«Das Re­cht, in den Städ­ten zu sch­wim­men»

Ausstellung «Swim City»

Anlässlich der Ausstellung «Swim City» im Schweizerischen Architekturmuseum (S AM) trafen unsere Kollegen von TRACÉS die Kuratoren Barbara Buser, Andreas Ruby und Yuma Shinohara zu einer Diskussion über die öffentliche, freie und demokratische Dimension des Schwimmens in der Stadt.

Data di pubblicazione
08-07-2019

TRACÉS: Da wir gerade auf dem Rhein fahren, sprechen wir zunächst vom Baden in Basel. Barbara Buser, Sie sind hier geboren, was waren Ihre ersten Erfahrungen auf diesem Gebiet?

Barbara Buser (BB): In den 1960er-Jahren fuhr man hauptsächlich Kanu oder nahm Sonnenbäder, aber niemand badete im Rhein, das Wasser war zu schmutzig. Mit dem Bau der ersten Kläranlagen in den 1980er-Jahren begannen die Menschen wieder baden zu gehen. Dann kam 1986 die Katastrophe in Schweizerhalle1, die den Rhein kontaminierte. Als Reaktion auf diese ökologische Katastrophe wollten die Bewohner den Fluss wieder in Besitz nehmen, und allmählich erhöhte sich die Zahl der Schwimmer.

Wie kam es zu dieser Bewegung? Gab es Aktivisten, Streiter für die Sache?

Yuma Shinohara (YS): Damals trafen mehrere Faktoren zusammen: Das erste Rheinschwimmenwurde von der Schweizerischen Lebensrettungs-Gesellschaft (SLRG) organisiert, um den Menschen zu zeigen, wie man im Rhein schwimmen kann. 1985 waren es einige Dutzend Schwimmer, heute sind es Tausende, die sich jedes Jahr zu dieser Demonstration versammeln – sie ist zu einem Massenphänomen geworden. Gleichzeitig wurden die Ufer ausgebaut, sodass der Zugang zum Wasser verbessert wurde und ein öffentlicher Raum entstand. 1985 wurde auch der billige, wasserdichte Schwimmbeutel erfunden – zuvor gab es so etwas nur als professionelle Ausrüstung, die sich nur wenige Menschen leisteten.

Wie ist es zu erklären, dass in den Flüssen der Schweiz gebadet wird, aber beispielsweise nicht in denjenigen Deutschlands oder Frankreichs?

Andreas Ruby (AR): Das ist die Schlüsselfrage! Was ist der Zauberstab der Schweizer? Ich wurde in Dresden geboren, wo niemand in der Elbe schwimmt. Dann habe ich in Köln studiert, wo das Baden im Rhein wegen der Strömungen verboten ist. Für mich war es normal, nicht in Flüssen baden zu können. Das war wie eine unumstössliche Wahrheit, traurig und endgültig. Stellen Sie sich also meine Überraschung und mein Staunen vor, als ich in Basel ankam. Das Baden ist hier kein aussergewöhnliches Erlebnis, es ist ein täglicher Luxus, eine Selbstverständlichkeit. Das erste Argument ist die Wasserqualität, die besser ist als anderswo. Ich kenne kein anderes Land, in dem man wie hier das Flusswasser trinken kann.

In Basel können Sie überall und jederzeit schwimmen?

BB: Ja, ausser im Hafen gibt es kein Verbot, sondern nur Empfehlungen.
YS: Die Basler und die Schweizer im Allgemeinen haben sich entschlossen zu informieren, nicht zu verbieten, das ist ein grosser Unterschied. Seit den 1980er-Jahren hat die SLRG sichere Badezonen ausgehandelt und definiert, von denen bis vor Kurzem jährlich Pläne in Zeitungen veröffentlicht wurden.
AR: Das ist ein unterschiedlicher Ansatz als in anderen Ländern. Wenn jemand versuchen würde, das Schwimmen zu verbieten, gäbe es ein Referendum mit 99 % Opposition! Das ist die Demokratisierung des Risikos: Der Staat oder die Gemeinschaft glauben, dass alle Bürger in der Lage sind, das Risiko für sich selbst einzuschätzen. Im Fluss zu baden ist daher eine persönliche Entscheidung und ein grosser Moment der Freiheit. Für jemanden wie mich, der von woanders her kommt, ist es überraschend, dass die Schweiz einen sehr freien Zugang zum Baden hat, obwohl sie eigentlich das Bild eines Landes ausstrahlt, in dem alles geregelt – und gut geregelt – ist.

