Für wen bauen wir?

Schulanlage Höckler; einstufiger Projektwettbewerb im offenen Verfahren

Der Wettbewerb für den Neubau der Schulanlage Höckler in Zürich Wollishofen macht einmal mehr deutlich, dass unser Bauen einen anderen Umgang mit den gegebenen Rahmenbedingungen erfordert. Wir müssen unsere Planungs- und Baukultur ändern – Bauen, Weiterbauen ist mehr denn je eine gesellschaftliche Aufgabe.

Data di pubblicazione
05-04-2022

Zürich Manegg war – nach Zürich-West und Zürich Oerlikon – eines der letzten grossen Entwicklungsgebiete der Stadt Zürich in deren Südwesten, eingegrenzt von Autobahn und S-Bahn einerseits und der Sihl andererseits. Mit der Umwidmung der Grund­stücke von der Industriezone zu einer Zentrumszone und einem entsprechenden erarbeiteten Gestaltungsplan in den 2000er-Jahren gab die Stadt den Eigentümern und Investoren das Areal zur Neubebauung mit maximaler Ausnutzung frei. Der Gestaltungsplan trat 2012 in Kraft. Kein Stein blieb auf dem anderen, und auch das alte Spinnereigebäude, Aushängeschild des Quartiers, ist nur Fassade. Aus der Vogelperspektive ragte es wie ein hohler Zahn aus den Ruinen des Areals (vgl. Luftbild oben). Heute beherbergt der Bau Eigen­tumswohnungen.

Die angeworfene Marketingmaschinerie verpackte den Umbau des Areals unter dem Label «Greencity» nachhaltig und zukunftsfähig. Immerhin: Die Neubauten wurden technisch derart aufgerüstet, dass sie weitgehend emissionsfrei be­trieben werden können, wenn auch die Erstellungskosten, der Verbrauch an Baumaterial, Rohstoffen und Energie in dieser Betrachtung keinen Eingang findet. Angesichts des städtischen Klimaziels «Netto-Null 2040» erscheint dieses Vorgehen kaum mehr denkbar. Dennoch wird, das zeigt der Wettbewerb Schulanlage Höckler, davon nicht abgewichen. Unser fehlendes Bewusstsein für die Notwendigkeit des Erhalts bestehender baulicher Strukturen trieb bereits Lucius Burckhardt in den 1960er-Jahren um; freilich noch unter anderen ­Vorzeichen.1

Zürich Manegg

Das Quartier ist also neu gebaut. Ein Quartier, dessen Geschichte ausradiert ist, dessen öffentliche Aussenräume auf ein nötiges Minimum reduziert sind und dessen Insellage durch die städtebauliche Manifestation der bestehenden Barrieren noch verstärkt wird. Der Stadtteil bietet 730 Wohnungen und 2500 Arbeitsplätze, die Bewohnerinnen und Bewohner sind eingezogen. Deren Kinder benötigen Schulraum, und so wird neben der bereits im Bau befindlichen Primarschule, einer Tagesschule für zwölf Schulklassen und zwei Kindergärten an der Man­eggstrasse auf dem letzten freien Areal die Sekundarschule Höckler entstehen. Diese war im Gestaltungsplan zunächst nicht vorgesehen.

Das Oechsle-Areal, Perimeter für den geplanten Neubau der Sekundarschule und benannt nach den Eigentümern, liegt inselartig im Zentrum des Quartiers und ist doch gleichzeitig von ihm abgeschnitten; eingekeilt zwischen dem S-Bahn­trassee der S4, der das Entwicklungsgebiet erschliessenden Man­eggstrasse auf der einen und der von Durchgangsverkehr stark belasteten Allmendstrasse auf der anderen Seite. Gegen Norden erheben sich die Autobahnanschlüsse der A3.

