Vom Staa­ts­sym­bol zum Kun­sto­b­jekt und zu­rück

Im Herbst 2021 zog es Tausende nach Paris: Für 16 Tage war der Triumphbogen verhüllt. Um Gewebe und Seile zu befestigen, gegen Windlasten zu sichern und alles so aussehen zu lassen, wie es sich der verstorbene Künstler Christo gewünscht hatte, entwickelten die ­Ingenieurinnen und Ingenieure ein ausgeklügeltes Tragwerks­konzept.

Data di pubblicazione
11-03-2022

Vom 18. September bis zum 3. Oktober 2021 verschwand der Pariser Triumphbogen unter gefalteten, blau-silbernen Stoffbahnen. Rote Seile hielten das Gewebe zurück, sodass es nicht vom Wind aufgebläht oder weggerissen wurde. Doch wie gelang es, ein rund 50 m hohes und 45 m langes Monument mit einer Breite von 22 m so zu verhüllen, dass die Seile wie auch jede Stofffalte dort sassen, wo der bulgarische Künstler Christo (1935–2020) es vorgesehen hatte?

Mit der Verhüllung des Triumphbogens erfüllte sich nach Jahrzehnten einer seiner Träume, denn die Idee zur Installation «L’Arc de Triomphe, Wrapped» entstand bereits in den 1960er-Jahren.1 Um sie verwirklichen zu können, brauchte Christo die Unterstützung von erfahrenen Tragwerksplanerinnen und -planern. Da das Christo-Team schon an den Mastabas in London und Abu Dhabi (bisher nicht realisiert) mit dem Ingenieurbüro Schlaich Bergermann Partner (sbp) gearbeitet hatte, fragte es nun erneut dort an.

Wenn der Wind am Denkmal zerrt

Was Segelfreunde freut, führt bei Ingenieuren zu Kopfzerbrechen: Wind. Die Grösse des Triumphbogens und sein erhöhter Standort auf der Place Charles-de-Gaulle – wo der Wind von allen Seiten angreifen kann – haben sehr hohe Lasten zur Folge. Spezialisierte Windingenieure bauten ein massstabsgetreues Modell des Monuments und seiner Topografie. Der Stoff wurde durch ein gelochtes Blech simuliert. Die Lochfläche entsprach dabei der Durchlässigkeit des Originalstoffs. Wetterdaten und Versuche im Windkanal halfen, die Hauptwindrichtung zu erfassen und den maximalen Windsog zu ermitteln – beides wichtige Kenngrössen für die Berechnung.

Da die Verhüllung den temporären Bauten zugeordnet werden konnte, durfte man die Windlasten laut Regelwerk (NF EN-1991-1-4/NA) abmindern. «Wir mussten uns nicht mehr am 50-jährlichen Wind orientieren, sondern konnten nach nationalem Anhang des Eurocodes sogar den Fünfjahreswind verwenden», sagt Anne Burghartz, die Projektleiterin der Tragwerks­planung bei sbp.

Blieb die Frage, wie man den Stoff befestigt, damit er vom Wind nicht fortgerissen wird. «Das war nicht so einfach, wegen der riesigen Dimensionen und weil der Triumphbogen ein wertvolles, historisches Monument ist, dessen Bausubstanz wir schützen mussten. Der Triumphbogen hat zudem viele Teile, an denen wir nicht direkt den Stoff oder die Seile darüber werfen durften.» In enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege, dem Centre des monuments nationaux (CMN), haben die Planerinnen und Planer herausgearbeitet, an welchen Stellen sie das Bauwerk berühren durften, wo es möglich war, Anker zu setzen oder Löcher zu bohren, und an welchen Stellen es spezielle Schutzstrukturen braucht – auch damit Arbeiter und Kletterer das Monument nicht beschädigten.

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Damit es von aussen natürlich aussieht, durften zudem die roten PP-Seile, die den Stoff trugen und wie ein Netz zurückhielten, immer nur an ihren Knotenpunkten verankert werden – ein bisschen wie bei einer Steppbettdecke. Anhaltspunkte für das Vorgehen lieferten neben Christos Zeichnungen auch Pläne und Fotos zweier Vorgängerprojekte: der silbern ­verpackte Reichstag in Berlin (1995) und der mit einem goldenen Vorhangschimmer verhüllte Pont Neuf in Paris (1985). Den Ingenieuren gelang es, die Seilverläufe, die Seillagen und deren Anzahl aus den wenigen Angaben abzuleiten. Ein entscheidender Schritt, um ein Tragwerkskonzept zu erarbeiten.