Gibt es in der Schweiz nicht auch eine besondere Beziehung zu den Elementen, zu Bergen, Seen und Flüssen?

AR: Ich habe das Gefühl, in der Schweiz gibt es die Überzeugung, dass jeder Naturraum für jeden zugänglich sein muss. Die Schweizer fordern dieses Recht.
BB: Wir sind Eigentümer der Flüsse, jeder hat dieses Bewusstsein. Sie gehören jedem, sind Gemeingut. Die Seeufer wurden privatisiert, aber heute versuchen wir, sie zurückzuholen, denn sie gehören allen.

Die Ausstellung umfasst die Praxis des Badens in vier Städten: Genf, Bern, Basel und Zürich. Welche Unterschiede haben Sie bei Ihrer Recherche festgestellt?

AR: Zunächst einmal ist zu präzisieren, dass die Ausstellung sich nicht mit dem Baden in Seen befasst. Was uns interessiert, ist das Baden in bewegten Gewässern, denn es stellt eine gewisse Herausforderung, eine Gefahr dar und eröffnet auch die Möglichkeit, den Fluss als öffentliches Verkehrsmittel zu nutzen.
YS: In Zürich wurden die Infrastrukturen der Bäder an der Limmat erhalten, während sie in Basel fast verschwunden sind – eine Architektur, die das Baden umrahmt, ist hier nicht mehr so präsent. In Zürich funktionieren die Bäder wie Zentren der Flusslandschaft, sie bieten Restauration, Orte für Events, und jedes hat seine eigene Atmosphäre.
BB: In Bern ist die Aare nicht wirklich in der Stadt, sondern im Tal. Dort wird wirklich geschwommen, man badet mitten im Wald.
YS: In Genf ist das Baden in der Rhone erst seit etwa zehn Jahren beliebt. Die wenigen Stege sind für den Sommerbetrieb nicht ausreichend. Aber Kanton und Stadt haben jeweils ihre eigenen Pläne, was den Flussausbau verhindert. Vereine übernehmen die Aufgabe, wie ARVe3, der den Getränkestand an der Pointe de la Jonction bewirtschaftet. In Basel und Bern gibt es einen Konsens über die Flussnutzung, hier ist das Baden im Fluss eine etablierte Praxis, während die Verhandlungen in Genf noch im Gang sind. Die Rhone ist in dieser Hinsicht ein umstrittener Raum, und die Traditionen müssen noch entwickelt werden.

Was wollen Sie mit dieser Ausstellung, die nach Europa exportiert werden soll, vertreten? Ist sie ein Plädoyer für das Baden in der Stadt?

YS: Wir wollen die Schweizer Szene im internationalen Gespräch positionieren. Denn die Frage der Nutzung von Flussgebieten, insbesondere im postindustriellen Kontext, betrifft viele Städte. Wir haben Flüsse immer als industrielle und funktionelle Räume gesehen, aber was tun wir, wenn diese Funktionen verschwinden? Was in der Schweiz geschieht, könnte wichtig sein, und wir denken, wir sollten daraus Lehren ziehen.
AR: Die Schweizer Beispiele erlauben uns, Flüsse und ihre Bedeutung für Umwelt und Städte neu zu denken. Uns erschien interessant, in der Ausstellung zu zeigen, dass Initiativen im Ausland von der Schweizer Kultur inspiriert sind und als Präzedenzfall für das Recht zu schwimmen genutzt werden, auch wenn die Bedingungen hinsichtlich Wasserqualität und Zugänglichkeit der Flüsse oft viel ungünstiger sind.
BB: Wir wollen den Wunsch zu schwimmen wecken. Das Problem liegt vor allem in der Wasserqualität, die verbessert werden muss. Seit dem Mittelalter haben wir immer in Flüssen gebadet, bevor sie kanalisiert und in Kanäle umgewandelt wurden. Also haben wir Swimmingpools gebaut, aber das Modell ist jetzt etwas überholt. Wir müssen das Recht zurückgewinnen, in den Städten zu schwimmen, denn das ist natürlicher und schöner.

