«Man soll­te In­no­va­tion ni­cht nur ein­kau­fen, son­dern auch selb­st pfle­gen»

Mit Inkraftsetzung des revidierten Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) erteilte Bauenschweiz der Firma Politaris  einen Auftrag zur statistischen Beobachtung von Ausschreibungsdaten. Laurens Abu-Talib, Inhaber von Politaris, gibt im Interview einen Einblick ins Projekt «Vergabemonitor» und teilt erste Erkenntnisse daraus.

Data di pubblicazione
13-02-2024

TEC21: Herr Abu-Talib, wie kam es zum Vergabe­monitor und welche Ziele werden damit verfolgt?

Laurens Abu-Talib: Bauenschweiz – der Dach­verband der Schweizer Bauwirtschaft – hat sich bei der Revision des Bundesgesetzes über das öffent­liche Beschaffungswesen (BöB) stark engagiert. Im Tandem mit der Allianz für ein fortschrittliches öffentliches Beschaffungswesen (AföB) sorgte Bauenschweiz für eine angemessene Vertretung der Brancheninteressen: Die AföB vertrat Vereine und Verbände aus dem Bereich der intellektuellen Dienstleistungen, Bauenschweiz setzte sich für die gesamte Bauwirtschaft ein.

Nachdem die meisten der eingebrachten Anliegen in der Gesetzesrevision berücksichtigt worden waren, wollte man natürlich wissen, ob die Policy in der Praxis ankommt. Es gab verschiedene Ideen, das zu operationalisieren. Eine davon war, Daten von Simap – dem Informationssystem über das öffentliche Beschaffungswesen in der Schweiz – quantitativ auszuwerten. Politaris bekam in der Folge von Bauenschweiz den Auftrag, diese Idee umzusetzen und entsprechende Indikatoren zu modellieren.

Das Ziel von Bauenschweiz ist, datenbasierte Diskussionen führen zu können – innerhalb der Branche, aber auch mit Vergabebehörden. Das Vergabemonitoring soll einen Mehrwert für solche Diskussionen schaffen und die Transparenz von Beschaffungsverfahren erhöhen.

Wie funktioniert das Vergabemonitoring genau, welche Daten greift Politaris ab?

Simap hat eine maschinenlesbare Schnittstelle, über die man mittels Scripts jeden Publikationstext auslesen kann. Politaris hat einen Zugang zu dieser Schnittstelle gebaut und kann dadurch täglich und automatisiert Ausschreibungsdaten abgreifen, sie abspeichern und daraus beliebige Indikatoren auswerten.

Ausgangswert für unser Monitoring sind Tagesmittelwerte; das heisst aus der Summe der Publikationen eines Tages ermitteln wir zum Beispiel die mittlere Anzahl der Ausschreibungen mit Qualitätskriterien. Solche Indikatoren aggregieren wir anschliessend auf Quartalsebene, bestimmen gleitende Jahresmittelwerte und fertigen daraus Trenddiagramme an.

Zudem werten wir auch statistisch aus, ob der Unterschied bestimmter Indikatoren vor und nach der Revision signifikant ist. Im Rahmen des Vergabemonitors beobachten wir gesamthaft zehn Indikatoren,1 die von den Mitgliedern von Bauenschweiz definiert wurden, um den erhofften Para­digmen- respektive Kulturwandel abzubilden. Zwei dieser zehn Indikatoren sind beispielsweise die Häufigkeit der Anwendung von Qualitäts- und ­Nachhaltigkeitskriterien.

Werden beim Vergabemonitoring sämtliche Ausschreibungsdaten berücksichtigt?

Nein, wir erfassen lediglich die in den Publikationstexten erfassten Daten. Das heisst, wenn zum Beispiel die Zuschlagskriterien nur in den Ausschreibungsunterlagen erfasst sind, nicht aber im System von Simap, werden sie in unserer Statistik nicht erfasst. Unsere Auswertungen sind also als Minimalwerte zu verstehen und es kann davon ausgegangen werden, dass die Häufigkeit der Indikatoren tatsächlich höher ist.

Mehr zur Revision des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) in unserem E-Dossier «Vergabewesen» 

Wie muss man sich den Vergleich der Ausschreibungen vor und nach der Gesetzesrevision vorstellen?

