Schö­ner Strom

Auszeichnung «Umsicht – Regards – Sguardi»: Wasserkraftwerk Hagneck

«Die Erneuerung des Kraftwerks Hagneck ist ein wegweisendes und energiepolitisch bedeutsames Beispiel für die in den nächsten Jahren in grosser Zahl zu erwartenden Erneuerungen von Kraftwerken. Das baukulturell wertvolle Ensemble von Alt- und Neubau überzeugt durch die gestalterische und innovative Verbindung von Industriegeschichte, modernster Kraftwerktechnik und einer hervorragenden landschaftlichen Einbettung.» (Aus dem Jurybericht)

Publikationsdatum
19-04-2017
Revision
20-04-2017

Das im Jahr 1899 in Betrieb genommene Kraftwerk Hagneck liegt am Ausfluss des Hagneckkanals in den Bielersee, gegenüber der Petersinsel. Im Zuge der ersten Juragewässerkorrektion 1875–1878 leitete man die Aare, den grössten Zufluss des Rheins, ab Aarberg um in den Bielersee, um die notorisch hohe Hochwassergefahr im Seeland zu mindern und das fruchtbare Land für landwirtschaftliche Zwecke nutzen zu können. Um zum See zu gelangen, musste man den Seerücken durchqueren. Schon nach wenigen Jahren grub sich der Kanal immer tiefer in sein Bett, die Böschungen drohten abzurutschen. Als Gegenmassnahme baute man ein Wehr und das Wasserkraftwerk Hagneck. Letzteres nutzt die rund 8.5 m Höhendifferenz zwischen Kanal und See zur Stromerzeugung und wird heute von den Bielersee Kraftwerken betrieben. 

Nach über 100 Jahren entschieden sich die Betreiber für einen Neubau. Damit dieser neben der architektonisch wertvollen, denkmalgeschützten historischen Anlage bestehen kann, führte die Bauherrschaft 2009/2010 einen Projektwettbewerb mit Präqualifikation durch – auf Druck von Denkmal-, Natur- und Heimatschutz, nachdem einem ersten Projekt die Konzession verweigert worden war (vgl. TEC21 16-17/2010 und TEC21 11/2016).  

Zusammenspiel der Disziplinen

Siegreich aus der Konkurrenz hervor gingen Architekt Christian Penzel, Bauingenieur Martin Valier und Landschaftsarchitekt Raymond Vogel – und so interdisziplinär, wie das Team zusammengesetzt ist, so fachübergreifend entwickelte sich auch die Aufgabe. Zum einen war da die Architektur: Der Siegerentwurf schlug eine ebenso ungewöhnliche wie elegante Lösung für den Ersatzneubau vor, indem er das Maschinenhaus in das neue Wehr integrierte. Das historische Wehr musste aus Sicherheitsgründen trotz anfänglichem Widerstand der Denkmalpflege abgebrochen werden. Der niedrige Neubau ist vom Kanal aus gar nicht sichtbar, die sensible, geschützte Auenlandschaft wird visuell nicht tangiert. Nähert man sich der im Oktober 2015 in Betrieb genommenen Anlage, wirken die Bauten wie aus dem Fels gewachsen. Ein gefärbter Beton, der die Farbigkeit des örtlichen Molassefelses zum Vorbild hat, lässt sie wie einen Teil der Landschaft erscheinen. Die Wehrbrücke ist nicht, wie sonst üblich, über dem Wehr angeordnet, sondern hängt unterwasserseitig auskragend an der Anlage. Darüber führt der Veloweg entlang des Bielersees (vgl. «Mehr Engagement bei Infrastrukturbauten»).

Ein weiterer wichtiger Aspekt betraf die begleitenden Renaturierungsmassnahmen sowohl entlang des Kanals als auch in unmittelbarer Nähe zum Kraftwerk. Der Bau liegt in einer geschützten Auenlandschaft von nationaler Bedeutung. Zwischen Bielersee und Aare bewegen sich mindestens 37 Fischarten, die das Hindernis problemlos umgehen können müssen. Neu verbindet ein Gerinne nördlich des Wehrs den alten Unterwasserkanal und den Bereich unterhalb des Wehrs mit dem Hagneckkanal. Das einem Bach nachempfundene Gewässer bietet den Fischen verschiedene Auf- und Abstiegsmöglichkeiten, als Wegweiser dient eine Lockströmung. Zudem sollen spezielle Einrichtungen beim Turbineneinlauf die absteigenden Fische ins Umgehungsgerinne leiten. Das Gebiet des ehemaligen Unterwasserkanals wurde in eine Auenlandschaft umgewandelt.

Das neue Kraftwerk produziert auch deutlich mehr Strom als das alte, die Kapazität konnte um mehr als ein Drittel gesteigert werden. Verantwortlich dafür sind zwei Rohrturbinen mit einer installierten Leistung von je 10.4 MW sowie zwei kleinere Turbinen, die das Wasser des Umgehungsgewässers nutzen (eine Turbine mit einer Leistung von 0.28 MW, angetrieben durch das Wasser, das für die Erzeugung der Lockströmungen benötigt wird, sowie eine Turbine mit einer Leistung von 0.03 MW, angetrieben durch das Wasser, das für das Verteilbecken im Umgehungsgerinne benötigt wird). Eine historische Turbine im Altbau mit einer Leistung von 3 MW ist nach wie vor in Betrieb und dient bei Führungen als Anschauungsobjekt. Insgesamt erzeugt das Kraftwerk heute 110 GWh Strom – etwa ein Drittel des Strombedarfs der Stadt Biel mit ihren rund 55 000 Einwohnerinnen und Einwohnern. 

Damals wie heute ein Pionier

Vor über 100 Jahren war das Kraftwerk Hagneck das erste Wasserkraftwerk der späteren Bernischen Kraftwerke BKW. Heute steht neben dem Pionierbau das modernste Flusskraftwerk der Schweiz. Hier trifft Industriegeschichte auf die neuesten Technologien bei der Energieproduktion, der Denkmal- auf den Naturschutz. Das Projekt zeigt vorbildlich, wie eine sorgfältige, bewusste und disziplinenübergreifende Planung zu einem auf allen Ebenen aussergewöhnlichen und ausgereiften Ergebnis führt. Dies würdigt die Jury mit einer Auszeichnung.

 

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