Gerüst als lastverteilende Zwischenebene

«Wir dachten anfangs, wir müssten ein komplettes Raumgerüst um den Triumphbogen bauen. Ein Gerüst kann man da verankern, wo die Fassade es zulässt, und auf der Aussenseite die Seile dort befestigen, wo es nötig ist. Hätte ein Seilknoten eine Verzierung oder eine Statue getroffen, hätten wir diesem Problem bequem ausweichen können», sagt Anne Burghartz. Nach vielen Studien stand fest, dass ein Gerüst maximal 30 bis 40 cm tief hätte sein dürfen, damit es die Proportionen des Bauwerks nicht verändern würde. «Ansonsten waren die Bögen zu klein oder die Füsse zu klumpig», erklärt die Ingenieurin. «Wenn wir das Raumgerüst umgesetzt hätten, wäre es nur der verpackte – in ein Gerüst gehüllte – Triumphbogen gewesen.»

Parallel zur Gerüstidee arbeitete das Team an punktuellen Stahlstrukturen, die die sensiblen Stellen umfassen sollten und gleichzeitig die Konturen so veränderten, dass das Bild der Vorstellung Christos entsprach. Es gelang, Stahlspangen zu entwerfen, die die Kanten schärften und die Gesimse schützten. Zudem war eine Arbeitsplattform auf dem Dach nötig, die über die Attika auskragte und auf der man die Stoffrollen mit dem Kran absetzen, abrollen und befestigen konnte.

Aussergewöhnliches sichtbar machen


Christo Wladimirow Javacheff und Jeanne-Claude Denat de Guillebon wurden beide am 13. Juni 1935 geboren, er in Bulgarien, sie in Marokko. Christo studierte Kunst in Sofia und Wien, Jeanne-Claude Philosophie und Latein in Tunis. Beide lernten sich 1958 in Paris kennen und lebten später in New York. Jeanne-Claude verstarb am 13. November 2009, Christo im März 2020.

 

Das aussergewöhnliche Künstlerpaar setzte sich mit Vehemenz und Überzeugung für seine Kunst im öffentlichen Raum ein. Diese war stets nur kurzzeitig zu erleben. Sie verfremdete Landschaften, Bauten und Objekte, die dadurch eine neue Ästhetik und Bedeutung erlangten.

 

1998 führte ihr Weg auch in die Schweiz: Nach 32 Jahren Vorarbeit verhüllten Christo und Jeanne-Claude zwischen dem 13. November und 14. Dezember 1998 im Park der Fondation Beyeler in Riehen 178 Bäume. Für jeden einzelnen Baum wurde ein extra Schnitt­muster angefertigt. Als Verhüllungsmaterial kamen 55 000 m² silbergrau schimmerndes Polyestergewebe und 23 km Seil zum Einsatz.


Unterhalb des Gesimses musste eine Sonderlösung her: Genau an der Taille, wo der Stoff zurückgezogen werden sollte, liegt ein sensibles umlaufendes Band mit Figuren, die geschützt werden mussten. Allein mit den roten Kunststoffseilen war die Taille nicht herauszuarbeiten. Dafür waren die Abmessungen des Monuments zu gross. Die Seile hätten stark vorgespannt werden müssen und hätten trotzdem nachgegeben. Die Ingenieurinnen lösten das Problem, indem sie direkt an der Fassade vorgespannte Stahlseile vorsahen. Diese wurden nicht im Stein verankert, sondern drückten sich wie ein Ring um das Gebäude, die Ecken wurden mit Kantenschonern und Gummimatten geschützt.

Durch sogenannte Knopflöcher im Gewebe konnten die Kletterer die Stoffbahnen auf das vorgespannte Stahlseil zurückklemmen. «Diese Idee war ein Durchbruch. Unserer Ansicht nach konnten wir nun die Gerüst­idee zu den Akten legen. Denn die Kombination aus Stahlkäfigen und Seilkorsett war schöner, eleganter, sparte Material und Zeit», erinnert sich Anne Burghartz. «Nur hat Christo unserem Team zunächst nicht geglaubt, dass die Konstruktion mit den Stahlseilen funktionieren würde.»