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Zudem liegt der nördliche Teil im Einflussgebiet einer Gashochdruckleitung, die unter der Autobahn verläuft, weitere Teile befinden sich im Gewässerschutzbereich Au, die zulässige Einbautiefe in das Terrain ist dort begrenzt. Auf dem Areal stehen gut erhaltene Gewerbehallen: das Werk- und Magazingebäude und die Maschinenhalle der ehemaligen Locher & Cie – die letzten Zeugen der Quartiergeschichte.

Fragen über Fragen

Soweit die Rahmenbedingungen, die bei näherer Betrachtung einige Fragen aufwerfen. Warum angesichts der oben skizzierten Ausgangslage kein anderer Standort für die Sekundarschule im Gestaltungsplan verankert wurde, wäre eine erste Frage. Eine zweite betrifft das Vorgehen. Warum wurde im Zuge der Umwidmung der Flächen und der Ausarbeitung des Gestaltungsplans mit den Eigentümern und Investierenden der notwendige Standort für die Sekundarschule nicht ausgehandelt? Heute mietet die Stadt die Fläche für 100 Jahre von den Eigentümern, für zunächst 750 000 Fr. pro Jahr.2 Die dritte Frage betrifft den Umgang mit dem Bestand. Die bestehenden Hallen sind derart robust gebaut, dass mehrgeschossige Aufstockungen auf die bestehende Tragstruktur möglich sind. Dies belegt eine Studie, die den am Wettbewerb teilnehmenden Büros vorlag. Gleichzeitig bieten die Hallen in ihrer Materialisierung und Raumdisposition, mit ihrem Werkstattcharakter die einmalige Gelegenheit, um Funktionen einzuschreiben, die dieses Angebot gut nutzen und ein besonderes Raum- und Lernerlebnis bieten könnten. Doch schon vor der Ausschreibung des Wettbewerbs wurde beschlossen, dass die Industriehallen abgerissen werden, und ein entsprechender Vertrag mit den Eigentümern unterzeichnet. Die Stadt als Bauherrin sollte das Areal ohne die Hallen übernehmen. Dass die Hallen heute noch stehen, ist vor allem dem Verein Zitrone zu verdanken, der sich für die Zwischennutzungen und den befristeten Erhalt der Hallen eingesetzt hat. Inzwischen wurde für den Bau einer die Sekundarschule mit dem angrenzenden Quartier und der Primarschule verbindenden Passerelle, dem sogenannten Haspelsteg, ein erster Teil einer der beiden Hallen abgebrochen.

Eine letzte Frage wäre, wie wir unsere Kinder heute schulen möchten, welche Bedingungen und vor allen welche Räume sie dafür benötigen; denn die Schule ist auch der Ort, an dem wir jungen Menschen den Blick auf die Welt und das Verständnis für sie ganz grundlegend vermitteln. Wenn Werterhaltung eine besondere Identität erzeugen kann für ein Gebäude, für einen Ort, dann fördert dies auch das Selbstverständnis der Schülerinnen und Schüler hin zu einem umsichtigen Umgang mit unserer gebauten Geschichte. Nicht  zuletzt kann eine Schule in einem solchen Quartier den Anwohnerinnen und Anwohnern Räume und Orte für gemeinschaftliche Aktivitäten bieten – Raum zur Aneignung und informellen Nutzung, den die Manegg dringend benötigt.

Das Wettbewerbsprogramm

Es waren also bereits vor Wettbewerbsauslobung Tatsachen geschaffen. Dennoch überprüfte das Amt für Hochbauten als Bauherrenvertreter im Rahmen einer Machbarkeitsstudie, ob die zweigeschossigen Hallen in das Schulprogramm integriert werden könnten. Aufgrund der «komplexen Rahmenbedingungen» erschien ein Teilerhalt unrealistisch, und in der Folge wurde in der Ausschreibung auch explizit von einem Neubau gesprochen. Dennoch stand es den Teilnehmenden frei, den Bestand zu integrieren.

