Ob­jek­ti­vier­te Li­ch­tstim­mun­gen: die Ta­ge­sli­cht­norm SN EN 17037

Seit 2019 gilt in der Schweiz und in der EU eine gemeinsam entwickelte Tageslichtnorm. Damit wird Tageslicht in Gebäuden erstmals in der Schweiz gefordert und gefördert, wie Björn Schrader, Professor für Gebäudetechnik sowie Kunst- und Tageslichttechnik an der Hochschule Luzern, erläutert. Wir befragten ihn in einem schriftlichen Interview über Inhalt und Bedeutung der Regelung.

Data di pubblicazione
18-11-2021

TEC21: Hat die SN EN 17037 vorschreibenden oder empfehlenden Charakter?

Björn Schrader: Normen sind nicht bindend, das unterscheidet sie von Gesetzen. Aber der Bauherr kann zum Beispiel die Anwendung der Norm in Vereinbarungen verbindlich fest­legen. Und Labels können die Norm in ihren Kriterienkatalog aufnehmen – das ist bereits geschehen und wird sich weiter durchsetzen.

Welche Kernaspekte regelt die Norm?

Belichtung von Innenräumen mit natürlichem Licht; die Sichtverbindung nach aussen; die Exposition, das heisst den direkten Sonnenlichteinfall; aber auch Blendschutz, also die Vermeidung von zu viel Licht.

Inwiefern ist die Norm für Planung  und architektonisches Entwerfen relevant?

Position und Dimension der Gebäudeöffnungen werden ja bereits im Entwurf festgelegt. Wenn erst in einer späteren Phase die Tageslicht­situation konkret angeschaut wird, ist eine Verbesserung der Situation kaum oder nur mit hohem technischem und  finanziellem Aufwand möglich. Ich sehe das auch in Zusammenhang mit dem Ziel Netto-Null bis 2050: Entwürfe, die sich gegen die natürlichen Einflüsse stellen und die vorhandenen Ressourcen nicht nutzen, sind nicht energie­effizient und müssen mit viel Technik funktionsfähig gemacht werden.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Ein Klassiker ist die raumhohe Verglasung beim Zweckbau. Der untere Teil bis einen Meter ab Boden ist für die Tageslichtnutzung vernachlässigbar und müsste nicht aus Glas sein. Hier könnte auch eine Brüstung verwendet werden. So würde weniger Wärmestrahlung in das Gebäude dringen, und aussen liegende Storen müssten erst viel später nach unten fahren. Und das bedeutet wiederum weniger Kunstlicht.

Weitere Beiträge zum Thema Tageslicht finden Sie in unserem digitalen Dossier.

Licht transportiert Energie, und umgangssprachlich redet man oft davon, dass man «Energie hat» oder sich «energiegeladen» fühlt. Selbst das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco sagt: «Licht beeinflusst nicht nur das Sehen selbst, sondern auch die Aktivität (Tätigkeitsdrang, Betriebsamkeit, Unternehmungsgeist).» Stimuliert eine gute Tageslichtversorgung am Arbeitsplatz die Energie der Arbeitenden?

Viel zu oft wird das Licht nur auf das Ermöglichen des Sehens reduziert. Wir Menschen sind mit diesem wunderbaren Medium in existenzieller Art verbunden. Ohne die Strahlung der Sonne wäre nie Leben auf der Erde entstanden. Licht beeinflusst den Wach-Schlaf-Rhythmus unseres Körpers und ist für viele andere biologische Abläufe Grundvoraussetzung. Wie wichtig Licht ist, konnten wir alle in den letzten Monaten selbst erleben – und schon vor der Home­office-Ära hielten wir uns im Schnitt 90 % unserer Zeit in Innenräumen auf!

Hat die Norm bislang in der Fachwelt die Beachtung gefunden, die sie verdient?

Die Norm ist bei vielen in der Baubranche noch zu wenig bekannt. Im Gegensatz zum erst nun geregelten Tageslicht gab es die ersten Kunstlichtnormen dagegen schon vor fast 100 Jahren. Vielleicht liegt es daran, dass dem Tageslicht die Lobby fehlt. Schliesslich ist es kostenlos – und CO2-neutral.

Kann man Tageslichtqualität und -wahrnehmung denn überhaupt objektiv festlegen?

Das ist doch das Faszinierende! Auf der einen Seite das Subjektive der Wahrnehmung und auf der anderen Seite das Objektive der harten Fakten. Es ist immer wieder spannend, wenn wir von einem Bauwerk berührt werden, so wie es Peter Zumthor im Buch «Atmosphären» beschrieben hat, und uns dann fragen: Stimmt das auch mit den objektiven, quantitativ mess­baren Lichtqualitäten, wie dem Tageslichtquotienten, überein? Da gibt es Situa­tionen, in denen herrscht eine Über­einstimmung, und dann wieder mal nicht. Normen sind Leitplanken für viele Situationen, aber das heisst nicht, dass man sie nicht infrage stellen darf.

Was würden Sie sich in Bezug auf Aufmerksamkeit für Tageslicht in der Architektur wünschen?

In den letzten Jahrzehnten ist viel Wissen über Tageslicht verloren gegangen. Das zeigt sich auch in den Lehrplänen der Hochschulen. Es wird thematisiert und viel darüber geredet, aber grundlegende Kompetenzen werden kaum mehr vermittelt.

Haben Sie persönlich einen Bau, dessen Tageslichtqualitäten Sie besonders beeindrucken?

In Marokko habe ich viele wundervolle Räume erleben dürfen. Oft sind es die kleinen Dinge, die mich beeindrucken. So ist mir besonders ein Raum mit einer winzigen Öffnung in Erinnerung geblieben. Durch die enorme Kraft des direkten Sonnenlichts an diesem Tag und in Kombina­tion mit den Lehmwänden entstand in diesem Raum eine ganz aussergewöhnliche Atmosphäre.

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