Kli­ma­ge­re­ch­te Ar­chi­tek­tur zum Flie­gen brin­gen, aber oh­ne Flug­zeug

Nike-Architekturpreis 2019

Der Bund Deutscher Architekten hält ein Plädoyer für das ökologisch-gesellschaftliche Umdenken – und setzt sich kritisch mit der eigenen Rolle und der Wachstumsökonomie auseinander.

Data di pubblicazione
28-05-2019

Der Bund Deutscher Architekten (BDA) kann mit sich streiten und feiern. Tagsüber sprachen über 200 Mitglieder über Klimaschutz, immer angeregt und teilweise sogar kontrovers. Am Abend spendeten sie aber anstandslosen Applaus für die Gewinner der Nike-Preise, die in sieben Kategorien verteilt worden sind.

Je eine Auszeichnung erhielten zwei Architekturbüros aus der Schweiz. Den Spezialpreis für «Symbolik» erhielt das Basler Büro Herzog & de Meuron für die Elbphilharmonie. Und Caruso St. John aus Zürich durften den Architekturpreis für die gelungenste «Fügung» mit dem Neubau einer Bank in Bremen entgegennehmen (vgl. Kasten).

BDA-Präsident Heiner Farwick versprach an der Preisverleihung, dass man künftig auch Preise für «klimagerechtes Bauen» ausloben werde. Denn genau damit hatte sich die Standesorganisation an ihrem Jahrestreffen in Halle, Bundesland Sachsen-Anhalt, fast einen ganzen Tag lang differenziert und selbstkritisch auseinandergesetzt.

Am letzten Maisamstag dieses Jahres stand das Positionspapier «Haus der Erde» zur Debatte. Darin sind acht Thesen formuliert, die in ungewohnt deutlicher Sprache ein ökologisches Umdenken in der Architektur fordern. In der Kaffeepause diskutierte man auch, ob die Anreise per Flugzeug noch vertretbar sei. Gegen Ende des Nachmittags wurde das Dokument aber mit ebenso grosser Zustimmung verabschiedet wie die Preisträger danach. 

Deutlich wurde: Wenn Architekten das Klima glaubhaft retten wollen, vertrauen sie weniger auf ambitionierte Energiekennwerte oder CO2-arme Geschäftsmodelle, sondern loten grundsätzliche Haltungen und Verhaltensweisen aus.

BDA-Präsident Farwick hielt dazu eine Rede, die bemerkenswert frei von plakativen Aufrufen und moralischen Lösungen geriet. In der Sache selbst umriss er die wesentlichen Aspekte, die für die klimagerechte Architektur und Stadtplanung zwingend sind: Es gehe darum, langlebige und werthaltige Gebäude zu entwerfen und den Bestand stärker als bisher zu respektieren. «Das architektonische Programm für die Transformation muss lauten: wiederverwenden, umnutzen und nachnutzen.» Fast kategorisch abgelehnt wurden dagegen der Ersatzneubau, der zunehmende Einsatz von Technik oder das Dämmen mit Kunststoffen. Es sei zweifelhaft, ob solche Massnahmen den heutigen Zustand der Umwelt tatsächlich verbessern könnten, wurde wiederholt gefragt.

Dass der «tägliche Umweltwahnsinn» nicht nur spezifisch beim Bauen anzusiedeln ist, sondern wesentlich von der Wachstumsökonomie verschuldet wird, bestätigte der zum BDA-Tag eingeladene deutsche Ökonom Niko Paech in einem ebenso unterhaltsamen wie informativen Vortrag: «Das Wirtschaftsmodell ist auf Überfluss ausgerichtet und endet im Amoklauf gegen die Natur.» Der technische Fortschritt sei oft nur Ablasshandel und darum in der Wirkung überschätzt. «Ziel der grünen Wirtschaft ist die effektive Entkarbonisierung. Dafür ist der CO2-Ausstoss vollständig vom Bruttoinlandprodukt zu entkoppeln.» Anstatt weiter am Effizienzrad zu drehen, braucht es eine Umkehr vom Wachstumsdogma zur Postwachstumsökonomie. Für die Architektur und die Städteplanung heisst dies: «Weniger Kulisse und mehr Substanz.»

Der BDA hatte 2009 ein Klimamanifest publiziert; zehn Jahre später folgt nun das Klimaplädoyer. Darin spiegeln sich auch Selbstkritik und Ungeduld, nicht länger zuwarten zu können. Die Verantwortung des Architekten verlange nach Projekten und Inputs, um bis 2050 ein klimaneutrales Leben zu ermöglichen. Der BDA-Tag selbst diente zur Vergewisserung, dass die Architektur damit nicht bei null beginnen muss. Dem vorgängigen Aufruf, eigene, bereits klimagerechte Projekte zu präsentieren, wurde eifrig Folge geleistet. Davon wurde ein halbes Dutzend ausgewählt, dem ein breites Spektrum an Ansätzen und Baukonzepten eigen war. 

Am Treffen wurde allerdings auch die Rolle als gesellschaftlicher Vorreiter und Vermittler mehrfach angesprochen. Der Architekt hat Freiheiten in der Gestaltung der bebauten Umwelt und dieses Privilegium für eine nachhaltige Zukunft einzusetzen, so der Tenor. Während die Jugend Demos organisiere und die Politik über CO2-Steuern verhandle, setze jedes Projekt ein symbolisches Zeichen für das umweltverträgliche Leben. Noch konkreter formulierte es der BDA-Präsident: «Die Architektur ist eine Form der visuellen Gestaltung und der Erzählung. Beim klimagerechten Bauen muss uns darum gelingen, starke Bilder zu erzeugen und positive Geschichten zu erzählen.»

Architekturpreise für Schweizer Architekten


Der Nike-Architekturpreis des BDA ist eine deutschlandweite Auszeichnung, die alle drei Jahre vergeben wird. Im Mai 2019 wurde ein Hauptpreis und sechs Kategoriesieger ausgelobt.


In der Kategorie «Symbolik» wurde die Elbphilharmonie Hamburg von Herzog & de Meuron gekürt (vgl. TEC21 12/2017). Die Jury lobte das Werk als den «Bau in Deutschland der letzten 20 Jahre schlechthin», der bereits in der Bauphase eine grosse Strahlkraft besass. Dazu gehöre auch der Wandel von anfänglich schlechter Presse zur Anerkennung als Wahrzeichen.


In der Kategorie «Fügung» kürte die BDA-Jury den Neubau der Bremer Landesbank in Bremen von Caruso St. John Architects Zürich (vgl. TEC21 1-2/2019) als «neuzeitliche Interpretation des Weser-Barock».

 

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