De Foifer und ’s Weggli
Überführung Bernstrasse Ost, Suhr
Wie zahlreiche andere Gemeinden im Schweizer Mittelland leidet Suhr unter zunehmendem Verkehrsaufkommen während der Rushhour. Nun soll der Ort nicht nur vom Verkehr entlastet werden, sondern obendrein ein gestalterisch ansprechendes Brückenbauwerk erhalten.
Jahrelanger Leidensdruck und finanzpolitische Hemmnisse veranlassten den Kanton Aargau zu einer umfassenden Lösungssuche. Nun endlich zeichnet sich verkehrliche Genesung in der Gemeinde Suhr ab. Im Zuge der abgeschlossenen Vorstudie konnte die Linienführung für das Teilprojekt Ostumfahrung optimiert werden; zugleich wurde deutlich, dass die Anbindung dieser Umfahrung an die Bernstrasse Ost und die Niveaubefreiung des Bahnübergangs eine echte Herausforderung darstellen.
Zur Neugestaltung des Bahnübergangs hat das Departement für Bau, Verkehr und Umwelt (BVU) des Kantons Aargau einen Wettbewerb ausgelobt. Gesucht war eine gestalterisch ansprechende und zugleich landschafts- und raumverträgliche Alternativlösung zur spiralförmigen Überführung der Vorstudie. Das Objekt sollte an die Verkehrsachsen Richtung Süden (neue Ostumfahrung), Osten und Westen (Bernstrasse) angeschlossen werden. Dabei war der Uferraum entlang der Wyna attraktiv zu gestalten und dem Denkmalschutz der bestehenden Wynabrücke Rechnung zu tragen.
Zugleich lotete das BVU in diesem Wettbewerb Möglichkeiten aus, den Verbrauch an Fruchtfolgeflächen zu minimieren und den Dorfeingang von Suhr aufzuwerten. Ausserdem sollte den dortigen engen Platzverhältnissen Rechnung getragen und ausreichend Kapazitäten für das künftige Verkehrsaufkommen geschaffen werden. Damit umfasste der Wettbewerb die Themen Bauingeieurwesen, Architektur, Verkehrsplanung und Landschaftsgestaltung.
Den Kreis neu erfunden
Aus den insgesamt acht Teilnahmeanträgen wählte das Preisgericht fünf Wettbewerbsteilnehmer aus. Während sich drei der fünf präqualifizierten Projekte stark an die «Amtsvariante» aus der Vorstudie anlehnten und sich dabei in links- oder rechtsdrehenden Spiralansätzen verdrillten, wagten zwei Teilnehmer, sich gänzlich davon zu lösen, und boten bislang ausser Acht gelassene Gestaltungsformen an. Die Projekte «Integral» (Fürst Laffranchi) und «Mesa» (DSP) liefern funktional überzeugende Lösungen, indem sie den Anbindungsknoten in der Situation in eine logische Lage bringen: das Projekt «Integral» als Kreisel im Terrain und das Projekt «Mesa» als T-Knoten auf Niveau eines Überführungsbauwerks. Damit entsprachen beide Projekte den wesentlichen Randbedingungen und brachten gleichzeitig neue Denkansätze ein. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Projekten besteht darin, dass «Integral» das Überführungsbauwerk der künftig untergeordneten Verkehrsbeziehung Richtung Ortszentrum widmet, wogegen «Mesa» das Objekt in der Achse der Ostumfahrung mit einem Ast Richtung Zentrum ausrichtet. Beiden Projekten gemeinsam ist, dass die Fahrtrichtung der Verkehrsströme konsequent in die Linienführung und Geometrie der Bauwerke aufgenommen wird. Diese beiden verkehrstechnisch logischen Ansätze schaffen damit echte Alternativen gegenüber der Spiralform der Amtsvariante.
Integrale Lösung
Letztlich überzeugte das Projekt «Integral» das Preisgericht in seiner Gesamtheit. Im Modell wirkt die Spannbetonbrücke als filigraner Strassenast, der aus der Wynaschleife in Richtung des Zentrums von Suhr herauswächst. Die Feinheit des Baukörpers zeigt sich ebenfalls im Rendering: Zusammen mit den V-Stützen ergibt sich aus allen Blickrichtungen eine gute Einpassung in die Landschaft an der Ortseinfahrt von Suhr. Erfolgsrezept des Siegerprojekts und Garant für die Schlankheit des Bauwerks ist unter anderem der komplette Verzicht auf Spurerweiterungen auf und an den Brückenenden. Mit Ausnahme der Langsamverkehrsentflechtung am Kreisel liefert das Projekt dennoch für alle Verkehrsbeziehungen überzeugende Lösungen. Für die K 235 von und nach Buchs wird die neue Wynabrücke den Ansprüchen des hohen Verkehrsaufkommens gerecht. Während der meisten Verkehrszeiten ermöglicht der Kreisel dem motorisierten Verkehr einen optimalen Fluss ohne Rückstau. Sollten vertiefte Simulationen von Verkehrsspitzenstunden dereinst Kapazitätsengpässe identifizieren oder eine Dosierung der Ortsdurchfahrt erwünscht sein, liesse sich der Kreisel nachträglich mit einem Bypass oder einer Verkehrssteuerung funktional anpassen.
