Ver­zicht ist auch ei­ne Form der Re­duk­ti­on

Nicht die innovativste Technologie, sondern der Verzicht auf eben diese soll dem Hunziker-Areal zur Nachhaltigkeit verhelfen. Ökonomisch und ökologisch mag das funktionieren. Wo aber bleibt der soziale Gedanke?

Publikationsdatum
26-03-2015
Revision
06-10-2015

Während des Planungsprozesses stellte die Baugenossenschaft «mehr als wohnen» 2010 selbst fest: «In der Gesamtbilanz spielt die graue Energie die grösste Rolle, und im Betrieb hat das Benutzerverhalten eine weit grössere Bedeutung als der Entscheid für die eine oder andere technische Massnahme. Den grössten Effekt (auf die energetische Optimierung des Projekts) versprechen nicht haustechnische Raffinessen, sondern bewusstere Bewohner/innen.» Die darauf folgende Planung und Betriebsoptimierung entsprach dem aber nur teilweise.

Um mit dem Hunziker-Areal ein nachhaltiges Quartier zu erschaffen, strebte die Baugenossenschaft einen Energiebedarf von 2000 W Dauerleistung pro Bewohner an. Dieser Verbrauch entspricht den weltweiten Energiereserven. Obwohl sie keine Zertifikate anstrebte, hielt sie sich die Vorgaben des Minergie-P-Standards, um den Arealbonus der Stadt Zürich zu erhalten. Sie setze sich das Ziel, die grauen Energien und Treibhausgasemissionen beim Bau unterhalb bestimmter Grenzwerte zu halten. So wenig wie möglich Bereits im Vor- und Bauprojekt sollte ein Nachhaltigkeitsberater sicherstellen, dass die Vorkehrungen für den Betrieb durchdacht seien und den Zielen der Baugenossenschaft entsprächen. Schon damals stand fest, dass die Energieversorgung überwiegend erneuerbar sein würde.

Alle 13 Gebäude waren darauf ausgerichtet, dass der Minergie-P-Standard erfüllt werden sollte. Die sogenannte «Primäranforderung», die das Maximum für den Heizwärmebedarf festlegt, war allerdings nicht bindend. Dadurch konnten beim Dämmstandard die Energien von Erstellung (graue Energie) und Betrieb gegeneinander abgewogen werden.Um die thermische Energie zum Heizen zu reduzieren, wurden kompakte Baukörper geplant. Diese sollten eine möglichst einfache Kubatur haben, um die Wärmeverluste über die Oberfläche gering zu halten.

Die Methode, um die Kühlenergie gering zu halten, ist so simpel wie effizient: Für die Wohnnutzung sind schlicht keine Kühlaggregate vorgesehen. Stattdessen blieb man bei Altbewährtem. Es gibt Fensterläden und teilweise Sonnenstoren zur Verschattung. Den Bewohnern empfiehlt sich, im Sommer bei offenen Fenstern zu schlafen, um über Nacht die Raumluft passiv zu kühlen. Fünf der Häuser am Hunziker-Areal liegen jedoch direkt an Bahngleisen. Hier ist eine Entscheidung zwischen Lärmschutz und Frischluft zu fällen.

Ein wichtiges Thema für die energetische Optimierung war die Belüftung. Der Lüftungsplaner erstellte im Vorprojekt für einen der sehr kompakten Bauten eine Primärenergiebilanz, laut der die manuelle Fensterlüftung einer Komfortlüftungsanlage vor­zuziehen war. In neun der 13 Häuser wurde auf eine Komfortlüftungsanlage verzichtet. Auch in diesem Fall wurde also der geringe Energiebedarf nicht durch Effizienz, sondern durch Suffizienz – den Verzicht auf als unnötig Erachtetes – erreicht. Es wurden darüber hinaus Vergleichsstudien durchgeführt, um den elektrischen Energiebedarf der Beleuchtung in verschieden tiefen Grundrissen zu ermitteln. Die Beleuchtungsenergie sollte auch durch intelligente Steuerung der Treppenhausbeleuchtungen und effiziente Leuchtmittel gering gehalten werden.

Dieses Vorgehen war zu einem Zeitpunkt, zu dem andere Bauvorhaben streng an Minergiezertifi­katen orientiert waren, eher ungewöhnlich. Der verantwortliche Nachhaltigkeitsberater Jörg Lamster meint dazu: «Die Ausrichtung des Projektes mit bewusstem Verzicht auf Zertifikate und die Auswirkungen auf technische Ausrüstung und Gebäudehülle waren interessant. Das hat damals (2010) eine Diskussion losgetreten, die bis dahin noch nicht geführt worden war, nämlich die Berücksichtigung der grauen Energie, innovativer Materialien und der Ausrüstung mit einfachen Abluftanlagen.» Der Gedanke der Suffizienz ist schwer zu fassen und noch schwerer in einen Massnahmenkatalog zu integrieren. Die Baugenossenschaft «mehr als wohnen» konnte sich in diesem Punkt profilieren. Dafür  agierte sie nicht besonders innovativ.