Von den Wettbewerbsteilnehmenden war der Entwurf einer Tagesschule gefordert, die 15 Regel- und 7 Sonderklassen mit 400 Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe sowie der Oberstufe für Gehörlose und Schwerhörige der Heilpädagogischen Schule aufnehmen kann. Die Klassenzimmer sollten in Clustern angeordnet werden. Zudem galt es, Räume für die Musikschule Konservatorium Zürich, einen Teambereich für über 100 Personen, Büroräumlichkeiten für die Schulleitung und das Sekreta­riat, Betreuung, Sozialarbeit und Haustechnik unterzubringen sowie drei Einfachsporthallen und eine Schulschwimmanlage. In Verbindung mit diesem Programm drängt sich zusätzlich die Frage auf, warum wir in Zeiten eines absehbaren Energiemangels und einschneidender klimatischer Veränderungen neue Hallenschwimmanlagen für Schulen bauen.

Die Aussenanlagen sollten den Schülerinnen und Schülern altersgerechte Aufenthaltsräume bieten und ausserhalb der Schulzeiten dem Quartier zur Verfügung stehen.  Dort, wo der die beiden Stadtteile und das Areal verbindende Haspelsteg das Areal in dessen südlichen Bereich anbindet, war von den Wettbewerbsteilnehmenden die Anlage eines Platzes, des zukünftigen Locher-Oeri-Platzes, gefordert.

Übergeordnet forderte der Wettbewerb ein «gesellschaftlich vorbildliches Projekt», das «städtebaulich angemessen auf die bestehende Stadtstruktur reagiert» und «einen Beitrag zur Quartieraufwertung leistet». Zudem sollte der Beitrag «wirtschaftlich» und «ökologisch vorbildlich» sein, sodass «Treibhaus­gasemissionen und Energiebedarf bei der Erstellung und im Betrieb auf ein Minimum reduziert sind».

Der Wettbewerbssieger

Aus den 32 eingereichten Projekten haben sechs mit dem Bestand gearbeitet, fünf Projekte kamen in die engere Wahl, davon haben zwei die Hallen erhalten. Das siegreiche Projekt «Willkommen an Bord» vom Luzerner Büro Konstrukt mit Brücker + Ernst (Bauphysik, Akustik, Lärmschutz, Nachhaltigkeit) ist ein Neubau. Ein kompakter, schmaler, lang gezogener Baukörper mit den Turnhallen sowie der Schwimmhalle im Unter- und Erdgeschoss, darüber liegenden Klassen- und Verwaltungsräumen und einer gross­zügigen Dachterrasse. Es wird von der Jury mit dem ersten Rang und dem ersten Preis ausgezeichnet und zur Weiterbearbeitung empfohlen. Der Entwurf hätte – mit der Favorisierung des Neubaus und unter anderen Rahmenbedingungen – zu Recht den ersten Preis verdient. Der Beitrag vermittelt eine eigenständige Idee von Schule als Lernlandschaft und schafft ein besonderes Gebäude. Die Klassengeschosse, die durch die versetzte Anordnung der Klassen- und Gruppenräume eine abwechslungsreiche Korridorlandschaft zur Maneggstrasse und zur gegenüberliegenden Seite Lernbalkone erhalten und über offene Treppenhäuser miteinander verzahnt sind, sowie der grosszügige Freiraum auf der Dachterrasse zeichnen den Entwurf aus. Der Beitrag reagiert auf die einschränkenden Rahmenbedingungen und schafft einen Dampfer für das Lernen, der, um im Bild zu bleiben, die Leinen löst und die Schulgesellschaft mitnimmt auf die Reise. Damit würde ein weiterer Solitär ins Quartier gesetzt, der dem städtischen Raum – sieht man von den vorgeschlagenen Baumpromenaden zur Allmendstrasse und zum S-Bahn-Trassee ab – wenig Beachtung schenkt. Einzig der Locher-Oeri-Platz, zu dem der Hauptzugang der Schule orientiert ist, schafft eine gewisse Öffentlichkeit. Ein zwei­geschossiger Aufbau auf der Dach­terrasse beherbergt die Tagesstrukturen, die Mensa und einen Mehrzweckraum. Zudem finden sich Sport- und Pausenflächen unter der alles zusammenfassenden grossen Dachstruktur. Die Freiräume sind über zwei grosse Wendeltreppen auch für die Öffentlichkeit zugänglich. Damit folgt der Beitrag einem ähnlichen Konzept wie beim Neubau der Primarschule vis-à-vis; auch dort befinden sich die Pausenflächen auf dem gedeckten Dach.

