Wohn­bau­ge­nos­sen­schaf­ten neu den­ken

Das Netzwerk frau + sia und die Arbeitsgruppe Berner Architektinnen und Planerinnen (ABAP) hatten am 27. Februar 2019 an eine Podiumsdiskussion in Bern geladen – ein Auftakt zum Jahresthema «Genossenschaften».

Data di pubblicazione
11-04-2019
Christine Loward
dipl. Architektin ETH/ SIA, Leiterin Regionalgruppe Bern frau + sia

Der Begriff der «Wohnbaugenossenschaften» (WBG) ist in aller Munde. In Gesprächen wird jedoch deutlich, dass nicht immer von ein und demselben gesprochen wird. Knapp 40 Frauen haben sich am 27. Februar 2019 in Bern zur Podiumsdiskussion «Wohnbaugenossenschaften» eingefunden. Die Veranstaltung wurde von der Arbeitsgruppe Berner Architektinnen und Planerinnen (ABAP) zusammen mit der Regionalgruppe Bern des Netzwerks frau + sia organisiert und durchgeführt. Sie bildete den Auftakt sowohl zu der Jahresreihe des «frau + chat» als auch zu den monatlich stattfindenden «ABAPéros» zum Jahresthema «Genossenschaften».

Nach einer kurzen Einführung durch Kalliopi Ousoun-Andreou, die den Vorstand ABAP repräsentierte, griff Christine Loward, Leiterin des Netzwerks frau + sia Bern, die wichtigsten Statements des Podiums auf und stellte die Podiumsteilnehmenden vor: Barbara Beyeler (Architektin HTL), Regina Steiner (Landschaftsarchitektin FH BSLA, Lares-Fachfrau) und Daniel Blumer (Geograf/Soziologe) diskutierten gemeinsam unter der Moderation von Paula Sansano (dipl. Architektin ETH SIA, Szenografin).

Ökologischer und sozialer Anreiz

In der ersten Hälfte des 20. Jahr­hunderts florierten die Wohnge­nos­senschaftsbauten. Im Fokus der Wohnbaugenossenschaften standen die Verbesserung der Wohnhygiene sowie der bezahlbare Wohnraum für die Arbeiterschicht. Die in der Nachkriegszeit herrschende Wohnungsnot führte zu einer zweiten Blütezeit.

Wie ist das heute? Die WBG sind Spiegelbilder der demogra­fischen Veränderungen – damals wie jetzt. In der Vergangenheit ­entstand eine Vielzahl von Rei­henhäusern und grossen Blöcken mit Dreizimmerwohnungen. Die ex­­pe­rimentierfreudigen Wohnungs­­typologien der heutigen WBG ent­sprechen der Ausnahme auf dem Wohnungsmarkt. Ein Ausloten zukünftiger Wohnungsformen wird jedoch immer wichtiger und kann als Orientierung für das zukünftige Wohnen fungieren.

Ein heterogenes Angebot an Wohnungstypen schafft flexible ­Lösungen und eine gute soziale Diversität. Der grosse Anteil der Bewohnerinnen und Bewohner ist ­heute nach wie vor in der unteren Mittelschicht angesiedelt, doch immer mehr Menschen mit verschiedenen Lebensformen (Familien, Alleinerziehende, kinderlose Paare, junge Erwachsene oder ältere Leute) entscheiden sich für diese Wohnform – nebst aus finanziellen Gründen auch aus sozialen und ökologischen.

Ins Zentrum gerückt

WBG vermieten ihre Wohnungen zur Kostenmiete. Sie verrechnen den Bewohnerinnen und Bewohner, was die Wohnung effektiv kostet. WBG sind nicht renditeorientiert und erzielen durch Beständigkeit langfristig günstigere Wohnungsmieten. Die genossenschaftlichen Wohnbauten waren früher städtebauliche Randerscheinungen, mittlerweile nehmen sie zentrale Lagen in der Stadt ein.

Die soziokulturelle Durchmischung und Vielfalt kann durch Belegungsvorschriften, aber auch durch ein Umdenken erzielt werden. Die Flexibilität ist nicht nur grundrisstechnisch zu suchen, sondern auch im Wohnverständnis. Das Segment des gemeinnützigen Wohnungsbaus nimmt in der Schweiz lediglich 4 % ein. Das ist relativ wenig – und doch schafft es dieses Thema, unsere Gesellschaft zur Diskussion zu bewegen.

Neue Aspekte, neue Felder

Die ursprünglichen Ziele der WBG haben sich um neue Aspekte wie die der Ökologie erweitert. Der haushälterische Umgang mit dem Boden und das Prinzip des verdichteten Wohnens sind brandaktuell. Statistisch fällt der Wohnflächenverbrauch im gemeinnützigen Wohnbau geringer aus als im konventionellen Wohnbausektor. Die jungen WBG können von einem mehr als 100-jährigen Erfahrungsschatz der alten WBG lernen, und umgekehrt können sich diese von der Innovativität inspirieren lassen. Das kann in gemeinsamen Projekten münden.

Die alten Bausubstanzen werden in naher Zukunft saniert; hier eröffnen sich neue Möglichkeiten, die baulichen Strukturen zu überarbeiten und aufzulockern. Durch WBG-Gründungen und Sanierungen der alten WBG ergeben sich neue Arbeitsfelder. Darin mangelt es zurzeit noch an Fachpersonen, die die WBG durch diese komplexen, interdisziplinären Prozesse begleiten und zu Konsensfindungen verhelfen.

Des Weiteren ist zu überlegen, ob die öffentliche Hand das experimentelle, gemeinnützige Wohnen fördern sollte, um Erfahrungen zu sammeln, die mit Blick auf den zukünftigen demografischen Wandel neue Lösungen schafft. Dort ist das Investieren in Nachhaltigkeit, wie sie die Genossenschaften pflegen, sicher ein Ansatzpunkt.

ABAP wird im laufenden Vereinsjahr weiterhin Fragen zum Thema «Genossenschaften» nachgehen. Das Netzwerk frau + sia Bern widmet sich in den kommenden «frau + chat»-Anlässen den Themen der Vernetzung. Die nächste Ver­anstaltung findet am 17. Juni 2019 statt.

Networking Frau + Chat

Nächster Anlass: Networking Lares, gender- und alltagsgerechtes Planen und Bauen, Diskussion mit Martina Dvoracek, Co-Präsidentin von Lares. Montag 17. Juni 2019, 18.30 Uhr im Lehrerzimmer des Progr, Bern.

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