Bio aus der Region  

Der mit diesen Strategien gering gehaltene thermische und elektrische Energiebedarf sollte zu einem möglichst hohen Anteil aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden. Die Elektrizitätswerke Zürich regeln die Energieversorgung und -verteilung sowie Abrechnung für das Hunziker-Areal. Die Energiequelle für die Wärmeversorgung ist das nur 300 m entfernt gelegene Rechenzentrum der OIZ (Organisation und Informatik der Stadt Zürich). Als Back­up für harte Winter oder technisch bedingte Ausfälle dient die Fernwärme Zürich mit dem direkt neben der OIZ gelegenen Kehrichtheizkraftwerk Hagenholz.

Mit einer Temperatur von ca. 22°C erreicht die Abwärme des Rechenzentrums die Aufbereitung der ewz im Untergeschoss desselben Gebäudes. Für die Warmwasserversorgung des Hunziker-Areals wird die Temperatur mit Ammoniakwärmepumpen auf mindestens 58°C gehoben. Dann wird das Warmwasser mit Fernwärmeleitungen in die Häuser geführt, wo mit Frisch­wasserstationen das Brauchwarmwasser erzeugt wird. Ein zweiter Vorlaufstrang mit maximal 40°C liefert die Heizwärme für die Niedertemperatursysteme. Die beiden Rückläufe verlaufen getrennt voneinander.

Zur Bereitstellung der elektrischen Energie ist auf allen Dachflächen am Hunziker-Areal Photo­voltaik installiert. Insgesamt haben die Photovoltaikanlagen eine Fläche von 3630m2 und eine Leistung von 540 kWp. Sie können den elektrischen Gesamtenergiebedarf des Areals zu ca. 30% decken. In erster Linie dienen sie der Warmwasser­erzeugung. Darüber hinaus stehen sie als Energiequelle für die Lüftungsanlagen zur Verfügung. Die übrige am Areal verbrauchte elek­trische Energie ist vom ewz gelieferter zertifizierter Ökostrom.

Noch Ideologie oder schon Dogma 

Der Anspruch, nachhaltig im Sinne der 2000-Watt-Gesellschaft zu sein, liess die Baugenossenschaft «mehr als wohnen» zu interessanten Mitteln greifen. Bei 7.8 kg/m2 CO2-Äquivalent aus der Gebäude­errichtung und durchschnittlichem Platzbedarf am Hunziker-Areal von 35 m2 pro Person ergeben sich 273 kg CO2 pro Person und Jahr. Das Ziel der 2000-Watt-Gesellschaft liegt bei einer Tonne. Mit dem beachtlichen verbleibenden Spielraum bei den CO2-Emissionen wird ausgeglichen, worauf die Baugenossenschaft nur wenig Einfluss hat: das Verhalten der Nutzer im Betrieb.

Ein Mieterauswahlverfahren, bei dem auf ökologische Sensibilität Wert gelegt wird, ist noch kein Garant dafür, dass letztlich von den Mietern wenig Energie verbraucht werden wird. Also hat man die Mieter in ihrem Einflussvermögen eingeschränkt. Durch die gewählte ­zentrale Regelung können die Mieter zum Beispiel im Schlafzimmer die Temperatur nicht selbst senken. Die Schlafzimmer der Mieter sind so warm oder kalt, wie das Facility Management es für richtig hält. Obwohl «mehr als wohnen» das Benutzerverhalten als wichtigen Faktor für den Energiebedarf erkannte, orientierte es sich bei der Optimierung also an technischen und baulichen Lösungen.

Es ist die eher philosophische Frage zu stellen, wie weit man Bewohner entmündigen darf, um ökologische Ziele zu erreichen. Stellt man 80 Mietern eines 4- bis 5-geschossigen Hauses nur einen einzigen Lift zur Verfügung, werden sie deshalb vielleicht öfter die Treppe nehmen, was Energie spart. Auch die zentrale Heizungsregelung, die Kindern, Senioren, gesunden, kranken, sich viel bewegenden und abwesenden Personen die exakt gleiche Raumtemperatur bietet, erleichtert das Energiesparen. Ob die Einschränkung der Nutzer in ihren Möglichkeiten aber der beste Weg zum Ziel ist, sei dahingestellt.

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