Testaufbauten überzeugen Christo

In einem Vorort von Paris baute die Unternehmung im Herbst 2019 Teile des Triumphbogens im Massstab 1 : 2 nach. An diesem riesigen Mock-up präsentierte das Planerteam beide Tragwerkskonzepte: das Gerüst und die Seilkonstruktion. Anne Burghartz erklärt: «Da der Testaufbau etwas zu wackelig war und wir die Seile nicht richtig vorspannen konnten, hat die Seilkonstruktion leider nicht optimal funktioniert.» Eine Woche später baute der Seilhersteller in Nantes einen weiteren Teststand auf, und ein 50 m langes Seil wurde vorgespannt. Die Frage, die das Team um Christo besonders umtrieb, war die Reaktion der Konstruktion, wenn der Wind den Stoff und damit das Stahlseil nach aussen zieht. Seine Sorge war, dass – lässt der Wind nach – das Seil zurückknallt wie eine Gitarrensaite und die Fassade zertrümmert. In einem weiteren Test wurde das 50 m lange Seil also nach oben gezogen und losgelassen; als es schliesslich sanft zurückschwang, war der Künstler mit Team überzeugt.

 

Interview-Triumphbogen-Anne-Burghartz

«Ein Sturm kann dich immer treffen»
Insgesamt arbeiten rund 1200 Menschen an der Verhüllung des Triumphbogens in Paris mit. TEC21 hat mit der Bauingenieurin Anne Burghartz über die Herausforderung gesprochen, das französische Nationaldenkmal in ein temporäres Kunstobjekt zu verwandeln.
Das Interview findet sich in TEC21 7/2022.

 

Was der Test ebenfalls zeigte: Die Vorspannung der Stahlseile allein reichte nicht, um den Windlasten und dem Eigengewicht des Stoffs ausreichend Steifigkeit entgegenzusetzen. Aus der gewünschten Taille wäre ein Bauch geworden. Was bei Seilen für Steifigkeit sorgt, ist Krümmung. Deshalb krümmten die Verantwortlichen das vorgespannte Stahlseil mithilfe von Holzabstandhaltern parabelförmig, sodass es gegen die Fassade gedrückt wurde. Greift der Wind an, muss er erst mal die Vorspannung abbauen, bevor sich etwas bewegen kann.

Vorfahrt für das Publikum

Die Idee der Verhüllung reifte Jahrzehnte, geplant hat man Jahre, doch der Aufbau durfte nur zwei Monate dauern. Deshalb setzten die Beteiligten auf Vorfertigung und optimierte Verbindungsdetails. Speziell bei der Konstruktion der Stahlbauverbindungen wurden Lösungen entwickelt, die nahtlos zu verbinden, leicht zu montieren und zu verschrauben waren – sodass sie eine scharfe Kante ergaben. Und die fähig waren, vertikale und horizontale Toleranzen von 2 bis 3 cm aufzunehmen, falls das Aufmass des Gebäudes nicht gestimmt hätte. Burghartz ist sich sicher: «Was baupraktische Stahlbauverbindungen angeht, haben wir viel gelernt, was wir in unseren Projekten weiter verwenden können.»

Für die Logistik war die Bauunternehmung zuständig. Die Lage der Baustelle war herausfordernd: auf einer Verkehrsinsel inmitten eines sechsspurigen Kreisverkehrs, auf den zwölf Prachtstrassen zulaufen. Zudem durfte der Verkehr nicht behindert und der Triumphbogen für Besucherinnen und Besucher nicht geschlossen werden. Sowohl die Ausstellung in der Mitte des Monuments als auch die Terrasse mussten von 10 bis 23 Uhr begehbar sein. Die Baustelle wurde darum herum organisiert, mit allem, was dazu gehört: keine Überkopfkrantransporte, Wege frei halten, ge­ringe Lagerflächen und zwei Anlieferungsorte, die je nach Besucherströmen abwechselnd betrieben werden mussten. Die Wichtigkeit des Orts und des Monuments zeigte sich auch darin, dass die Zeremonie zu Ehren des Unbekannten Soldaten jeden Abend stattfinden musste, nicht verlegt oder gestört werden durfte. «Wir haben täglich um 17 Uhr die Baustelle lahmgelegt, gefegt, gesaugt und den Platz um die ewige Flamme hergerichtet. Die Zeremonie – bei der kleinen kamen etwa 20 bis 30 Generäle, an besonderen Feiertagen waren auch mal 200 Personen vor Ort – dauerte etwa bis 19 Uhr. Erst dann konnten wir weiterarbeiten», sagt Burghartz.