Mit der gewählten Knotenform und dem bestechenden Brückenbauwerk erfüllt das Projekt die Anforderungen an die verkehrstechnische Leistungsfähigkeit und nimmt minimal Platz in Anspruch. Alles in allem wurde so eine wahrlich integrale Lösung gefunden. Eine, die sich mehrwertig und unaufdringlich ins Bestehende einbettet, eine städtebauliche Aufwertung schafft, den intakten Gewässerraum der Wyna so weit als möglich schont und so eine Balance zwischen überzeugender Technik und dem Erhalt der natürlichen Umgebung schafft. Eine Lösung aber auch, die den Mut hat, Interessen zu priorisieren und den Abbruch zweier betroffener Gebäude offen anzudenken.
Denkmalschutz als Denksport
Neben der Erscheinungsbild und dem Tragwerkskonzept zeichnet sich das Projekt «Integral» besonders durch den sorgfältigen Umgang mit der rund 250 Jahre alten und unter kantonalem Denkmalschutz stehenden Wynabrücke aus. Der motorisierte Verkehr soll über eine neue Wynabrücke geführt und die alte Brücke – wohlgemerkt die älteste Kantonsstrassenbrücke im Aargau – allein dem Langsamverkehr vorbehalten werden. Aus Sicht des Denkmalschutzes eine lobenswerte Umnutzung, die indes eine verkehrstechnische Herausforderung mit sich bringt. Für den Langsamverkehr, der künftig von und nach Suhr über die neue Überführung fliessen wird, muss bei der weiteren Entwicklung des Projekts am Anschlusskreisel eine konfliktfreie Entflechtung vom motorisierten Verkehr gefunden werden.
Bedeutender Meilenstein
Für das Gesamtprojekt «Verkehrsinfrastruktur-Entwicklung Raum Suhr» und insbesondere das Teilprojekt Ostumfahrung Suhr konnte mit dem durchgeführten Wettbewerb ein wichtiger Meilenstein gelegt werden – mit überregionalem Charakter: Laut BVU entsteht mit der Überführung eine der längsten Brücken im Kanton. Daneben zeigt das Ergebnis, welchen Mehrwert das Wettbewerbsverfahren im Ingenieurwesen bringen kann. Es schafft Raum für Lösungen, die sich im konventionellen Projektierungsprozess nicht ohnehin finden oder entwickeln lassen. Dafür braucht es einen Veranstalter, der neuen Ansätzen offen und weitsichtig gegenübertritt. Diese Aufgeschlossenheit zeigte das BVU bei der Wahl des Verfahrens und mit dem getroffenen Entscheid.
Die Objektkosten belaufen sich gemäss Schätzung auf 15 bis 20 Millionen Franken (inkl. neuer Wynabrücke und Langsamverkehrsinfrastruktur). Die weitere Terminplanung sieht vor, mit dem Vorprojekt, das im Wettbewerb erarbeitet wurde, eine Vernehmlassung durchzuführen und damit bis Ende 2020 die Richtplanfestsetzung zu erreichen. Parallel dazu wird die Südumfahrung Suhr als verkehrlich komplementär wirkendes Teilprojekt weiterentwickelt. Verlaufen alle nachgelagerten Prozessabläufe wie geplant, wird von einem Baustart ab 2024 ausgegangen.
Weitere Pläne und Bilder finden Sie in der Rubrik Wettbewerbe.
Auszeichnungen
1. Rang, 1. Preis: «Integral»
Bauingenieur: Fürst Laffranchi Bauingenieure, Aarwangen; Architekt: Lukas Ingold, Zürich; Verkehrsplaner: WAM Planer und Ingenieure, Solothurn, Landschaft und Umwelt: Wegpunkt, Herzogenbuchsee
2. Rang, 2. Preis: «Mesa»
Bauingenieur: DSP Ingenieure & Planer, Zürich, Architekt: Balz Amrein, Zürich, Verkehrsplaner: B+S,Bern
3. Rang, 3. Preis: «Spiral»
Bauingenieure: Bänziger Partner, Baden, Rothpletz, Lienhard + Cie, Aarau/Olten, SNZ Ingenieure und Planer, Zürich, Architekt: Stoos Architekten, Brugg, Landschaftsarchitekt: SKK Landschaftsarchitekten, Wettingen
4. Rang: «Ypsilon»
Bauingenieur: ACS-Partner, Zürich, Landschaftsrchitekt: Hager Partner, Zürich, Wasserbau: Staubli, Kurath & Partner, Zürich
5. Rang: «Natter»
Bauingenieure: Emch+Berger, Bern, HKP Bauingenieure, Baden/Zürich, Architekt: Metron Architektur, Brugg
Vertreter des Veranstalters mit Stimmrecht
Matthias Adelsbach, Bauingenieur, Stv. Kantonsingenieur (Vorsitz); Peter Biehler, Bauingenieur, Kanton Aargau; Roberto Scappaticci, Bauingenieur, Kanton Aargau
Fachpreisrichter mit Stimmrecht
Jakob Riediker, Bauingenieur/Vertreter SBB; Albin Kenel, Bauingenieur/Experte Brückenbau; André Stapfer, Geograf/Experte Landschaft; Jachen Könz, Architekt/Experte Architektur
Sachpreisrichter mit Stimmrecht
Thomas Baumann, Ingenieur-Agronom, Gemeinderat Suhr; Lukas Sigrist, Architekt, Bauverwalter Suhr
Ersatzpreisrichter
Walter Waldis, Bauingenieur, Kanton Aargau
Beratende Experten
Hubert Schumacher, Kalkulator, Luzern; Salome Reutimann, Umweltingenieurin, Kanton Aargau