So sehr diese Konzepte angesichts der Situation verständlich scheinen, sie verlegen das öffentliche Leben aus dem Stadtraum auf die Gebäude. Möchte man einen Schulneubau auch als Baustein eines Quartiers verstehen, dann sollte das Angebot an Nutzungen für alle auch im städtischen Raum stattfinden können. Zumal die Fläche im Norden des Areals im Beitrag als Parkplatz ausgewiesen ist. Eine andere Nutzung wäre wünschenswert. Eines ist sicher: Die Geschichte der Manegg wird mit diesem Neubau und dem damit bedingten Abriss der Hallen endgültig verschwinden.

Überzeugende Projekte auf die Ränge verwiesen

Der zweite Rang wurde als Ankauf an das Projekt «Werkstadt» der Zürcher ARGE Enzmann Fischer / Meyer Dudesek Architekten mit Bakus Bauphysik & Akustik und dem Büro für Nachhaltigkeit am Bau vergeben. Die Architekten haben sich für den Erhalt der Hallen entschlossen und im Zuge dessen zur Erfüllung des Raumprogramms einen Grenzabstand am nördlichen Ende des Areals überschritten, was für die Jury zum Entscheid der Vergabe eines Ankaufs führte, da damit eine Korrektur im Gestaltungsplan erforderlich würde. Wobei auch der erste Preis eine solche benötigen könnte: Das Argument der planerischen Unsicherheit verfängt hier nicht. Der Beitrag folgt einem gänzlich anderen Ansatz, und angesichts der oben geschilderten Ausgangssituation wäre ein anderer Entscheid der Jury wünschenswert gewesen. Schon die Namensgebung gibt einen Hinweis, was das Projekt zu leisten vermag. Gemeinsam mit dem ersten Preis ist ihm, dass er für die zukünftigen Schülerinnen und Schüler unverwechselbare Lernlandschaften bieten kann. Jedoch ist die «Werkstadt» darüber hinaus ein Quartierbaustein und schafft anzueignenden Raum in einem ansonsten überdeterminierten Quartier. Mit dem Erhalt des aktuell vom Verein Zitrone genutzten Wärtergebäudes im nördlichen Grundstücksbereich und der alten Werkstatt in einer der Hallen könnten die heute dort eingezogenen Zwischennutzungen bleiben. Die Industriehallen mit ihren hellen Ziegelfassaden und den durchlaufenden Fensterbändern werden, als letzte Zeugen der Quartiergeschichte, zum Ausgangspunkt für deren Neudefinition. Dass die ehemaligen Werkstätten wunderbare Lernwerkstätten werden könnten, belegt der Entwurf der Verfassenden. Ihnen gelingt die geschickte Verknüpfung von Bestand und Aufstockung räumlich wie auch formal. Mit dem Erhalt der Hallen und dem als Archiv und Einstellhalle umgenutzten Untergeschoss wird CO2 eingespart (gemäss Projektverfassenden: 900 Tonnen). Zudem kann durch eine Umnutzung anstelle eines Rückbaus die Bauzeit reduziert und das Bauen im kritischen Grundwasserbereich vermieden werden.

