Scheu­ne mit Au­sblick

In Dingenhart TG haben bernath + widmer architekten mit sjb.kempter.fitze drei Lofts in einen Schober eingebaut. Der Raster des neuen Tragwerks stützt das filigrane Gebälk der Fassade –und kann doch ohne sie nicht sein.

Data di pubblicazione
07-05-2015
Revision
07-10-2015
Thomas Ekwall
MSc. EPFL Bau-Ing., MAS ETHZ Arch., Korrespondent TEC21

Ein Glashaus soll es werden – gab die Bauherrschaft vor. Die Denkmalpflege hingegen forderte: Es muss eine Scheune bleiben. Das Baugesetz hielt fest: Das beheizte Volumen darf maximal zwei Drittel der ehemaligen Scheune umfassen. Und die Architekten fanden ein Prinzip, das diese Ansprüche unter einem Dach vereint: Ein Raster aus Balken und Ständern umfasst beheizten und unbeheizten Raum, schliesst in der Wahrnehmung der Bewohnerinnen und Bewohner diejenigen Bereiche mit ein, die sich ausserhalb der drei Wohnungen, jedoch innerhalb der Grenzen der alten Scheune befinden.

Von aussen lässt ein Mantel aus Latten in unterschiedlichen Abständen das Volumen je nach Blick­winkel immer noch als Scheune erscheinen. Von innen her gibt diese neue Haut, der Intimität des offenen Grundrisses angepasst, trotzdem den Blick in die Landschaft frei. Ein gewiefter Schachzug, der auf schlaue Weise die verworrene Ausgangslage löst.

Doch das Resultat wirft auch Fragen auf. Nicht unbedingt jene nach den räumlichen und atmosphärischen Eigenschaften des Umbaus – diese fallen aufgrund des überraschenden Konzepts interessant aus. Vielmehr regt die Umnutzung dieser Scheune an, über die Bedeutung eines Bilds und des materiell bewahrten Bestands nachzudenken. Und nicht zuletzt drängen sich auch Überlegungen zum Verhältnis von Funktion und Typologie auf, wenn aus einem Schober ein Wohnhaus wird.

Ordnung und Unterordnung

Von der ursprünglichen Konstruktion ist nur das tragende Gebälk der Fassaden- und Dachhaut erhalten geblieben. Durch den vollständigen Abbau des Kehl­balkendachstuhls wurde das gesamte Innenvolumen freigestellt und mit einem dreidimensionalen Raster nach dem Konzept eines «Hauses im Haus» neu belegt. Einzelne Felder des Rasters sowie das Restvolumen zwischen Raster und Aussenhaut bilden einen unbeheizten Aussenraum. Die beheizten Innenräume befinden sich alle innerhalb des Rasters und entsprechen dem vorgeschriebenen Verhältnis.

Der Bauablauf wurde stark durch die Entscheidung beeinflusst, das bestehende Dach zu erhalten: Zuerst erfolgte geschossweise der Aufbau der aussteifenden Stahlbetonkerne und der Abbau der alten Holzkonstruktion. Gleichzeitig wurde der neue Holzbau geschützt vor der Witterung aufgestellt. Wegen des erschwerten Zugangs ist das Tragwerk aus kleinen Elementen gefügt, die ohne Kran durch die Zimmerleute versetzt werden konnten. Das bestehende Gebälk wurde provisorisch gespriesst und geschossweise auf der neuen Konstruktion abgestützt. Dadurch nahmen die Planer einen langsameren Bauablauf in Kauf – aber sie konnten die bestehende Dachhaut erhalten und die Ausführungsqualität des Holzbaus sichern.

Der dreidimensionale Raster mit den Abmessungen 215 × 248 × 280 cm ist pragmatisch aufgebaut und auf die Grundform der bestehenden Scheune ab­gestimmt: Cardo und Decumanus sind an den Dachfirsten des Hauses ausgerichtet. Darauf aufbauend ist der Raster so gewählt, dass ein vernünftiger Abstand von etwa 45 cm zur bestehenden Hülle entsteht und die Deckenfelder mit vertretbarer Konstruktionshöhe überspannt werden konnten.

Die Struktur ist aus verleimtem Fichtenholz aufgebaut: Die Deckenfelder bestehen aus massiven, tragenden Blockholzplatten mit 12 cm Stärke, auf die eine Trittschalldämmung von 4 cm Stärke aufgebracht ist. Die oberste Schicht bildet ein eingefärbter und geschliffener Anhydritboden. Die Platten sind allseitig auf ­einen Deckenrost aufgelagert, der seiner Aufgabe entsprechend als umgekehrtes T-Profil ausgebildet ist. In den Knotenpunkten des Rosts steht in der Regel ein Pfosten, wobei einzelne Ausnahmen zugunsten einer gross­zügigen Raumeinteilung berücksichtigt wurden. An solchen Stellen läuft einer der Deckenbalken durch und überspannt somit das doppelte Rastermass von 430 cm.

Die Konstruktion ist formal sorgfältig betont und von auffälligen Details befreit: Die Balken (240/320) und Pfosten (240/240) fügen sich bündig im Knoten, die Schrauben sind alle innenseitig und unsichtbar angeordnet. Auf dem tragenden Profil des Deckenrosts wurde über einer Schallschutzschicht eine Diele auf­gelegt, wodurch die dritte Dimension des Rasters auch in den Innenräumen ablesbar wird.