Grundsätzlich gibt es an der erwähnten Simap-Schnittstelle öffentlich verfügbare Daten, die bis ins Jahr 2009 zurückreichen – damit lassen sich solche Vergleiche anstellen. Allerdings verwenden wir für den Vergleich auf Bundesebene nur die Daten ab dem Jahr 2018; damit ergeben sich für den Vergleich in etwa ausgewogene Datensätze, obwohl sich das statistisch auch anders bewerkstelligen liesse.

Das gilt selbstredend nur für Indikatoren, zu denen es überhaupt schon Daten aus dem Zeitraum vor der Revision gibt. Für gewisse – zum Beispiel das Dialogverfahren – macht ein Vergleich grundsätzlich keinen Sinn und wir zeigen einfach die Trends nach Inkraftsetzung der jeweiligen Gesetzesgrundlagen auf.

Welche Relevanz haben die vom Vergabemoni­toring erfassten Ausschreibungen – werden die volumenmässig bedeutendsten Vergabestellen dabei ­berücksichtigt?

Wir werten grundsätzlich nicht sämtliche Vergabestellen einzeln aus, obwohl das technisch möglich wäre. Demnach können wir auch keine Aussage über die volumenmässige Bedeutung einzelner Vergabestellen machen. Wir werten nach ein­zelnen politischen Ebenen (Bund und Kantone) und Branchen (Baugewerbe, Ingenieurwesen, Architektur) aus, Ausschreibungen von Gemeinden berücksichtigen wir nicht. Hingegen erfassen wir die Anzahl der Ausschreibungen: Im Zeitraum unserer Auswertungen (seit Anfang 2018) sind es ca. 90 000. Davon sind 13 300 Bundesausschreibungen; danach folgt der Kanton Zürich mit 4200, Genf und Grau­bünden mit jeweils 2000 und dann noch Wallis, Bern und Waadt mit je ca. 1500 Ausschreibungen. Das sind bezogen auf die Anzahl Ausschreibungen die bedeutendsten Vergabestellen. Etwa 43 % dieser Ausschreibungen betreffen die Bauwirtschaft, gut ein Drittel das Baugewerbe.

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Das alles sagt aber nichts über das öffentlich ausgeschriebene Volumen aus; denn nur etwa 50 % aller öffentlichen Aufträge werden überhaupt auf Simap ausgeschrieben.2 Alle übrigen Ausschreibungen sind von Vergabestellen, die nicht zur Publikation auf Simap verpflichtet sind, oder solche mit unterschwelligem Auftragswert. Ich gehe aber davon aus, dass in Zukunft immer mehr auf Simap publiziert wird, da es das verbindliche Publikationsorgan für IVöB-Mitgliedskantone ist.

Um nochmal auf die Vergabevolumen zurückzukommen: Wir erfassen auch keine Zuschläge – für unseren Auftrag ist nur wichtig, wie die Ausschreibungen gestaltet sind.

Welche Trends im Sinne eines Paradigmenwechsels oder Kulturwandels lassen sich aus dem bisherigen Vergabemonitoring erkennen?

Wir stellen fest, dass der Bund mit gutem Beispiel vorangeht – insbesondere bei der Gewichtung von Qualitätskriterien. Solche haben die Vergabestellen des Bundes zwar schon vor der Revision häufig angewendet, nun aber noch mehr und mit höherer Gewichtung. Auch bei der Anwendung von Nachhaltigkeitskriterien steht der Bund im Vergleich überdurchschnittlich gut da. Jedoch stellten wir etwa ein Jahr nach Inkraftsetzung des neuen BöB eine gewisse Ermüdungserscheinung fest. Das kann vielerlei Gründe haben: Pilotversuche, die anschliessend keine Breitenanwendung fanden oder auch veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen.

Gemäss unserem neuesten Report haben indes viele Indikatoren wieder an Schwung gewonnen. Zwar nicht die Qualitätskriterien und deren Gewichtung, dafür aber die Nachhaltigkeitskriterien, das Krite­rium «Innovation» und die Anwendung von Dialogverfahren. Auch feiern Projekt- und Ideenwettbewerbe wieder ein leichtes Comeback.

Per Ende September 2023 war in zwölf Kan­tonen die IVöB in Kraft; allein im Zeitraum zwischen Januar und September 2023 sind sechs neue dazu­gekommen. Das kann Schwung gegeben haben. Andererseits holen Kantone auf, die vor der Revision gewisse Kriterien eher tief gewichteten. Wir sehen also, dass sich die ausgewählten Indikatoren bewegen und sich intuitiv stimmig verhalten. Damit meine ich: Wir sehen ein nachvollziehbares Abbild davon, wann und wo die jeweiligen Gesetze in Kraft getreten sind und wie damit umgegangen wird.