In den hohen Räumen des Erdgeschosses sind Mehrzweckraum, Mensa und Bibliothek sowie Betreuungsbereiche eingestellt. Eine Pufferzone mit Zwischenklima ermöglicht das Erleben der einmaligen Atmosphäre der Industriehallen und schafft gleichzeitig eine gewisse Offenheit, die den Werkstattcharakter unterstreicht. Dieser Strategie folgt auch die Gruppierung der Nutzungen im ersten Obergeschoss des Bestands. Auf den Dachflächen der südlichen Halle liegen die Aussensportplätze, die direkt an die Passerelle angebunden und auch ausserhalb der Schulzeiten für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Die nördliche Halle sowie der angrenzende Aussenraum sind durch einen zweigeschossigen Holzbau aufgestockt, in ihm sind die Cluster der Klassenzimmer angeordnet. Die begehbaren Dachlandschaften aller Bauten sind durch Treppen- und Rampenanlagen miteinander verbunden, es entstehen Aussenräume von besonderer Qualität.

Der Beitrag von ARGE Enzmann Fischer / Meyer Dudesek Architekten versucht, mit dem Erhalt der Halle mehr als nur eine Schule zu schaffen: Die Belebung der Man­egg und das Entwickeln des Ortes aus dem Verständnis von Schule als Baustein eines Quartiers einerseits und das Bewusstsein für die Bedeutung des Bestands andererseits schaffen eine andere Ausgangssitua­tion für den Entwurf.

Die nicht prämierte Arbeit «Cobra» des Zürcher Büros DU Studio führt diese Idee der Schule als Stadtbaustein, als Lernlabor und Motor der Quartierentwicklung noch konsequenter weiter, treibt sie förmlich auf die Spitze und liefert damit einen wertvollen Beitrag zur Diskussion über die Disposition des Quartiers insgesamt. Die Arbeit skizziert, was bei der städtebaulichen Planung ­versäumt wurde, nämlich öffent­liche Räume und Orte der Aneignung zu schaffen. Die Insellage der Man­egg, die diese letztlich von Zürich trennt, wird durch eine Passerelle, die als «Rückgrat» auf dem Niveau des Haspelstegs und von diesem ausgehend die Bauten der Schulanlage mit der Allmend verbindet, durchbrochen. Auf der Allmend beginnt die Folge von öffentlichen Räumen, Plätzen, Nutzungsangeboten und Unterrichtsräumen mit einem Amphitheater, das sich zur Landschaft öffnet, und führt über eine am Sihl­damm vorgeschlagene Struktur, die für Schule und Quartier zusätzliches Raum­angebot bereithält sowie Mensa und Tagesstrukturen verortet, am Rand der Allmend und am Fluss, zu dem im Auge des Autobahndreiecks, dem «ultimativen Unort», gelegenen Mehrzweckturm. «Die Schule wird in ihrer […] räumlichen Vielfalt zum aneigenbaren Ort fürs Quartier».

Die Architekten erhalten die Hallen und verweben sie mit Aufstockungen zu einem neuen Ganzen. Seitlich am Bestand verläuft die verbindende Passerelle. Die Schule öffnet sich über Treppen und Brücken zum Quartier. In der Konsequenz ist eine der bestehenden Hallen mit bis in das Untergeschoss freigelegter Tragstruktur als öffentlicher Platzraum gedacht. Es ist letztlich diese Idee der Verzahnung von öffent­lichem Raum und Schulraum, die besticht. Die Schule als Lernort ist Teil des öffentlichen Lebens. Lernen wird zur alltäglichen Praxis. Das Projekt wurde jedoch aufgrund der Perimeterverstösse von der Preiserteilung ausgeschlossen.

Wie weiterbauen?