Wrapped – unwrapped

Am 15. Juli begann der Aufbau der Unterkonstruktion. Nur für einen kurzen Moment war die langjährige Arbeit von Anne Burghartz und ihrem Team sichtbar, bevor 70 Industriekletterer das silbern-blaue Polypropylengewebe über das Wahrzeichen ausrollten und die roten Seile anbrachten. Hunderttausende bestaunten das Kunstwerk, bevor am 4. Oktober der Rückbau begann. Das Material wird konventionell recycelt, d. h., der Stahl als Schrott eingeschmolzen, Stoff und Seile zu Kunststoffprodukten wie Sonnenbrillen verarbeitet. Denn es dürfen keine wiedererkennbaren Teile übrig bleiben – eine wiedererkennbare Nachnutzung wollte Christo nicht.

Was bleibt, sind die Erinnerungen – und Bohrungen, die in den kostbaren Stein getrieben wurden. Die Bohrlöcher werden derzeit verfüllt und in aufwendiger Handarbeit an die Patina der Restfassade an­gepasst. Christo und sein Team hatten zugesagt, das Monument so zurückzulassen, wie sie es vorfanden. Die Sorge um das, was man verpackt, war von Seite des Verpackenden ebenso gross wie von der Denkmalpflege. Für Anne Burghartz ein Ansporn: «Das CMN hat das Monument mit Zähnen und Klauen verteidigt und alles an Bedenken vorgebracht, was man vorbringen kann. Das hat uns zur Höchstleistung angespornt.»

Anmerkung
1 Bereits 1961 spielten Christo und Jeanne-Claude mit dem Gedanken, den Triumphbogen in Paris zu verhüllen. 2017 wurde die Idee wieder aufgegriffen, und Christo legte gemeinsam mit dem Centre Pompidou das weiterentwickelte Kunstvorhaben offiziell zur Genehmigung vor. Der französische Präsident stimmte 2019 zu, und bereits im gleichen Jahr wurde das Projekt durch das Centre des monumentes nationaux (CMN) offiziell genehmigt.

L’Arc de Triomphe, Wrapped

 

Bauherrschaft
CVJ Corporation (Christo und Jeanne-Claude)

 

Beratender Ingenieur
Vince Davenport

 

Tragwerkskonzept und -planung
sbp schlaich bergermann partner; Stuttgart, Berlin, Paris

 

Membranplanung
Tritthardt + Richter, Ingenieurbüro, Radolfzell (D)

 

Windingenieure
Wacker Ingenieure, Birkenfeld (D)

 

Bauunternehmung
Les Charpentiers de Paris, Bagneux (F)

 

Produktion Polypropylengewebe
Setex Textil, Dingden (D)

 

Stahl-Litzenseile
Freyssinet, Rueil-Malmaison (F)

 

Industriekletterer
Réseau Jade, Wasquehal (F)

 

Beschichten des Stoffs
ROWO Coating, Herbolzheim (D)

 

Membranherstellung
geo – Die Luftwerker, Lübeck (D)

 

PP-Seile
Gleistein Ropes, Bremen (D)

 

Daten
Zu verhüllende Fläche
14 000 m2

 

Polypropylengewebe mit Aluminium beschichtet
25 000 m2

 

Gewicht des Gewebes
Rund 600 g/m2

 

Seillänge (PP-Seile)
3000 m

 

Kosten
Rund 14 Mio. Euro

 

Selbstfinanzierung
Die Projekte werden durch Verkäufe von Christos Vorarbeiten – Zeichnungen, Collagen und frühen Arbeiten – finanziert. Die Künstler waren überzeugt, dass sie bei ihrer Arbeit nur so völlige Freiheit haben. Sobald man Fremdmittel in Anspruch nähme, würden von aussen Vorschriften auferlegt.

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