Wiederverwendung: nicht Bürde, sondern Chance
Die Möglichkeiten, klimaschonend zu bauen, sind vielfältig. Sie reichen von der Umnutzung bestehender Bauten über die Wiederverwendung vorhandener Materialien bis zu einer flexiblen Gebäude- und Grundrissstruktur, die Nachnutzungen ermöglicht. Sie alle werden in diesem Buch anhand meist überzeugender Projekte mit kurzen Texten und zahlreichen Bildern dargestellt.
Dass dem Bau, Betrieb und oftmals viel zu schnellen Abriss von Gebäuden ein immenser Anteil am Ausstoss von Treibhausgasen zuzurechnen ist, dürfte mittlerweile hoffentlich (fast) allen klar sein. Deshalb bedarf es im Bauwesen keiner Transformation, sondern einer Revolution. Die Nutzungsdauer muss wieder steigen, mit weniger energieintensivem Material gebaut und dieses vor allem wiederverwertet werden.
Auf Basis von gelungenen realisierten Beispielen dürften diesen Weg immer mehr Verantwortliche als den einzig richtigen gutheissen. In diesem Zusammenhang ist auch die Neuerscheinung «Building for Change. The Architecture of Creative Reuse» des Berliner Die Gestalten Verlags zu sehen. Mit Projekten aus der ganzen Welt will sie aufzeigen, wie wir schon heute klima- und ressourcenschonend für morgen bauen können, welche neuen Wege dafür zu beschreiten sind und vor welchen Hürden alle am Bau Beteiligten dabei stehen können.
Alle Beteiligten sind gefragt
Die 35 realisierten Projekte sind in sechs thematische Blöcke gegliedert, die sich mit dem Wandel unserer Städte und damit auch der Nutzung bestehender Gebäude beschäftigen oder die die Wiederverwendung bereits vorhandener Materialien in den Mittelpunkt des Entwurfsprozesses stellen. Eingeleitet wird jedes Kapitel von einem vierseitigen Essay und exemplarischen Fotos. Der Gehalt an neuen Informationen steigt dabei von Essay zu Essay.
Die Bauindustrie hätte dabei etwas weniger in die Schusslinie geraten müssen, denn wenngleich sie zweifelsohne ihren Beitrag zu leisten hat, gibt es auch nach wie vor eine Vielzahl an Architektinnen und Architekten, die lieber mit neuen Materialien arbeiten, denn vorhandene wiederzuverwenden. In vielen Ländern ist an diesem Punkt zusätzlich der Gesetzgeber gefordert, um dies mit den geeigneten Rahmenbedingungen deutlich zu erleichtern.
Lernen von fremden Kulturen
Die vorgestellten Gebäude verschiedener Typologien finden sich über den gesamten Globus verteilt, beispielsweise auch in Griechenland, der Tschechischen Republik und Kenia. Damit werden die kulturell durchaus unterschiedlichen Herangehensweisen aufgezeigt, die den Horizont der Leserinnen und Leser aus den jeweils anderen Ländern erweitern dürften. Eine Spalte Text liefert komprimiert die nötigen Details. Weitere Inhalte werden über längere Bildunterschriften transportiert. Grossformatige Bilder – meist auch ein Vorher-Nachher-Vergleich – sowie in der Regel mindestens ein Plan oder eine Axonometrie visualisieren das Ergebnis.
Bei einigen stellt sich dabei die Frage, ob sie dem Titel des Buchs wirklich gerecht werden. Insbesondere bei jenen des ersten Kapitels wurde viel neu gebaut und das mit in der Herstellung energieintensiven Materialien, wie Stahl und Beton. Der Fokus liegt zwar mehr auf der städtebaulichen Bedeutung des Erhaltenen, beispielsweise eines alten Stahlwerks oder einer Markthalle, doch auch hier hätte das Neugebaute ökologischer umgesetzt werden können.
Bis ins letzte Detail durchdacht
In der Summe überwiegen die überzeugenden Projekte, wie das Hotel «The Waterhouse» in Shanghai, das MO de Movimiento Restaurant in Madrid, ein zum Wohnhaus ausgebauter Wasserturm in Norfolk oder ein Recyclingcenter mit Hotel in Kamikatsu. Sie alle veranschaulichen, welch ästhetisch anspruchsvolle und hervorragend nutzbare Architektur entstehen kann, wenn alle an einem Strang ziehen und den sozialen, ökologischen und auch ökonomischen Wert der gebauten Umwelt in den Mittelpunkt ihres Handels stellen. Eingegangen wird dabei auch auf die Relevanz der Ausbildung künftiger Bauschaffender.Das ist richtig so, denn dort wird schliesslich das Fundament gelegt.
gestalten und Dr. Ruth Lang (Hg): Building for Change. The Architecture of Creative Reuse, Die Gestalten Verlag, Berlin 2022. 320 S., 24 × 30 cm, Hardcover, fadengebunden, ISBN 78-3-96704-044-9, 65.– Fr.
Buch bestellen unter order [at] staempfli.com (order[at]staempfli[dot]com). Für Porto und Verpackung werden Fr. 8.50 in Rechnung gestellt.