Von den 32 eingereichten Arbeiten und im Hinblick auf die oben geschilderte Ausgangslage überzeugt das Projekt «Werkstadt». Es ist unbestritten, dass mit der Umnutzung eine andere Schule entstehen wird als bei der Ausführung des ersten Preises. Dies scheint auch (neben dem Baurechtsverstoss) das Hauptargument der Jury, insbesondere der Schulvertretung, die betriebliche Nachteile gegenüber einem Neubau fürchtet. Doch gerade hier müssen wir umdenken. Mit der Umwidmung bestehender Bauten werden wir von unseren Komfortansprüchen ebenso abweichen müssen wie von gewohnten Funktionsabläufen. Wir müssen unsere Normierung ebenso hinterfragen wie unsere Bauprozesse. Und gerade darin liegt unsere Chance.

In der Stadt Zürich stehen rund 54 000 Gebäude.3 In den letzten 20 Jahren sind gut 6000 davon abgebrochen worden, das sind mehr als 10 Prozent des Bestands.4 Wenn wir so weitermachen, dann werden wir in 100 Jahren mehr als die Hälfte der Stadt und damit ihrer Geschichte abgebrochen haben. Wir dürfen es nicht zulassen, dass das Ziel «Netto-Null 2040» zu einer Marketinghülse verkümmert. Im Jurybericht schliesst die Beurteilung des Projekts «Werkstadt»: «Aber würden man die Klimajugend fragen, so wäre ‹Werkstadt› wohl ihre neue Schule.» Wir sollten nicht im Konjunktiv stehen bleiben. Für wen, wenn nicht für die Klimajugend, bauen wir?

Anmerkungen
1 Philippe Koch, Andreas Jud, ZHAW Institut Urban Landscape (Hrsg.), Bauen ist Weiterbauen. Lucius Burckhardts Auseinandersetzung mit Architektur, Zürich 2021.
2 Weisung des Stadtrats von Zürich an den Gemeinderat vom 21. Oktober 2020, 1. Zweck der Vorlage.
3 Stadt Zürich, Amt für Statistik, BAU508T5082_Gebäudebestand_nach Bauperiode_Stadtquartier vom 30.1.2022.
4 Stadt Zürich, Amt für Statistik, BAU506T5064_Abbruch_nach_Gebäudeart_Zimmerzahl vom 30.1.2022.

Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch

Kommentar zum Wettbewerbsresultat

Auszeichnungen

1. Rang, 1. Preis: «Willkommen an Bord»
Büro Konstrukt, Luzern; Brücker + Ernst, Luzern
2. Rang, Ankauf: «Werkstadt»
ARGE Enzmann Fischer / Meyer Dude­sek Architekten, Zürich; koepflipartner, Luzern; Bakus Bauphysik & Akustik, Zürich
3. Rang, 2. Preis: «Argo»
Harder Spreyermann Architekten, Zürich; Querfeld Eins Landschaft Städtebau Architektur, Dresden; Bakus Bauphysik & Akustik, Zürich
4. Rang, 3. Preis: «Lernwerkstatt»
atelier ww Architekten, Zürich; Chaves Biedermann, Basel; 3-Plan Haustechnik, Winterthur
5. Rang, 4. Preis: «Kaskade»
Gregor Bieri und Jonas Brun, Zürich; Claudia Ernst, Jodok Imhof, Zürich; Steigmeier Akustik + Bauphysik, Baden

Fachjury

Jeremy Hoskyn, Amt für Hochbauten (Vorsitz); Mireille Blatter, Amt für Städtebau; Barbara Strub, Architektin, Zürich; Nilufar Kahnemouyi, Architektin, Zürich; Daniel Niggli, Architekt, Zürich; Lorenz Baumann, Architekt, Zürich; Günter Vogt, Landschaftsarchitekt, Zürich

Sachjury

Jacqueline Peter, Präsidentin Kreisschulbehörde Uto; Thomas Stohler, Schulamt; Cornelia Mächler, Immobilien Stadt Zürich; Benjamin Leimgruber, Immobilien Stadt Zürich; Peter Oechsle, Grundeigentümer; Gina Balsiger, Quartiervertreterin

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