Möchten Sie eine ethische Beziehung zum Wasser aufzeigen? Wasser als Gemeingut?

BB: Ja, nach dem Prinzip der Gemeinden, den Allmenden, werden diese Almen von den Mitgliedern einer Dorfgemeinschaft gemeinsam genutzt.
AR: Die Allmenden sind ein wichtiger Teil der Schweizer Tradition, sie tragen zur Raumkultur in der Schweiz bei und verdienen es, erhalten zu werden. Wasser ist eine Art flüssige Allmende.
BB: Und es ist wichtig, dass das Baden frei und kostenlos bleibt, dass es keine Zeitpläne, Öffnungs- und Schliessungszeiten gibt.

Sie verteidigen also eine sehr einfache Form des Badens, die keine besondere Infrastruktur erfordert? 

AR: Man braucht relativ wenig bauliche Infrastruktur, um einen Fluss beschwimmbar zu machen. Die Schönheit dieser Erfahrung ist die Nacktheit, die Tatsache, alles, was man normalerweise trägt wie Kleidung oder Handys, loszuwerden. Mit dem Wickelfischhat jeder sein eigene mobile Ablage dabei. Die Tasche selbst wird zur Badeinfrastruktur. Man könnte sagen, dass diese Kultur eine ephemere Architektur erzeugt.
YS: Es gibt auch die Informationsinfrastruktur wie die roten Bojen in Basel, die die Badezone vom schiffbaren Bereich trennen.
AR: Oder hängende Ketten, um aus dem Wasser zu kommen. Das ist eine nahezu unsichtbare Infrastruktur. Duschen sind nicht einmal notwendig, da das Wasser nicht verschmutzt ist. Der Fluss ist die Dusche.

Ziehen wir unsere städtische Bekleidung praktisch aus?

AR: Absolut, und so kommt Nacktheit zurück in die Stadt, denn sobald man zum Fluss hinuntergeht, geht man zu Fuss. Nacktheit erzeugt eine gewisse Homogenität der Gesellschaft: Die Nutzer des Flusses sind Menschen aller sozialen Schichten, Kulturen und Sprachen. Es ist ausserdem ein öffentlicher Raum, in dem die Integration von Schweizern und Ausländern tatsächlich funktioniert. Der Fluss ist attraktiv für alle. Der Unterschied, der Reichtum der Stadt, die soziale und kulturelle Vielfalt sind spürbar. Der Fluss ist ein integrativer, demokratischer Ort par excellence. Es gibt auch eine existenzielle Solidarität, die mit dem Risiko verbunden ist und Nähe zwischen den Menschen schafft. In Basel ist der Rhein eindeutig der wichtigste öffentliche Raum der Stadt, ihr grösstes gemeinsames Kapital.

Anmerkungen

  1. Am 1. November 1986 verwüstete ein Brand ein Lagerhaus des Chemiekonzerns Sandoz in Schweizerhalle, wobei Tonnen von Chemikalien verbrannten. Tausende Liter Löschwasser flossen in den Rhein und verursachten eine grosse ökologische Katastrophe.
  2. Das Rheinschwimmen ist eine jährliche Veranstaltung der SLRG: zwei Kilometer den Rhein flussabwärts vom Schaffhauserrheinweg bis zur Johanniterbrücke durch die Stadt schwimmen.
  3. Association pour la Reconversion Vivante desespaces (Verein für die lebendige Umgestaltung von Räumen).
  4. Schwimmbeutel in Fischform.
     

Barbara Buser ist Architektin, Mitbegründerin des «baubüros in situ» und der Denkfabrik «denkstatt» sowie Fährkapitänin in Basel.

Andreas Ruby ist Direktor des S AM (Schweizerisches Architekturmuseum) und Mitbegründer von Ruby Press.

Yuma Shinohara ist Ausstellungskurator und Verleger.

Die Ausstellung «Swim City» ist noch bis 29. September 2019 im S AM Basel zu sehen.


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