht zu ziehen: Die peri­phere Lage und die undefinierte Umgebung erschweren die Marktsituation. Um das Risiko zu minimieren, bot die Genossenschaft über 40% als klassischen familiengerechten Wohnraum an.2 Der Anteil der Wohnexperimente wurde beschränkt: Nur 10% der Gesamtfläche sind mit Satellitenwohnungen und WG belegt. Zudem wurde aufgrund der unsicheren Marktbewertung ein ursprünglich geplantes, gemeinnütziges Eigentumsmodell fallen gelassen. Doch auch so wird das Wohnquartier mit rund 1400 Menschen sozial breit durchmischt.

Evaluation der sozialen Qualität

Für die letzten freien von insgesamt 370 Wohneinheiten wird via Immobilienportal ein vielschichtiger In­teressentenkreis willkommen geheissen: «Von Studierenden über Berufstätige bis hin zu Senioren: Auf dem Hunziker-Areal gibt es für jede Art von Wohn- und Lebensgemeinschaft den passenden Wohnraum.» Ganz so einfach war respektive ist es trotzdem nicht, eine Zusage zu erhalten. Denn die bei ökologischen Wohnprojekten übliche Selektion wendet auch die Baugenossenschaft «mehr als wohnen» an. Jede Wohnungsanmeldung wird nach harten und weichen Kriterien geprüft: Grundsätzlich dürfen die Bewohner nur im Ausnahmefall ein eigenes Auto besitzen. Und ebenso bindend ist die Belegungsvorschrift: Die Zahl der Bewohner ist mindestens so gross wie die Zimmerzahl minus eins. Und weil die Wohnungen unterschiedlich teuer sind, achtet die Vermietungskommission auch auf die finanziellen Verhältnisse der Bewerber. Für die rund 80 subventionierten Wohnein­heiten gelten die vom Gesetz bestimmten Regeln.

Eigenwillige Auswahlkriterien

Zusätzlich zu Motorisierungsgrad, Bewohnerzahl und Finanzen wurden im mehrseitigen Bewerbungsbogen auch Herkunft, familiäre Verhältnisse sowie die persönliche Affinität für nachhaltigen Lebensstil und zur Mitwirkung an einer lebendigen Nachbarschaft abgefragt. Diese Angaben verhalfen zur Komposition einer ausgewogenen Durchmischung. Eine soziale Begleitstudie wird (in Zusammenarbeit mit der Age-Stiftung für gutes Wohnen im Alter) darauf basierend berichten, ob das Zusammenleben funktioniert und inwiefern die vielfältige Infrastruktur und das Mitwirkungsangebot die Lebensqualität im Alltag erhöhen.3
Der erste Befund ist eine teilweise gelungene Durchmischung: Zwar versammelt das Hunziker-Areal mehrheitlich ein nicht bereits genossenschaftlich organisiertes Publikum. Aber zugleich zeigt sich, dass ein Vermietungsprozess nur bedingt steuerbar ist und Personen in bestimmten Lebensphasen auf dem Wohnungsmarkt besonders aktiv sind. «Junge Familien und jüngere Erwachsene sind übervertreten; der Anteil an älteren Personen liegt deutlich unter den Erwartungen», charakterisiert Corinna Heye, Geschäftsführerin der Raum­daten GmbH und Auftragnehmerin der soziologischen Quartieranalyse, den Nachholbedarf. Zur Kompensation definierte die Baugenossenschaft ihre Auswahl vorübergehend eigenwillig um: Familien mit «Kindern unter vier Jahren» wurde in Wohnungsinseraten von einer Bewerbung abgeraten; später hiess es: «Familien mit älteren Kindern werden bevorzugt.»

In den Wohnungsclustern hatte man mehr Personen im ­Alterssegment 55+ erhofft. Doch anscheinend leben ältere Bewerber lieber alleine oder zu zweit als im gemeinschaftlichen Wohnmodell, so Heye, die auch bei der Siedlung Kalkbreite mitgewirkt hat. Und was bei der Vermietung der Satellitenwohnungen auf dem Hunziker-Areal und anderswo aufgefallen ist: Es braucht mehr Aufwand, um eine Bewohnergruppe zu finden. Die Verwaltung bietet nun selbst monatliche Treffs für Interessierte an. Zudem ist jede dritte Satellitenwohnung an öffentliche und gemeinnützige Sozial- und andere Wohninstitutionen vergeben, für betreute Jugend- und Behindertenwohngruppen, Studenten-WG sowie Migrantenfamilien.

80% der Gewerbefläche vermietet

Wichtige Durchmischungselemente sollen ausserdem die Nahversorgung und die Gewerbeansiedlung sein. Die Asylorganisation betreibt ein Restaurant am Hunziker-Platz an sieben Tagen die Woche. Unter anderem ziehen eine städtische Kita, ein Kindergarten, Tonstudios, ein Coiffeursalon sowie das Igelzentrum in den neuen Quartierteil ein. «Fast 80% der Flächen sind nun vergeben», bestätigt Monika Sprecher, Geschäftsführerin Betrieb bei «mehr als wohnen», den ersten Vollzugserfolg. Die Gewerbevermietung mitten in der Stadt ist wirt­schaftlich ungemein attraktiv. An Standorten mit subop­timaler Passantenlage braucht es hingegen Geduld und Hartnäckigkeit, das passende Angebot für die Versorgungsflächen im Haussockel zu finden. Wichtig ist zudem, dass die Baugenossenschaft ihrerseits flexible Raumstrukturen und Mietbedingungen offerieren kann. Und bei Bedarf hilft eine Staffelmiete, ein neues Gewerbe vor Ort zu lancieren.

Noch lässt das erhoffte quartierfreundliche Angebot den Bereich Einkaufen vermissen. Weil alle angefragten Detailhändler mangels Quartiergrösse abgesagt haben, machen sich nun die Bewohner selbst daran, eine ökologische Nahrungsmittelversorgung vor Ort aufzuziehen. Die Quartierorganisation und die räumliche Infrastruktur eignen sich für solche Selbsthilfevarianten: Interessierte können eine be­liebige Quartiergruppe (Soziales, Kultur, Ökologie) gründen und Allmendräume in den EG nutzen. Die Bewohner selbst bezahlen jährliche Solidaritätsbei­träge, womit den Quartiergruppen ein Budget zur Verfügung gestellt werden kann. Doch bei allem Bemühen um ein lokales Komplettangebot: Das Hunziker-Areal wird «davon profitieren, dass auch die Umgebung wohnlicher entwickelt wird», zieht Monika Sprecher eine Zwischenbilanz.

Anmerkungen

  1. Amt für Hochbauten, Stadt Zürich; Kostenklarheit 2011: Vergleichsbericht der Erstellungskosten und Kostenfaktoren von Wohnsiedlungen, 2012.
  2. Bundesamt für Wohnungswesen (BWO), mehr als wohnen – Von der Brache zum Stadtquartier, Report 1 und Report 2; 2011 und 2013.
  3. Age-Stiftung für gutes Wohnen im Alter, mehr als wohnen, Zürich, Kanton Zürich, Liste der geförderten Projekte, 2009.

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