An den Grenzen des Rasters

Der Raster bringt einen räumlichen und optischen Mehrwert, hat aber keine Bedeutung in anderen Ebenen. So ist eine flexible Gliederung der Räume innerhalb des Rasters nicht möglich: Die Öffnung der im Raum stehenden Küchenzeile verunmöglicht es, die Wohnungen in einzelne Räume zu unterteilen. Die Architekten wollten diese Option wahren, aber die Bauherrschaft bestand auf einer Öffnung in der Betonwand über der Arbeitsfläche, um die Transparenz zu erhöhen.

Der Entwurf bezieht seinen Reiz daraus, dass das gedanklich-konzeptionelle Holzgerüst mit dem unregelmässigen und geometrisch komplexen Bestand kollidiert. Spannend wird es zum Beispiel im Raum, der sich zwischen dem inneren Raster und der ehemaligen Aussenwand aufspannt. Dort öffnen sich Fenster auf ganz schmale Balkone, die nicht als Aussenräume zu nutzen sind, den Wohnungen jedoch einen überraschend luftigen Charakter verleihen. In diesen Punkten zeigt sich die Lust der Architekten, den Regeln des eigenen Entwurfs zu folgen und leichtfüssig und neugierig zu reagieren, wenn Störungen auftauchen.

Nicht überall gelingt dies so elegant wie bei den eigenwilligen Balustraden. Wo der Raster auf das geneigte Dach der Scheune trifft, kommt es zu unschönen Kompromissen in der euklidisch-rein anmutenden Geometrie: Die Decke der obersten Wohnung folgt dem geneigten Dach, die Sparren des Scheunendachs werden von einem Balken im Raster aufgefangen, der auf unbestimmter Höhe liegt. Ohne einen räumlichen Zugewinn sieht das Konzept dort ein wenig abgesägt aus.

Scheune ohne Dachstuhl

Während der Einbau weitgehend zu überzeugen vermag, wurde die ursprüngliche Tragkonstruktion aufgrund von pragmatischen Entscheiden zerteilt: Vom bestehenden Holzbau bleibt nur das tragende Gebälk der Aussenhaut erhalten. Um eine ausreichende Transparenz für Wohnzwecke zu erreichen, erfüllt die neue Fassade nur noch bedingt ihre ursprüngliche Funktion als Witterungsschutz.

Aus statischer Sicht ist das Gebälk zu einer sekundären Fassadenkonstruktion abgestuft worden: Die Fassade steht nun vertikal auf einer neuen Pfosten-Riegel-Konstruktion anstelle des bestehenden Steinsockels. Der Neubau stabilisiert das Gebälk horizontal mittels punktuell verklebter Holzstäbe (Durchmesser 4 cm) aus Buchenholz.

Ähnlich verhält es sich mit der Dachkonstruktion: Das Zugband wurde ersatzlos entfernt. Die Sparren, ehemals Druckstreben des Dachstuhls, fungieren nun als durchgehende Balken zwischen den Auflagern auf dem neuen Tragwerk. Dach und Fassade bilden zwei statisch getrennte Systeme.

Das verbliebene, tragende Gebälk der Aussenhaut ist der letzte materielle Zeuge der ehemaligen Scheune, was ihren Erhalt rechtfertigt. Das Zusammenwirken zwischen Neu und Alt als statisches Gesamtsystem wurde jedoch nicht thematisiert. Dies führt den Betrachter zur Frage, in welcher Beziehung die alten Balken noch zum Tragwerk stehen – jenseits ihrer unbestreitbaren haptischen Qualitäten. 

Das Bessere und das Gute

Über diese Fragen am Objekt hinaus gibt es jene, die um Aspekte der Raumplanung und der Denkmalpflege kreisen. Soll man das Bild einer Scheune erhalten, wenn sie zu Wohnzwecken umgenutzt wird? Oder sollen die prägnanten Volumen einen neuen Ausdruck erhalten? Das kantonale Amt für Denkmalpflege liess den Architekten grossen Freiraum in der Planung: Der Fokus lag auf der prominenten Westfassade, während von Süden her gesehen insbesondere der Baukörper wahrnehmbar bleiben sollte.

Die südöst­liche Fassade mit dem weiten Blick auf Felder und Berge wies in einem ersten Entwurf noch ein offenes Erdgeschoss auf. Bauherrschaft, ­Architekten und Denkmalpflege einigten sich in der weiteren Planung darauf, das Fassadensystem mit ­Lattungen in drei unterschiedlichen Dichten auf allen Stockwerken um die Ecke herumzuführen: Für das ­Volumen war es die richtige Entscheidung.

Die Umnutzung einer Scheune zu Wohnzwecken ist eine Gratwanderung. In diesem Fall ist der Balanceakt gelungen, da sich die Architekten der Tragweite ihrer Entscheidungen bewusst waren. Vielleicht wäre ohne Einschränkungen ein noch radikaleres Projekt möglich gewesen und damit ein neuer Weg im Konflikt zwischen Nutzungsänderung und Erscheinung. Die Entwerfer belegen mit ihrem Umbau, dass sie das Potenzial für diese Herausforderung mitbringen.

Realiter griff in Dingenhart wieder der eingespielte Mechanismus, der die Amplituden dämpft – im Guten wie im Schlechten. Durchaus verständlich, denn die Ämter müssen ihren Einfluss wahren, um bei weniger talentierten Architekten das Schlimmste verhindern zu können. Und so ringen das Bessere und das Gute, wir wissen es seit Voltaire, immer noch miteinander.


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