Dennoch sind die einzelnen Entwicklungen relativ schwer zu deuten. So entwickeln sich beispielsweise die Nachhaltigkeitskriterien zwar steigend, dafür aber auf tiefem Niveau. Gleiches gilt auch für die Anwendung des Dialogverfahrens. Damit können wir zwar einen Trend zeigen, aber nicht, wohin er letztendlich geht. Auch beobachten wir bei einigen Indikatoren eine Wellenbewegung – also die zuvor erwähnte Ermüdungserscheinung. Das kann saisonale Gründe haben, vom Projektportfolio abhängen, in Verbindung mit dem Budget stehen etc.

Hinsichtlich eines tatsächlichen Paradig­men­wechsels oder Kulturwandels ist aus meiner Sicht Voraussetzung, dass seitens Vergabebehörden ein Wille da ist, Neues auszuprobieren. Man sollte Innovation nicht nur einkaufen, sondern auch selbst pflegen.

Sind Unterschiede bezüglich der Vergabekultur auf den einzelnen föderalistischen Ebenen festzustellen?

Zum Geschehen auf Gemeindeebene kann ich nichts sagen. Für Beschaffungen des Bundes haben wir eine vergleichsweise verlässliche Datenbasis für die aufbereiteten Trends. Bei den Kantonen sind Auswertungen immer vom individuellen Ausgangspunkt bei der Umsetzung des neuen Vergaberechts abhängig. Vor diesem Hintergrund lassen sich ganz interessante Dinge beobachten: Bei einzelnen Kantonen sind zum Beispiel entgegengesetzte Trends bei der Anwendung von Qualitätskriterien zu erkennen. Das heisst, es gibt Kantone, die vor dem IVöB-Beitritt häufiger oder stärker gewichtete Qualitätskriterien anwendeten als danach. Auch dafür wird es Gründe geben.

Das bringt uns zu einem wichtigen Punkt: Der Ver­gabemonitor hat den Anspruch, unabhängig und unvoreingenommen zu informieren; nicht mit Fingerzeig zugunsten oder zulasten von irgendjemandem. Die Statistik muss fair sein, darum machen wir auch die Relevanztests. Ich persönlich finde Unterschiede zwischen oder innerhalb der politischen Ebenen einfach spannend, da sie Ausdruck eines lebendigen Föderalismus sind – und so soll es auch sein!

Würden Sie zusammenfassend sagen, dass wir aus Sicht der ersten Erkenntnisse aus dem Vergabe­monitoring auf dem richtigen Weg punkto des erhofften Paradigmenwechsels sind?

Mit dem Monitoring sehen wir, wie sich die Indikatoren über die Zeit verändern. Diese Beobachtungen machen aber keine Aussage darüber, ob es sich um eine gute oder schlechte Entwicklung handelt.

Nehmen wir den erhofften Paradigmenwechsel – also die Abkehr vom Preis- zum Qualitäts­wett­bewerb. Dabei gibt es durchaus auch relevante Begleit­erscheinungen, die aus unseren Auswertungen nicht direkt ablesbar sind; beispielsweise sorgt eine höhere Gewichtung der Qualitätskriterien (und gleichzeitig tiefere Gewichtung der Preiskriterien) nicht automatisch für höhere Honorare.

Wir sind also gewiss auf einem Weg und der Vergabemonitor zeigt, in welche Richtung er in etwa geht. Ob es die richtige Richtung ist, müssen die Branche und die Politik beurteilen.

Anmerkungen

 

1 Die zehn Indikatoren bestehen aus fünf Zuschlagskriterien (Qualitäts- und Nach­haltig­keitskriterien sowie den Kriterien «Innovation», «Plausibilität des Angebots» und «Verlässlichkeit des Preises) und fünf Verfahrensarten (Anwendung des Dialogverfahrens, des Projekt-, Ideen- und Gesamt­leis­tungs­wettbewerbs sowie den Ausschluss von Varianten).

 

2 Die Website competitions.espazium.ch unseres Verlags listet fortlaufend alle baudienstleistungsbezogenen Ausschreibungen von simap.ch und zahlreichen Amtsblättern der Kantone und Gemeinden.

Ergänzende Informationen zum Vergabemonitoring von Bauenschweiz (inkl. Datenerhebung und Methodik) und die bislang publizierten Quartalsberichte gibt es auf www.bauenschweiz.ch/de/vergabemonitor.

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