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SIA-Tagung «Mehr als Gestaltung. Öffentliche Plätze 4.0»

Jenseits von Urban Design geht es um Toleranz und Freiräume: Ohne öffentliche Plätze ist städtisches Leben kaum denkbar, doch in den divergierenden Ansprüchen an sie steckt erhebliches Konfliktpotenzial. Eine Tagung in Zürich.

 

Data di pubblicazione
02-11-2017
Revision
02-11-2017

Die Plätze der Stadt als Orte, die wirklich allen gehören sollen, an denen sich jedermann nach Belieben aufhalten kann, ohne dies rechtfertigen zu müssen, wo nichts konsumiert werden muss und wo politische Kundgebungen ungehindert stattfinden können: Dieses Ideal reklamieren die westlichen Demokratien für ihre öffentlichen Räume.

Was aber, wenn städtische Plätze auf einmal in privater Hand sind und dort Menschen der Aufenthalt, politische Kundgebungen, ja sogar das Fotografieren verboten werden kann? Genau das widerfuhr dem renommierten Landschaftsarchitekten Günther Vogt, als er in London Aufnahmen für die Vorbereitung einer Planung anfertigen wollte. Die Sicherheitsleute seines Auftraggebers schickten ihn vom Areal. Das Beispiel London, wo inzwischen eine bemerkenswert grosse Zahl «öffentlicher» Stadtplätze privatisiert ist, stand an der SIA-Tagung zu öffentlichen Plätzen am 21. September für einen beunruhigenden Trend.

So berichtete NZZ-Kulturkorrespondentin Marion Löhndorf in ihrem Tagungsbeitrag über das Quartier um den Londoner Bahnhof King‘s Cross, das erfolgreich und ambitioniert städtebaulich aufgewertet wurde – verbunden allerdings mit der Verdrängung bisheriger Nutzer und dem Effekt, dass rund um den Bahnhof jetzt nicht mehr der Bürger respektive die städtische Polizei, sondern private Wachschützer das Sagen haben. Auch der Wunsch, prominente Stadträume «terrorsicher» umzugestalten, hat derzeit Konjunktur und bringt Einschränkungen der Nutzungsfreiheit.

Ablehnung als Qualitätsprädikat?

An der vom SIA in Kooperation mit Schweizerischem Städteverband und der Hochschule Luzern initi­ierten Tagung «Mehr als Gestaltung. Öffentliche Plätze 4.0» trafen rund 100 Architekten, Stadtplaner, Landschaftsarchitekten, teils von Planungsämtern, teils von privaten Büros, mit einer illustren Runde internationaler Referenten zusammen. Anlass der Tagung war der vorläufige Abschluss der vor fünf Jahren gestarteten Kampagne «Swiss Squares App», in deren Verlauf der SIA mit seinen Projektpartnern eine Platz-App für zehn grössere Städte der Schweiz bereitstellte. Die NZZ-Räumlichkeit direkt am Sechseläutenplatz war der von Initiatorin Claudia Schwalfenberg mit Bedacht gewählte Tagungsort; gilt doch der 2013 von einer Arbeitsgemeinschaft aus Landschaftsarchitekten, Ingenieuren und Architekten umgestaltete, 14 000 m2 grosse Platz mittlerweile schweizweit als eine der gelungensten Neugestaltungen der letzten Jahre.

Zum Glück erschöpfte sich die Tagung nicht darin, sich ge­meinsam an Best-Practice-Beispielen zu erfreuen. Gezeigt wurde auch, wie man es lieber nicht macht. Diesen heiklen Part übernahm Con­stanze A. Petrow, indem sie über die 2008/2009 neu gestaltete Platzfolge Goetheplatz/Rossmarkt/Rathenauplatz in Frankfurt am Main sprach. «Ablehnung als Qualitätsprädikat?» war das etwas provokante Motto ihres Vortrags. Gemeint war damit die Ablehnung der Nutzer. Es ging also um die Diskrepanz zwischen dem, was Planern gefällt, und jenen Plätzen, auf denen sich Menschen gern aufhalten.

Harte, klare Kanten

Selbstkritisch skizzierte Petrow, die im hessischen Geisenheim Freiraumplanung lehrt, die Vorlieben zeitgenössischer Freiraumgestalter, die dazu neigen, auf architektonische Prägnanz zu setzen: «Viel Stein, ­Bäume im Raster und harte, klare Kanten, minimalistische Elemente.» Während am Sechseläutenplatz die Reduktion auf wenige Elemente zu einer hohen Akzeptanz führte, ging ein ähnlicher Ansatz in Frankfurt offenbar daneben. Die karge, kaum Identifikations- und Aneignungspunkte bietende Steinlandschaft stiess auf ein ausgesprochen negatives Publikums- und Presseecho. Der Wunsch der städtischen Auftraggeber nach «Tauglichkeit für Grossveranstaltungen» machten den Platz zusätzlich unwirtlich und unpraktisch, weil es schlicht zu wenig Sitzgelegenheiten gab.

Wo liegt die Konfliktlinie zwischen Gestalter­ansprüchen und Erwartung der ­Nutzer? Beim Planen vom Plätzen, so Petrow, gehe es um den Unterschied zwischen «Räume gestalten» und «Orte schaffen». Und Orte charakterisiere, dass möglichst viele Leute gern dorthin kommen. Auch weil belebte Plätze ihrerseits Menschen ansprechen: «Was Menschen in städtischen Räumen am stärksten anzieht, sind andere Menschen», zitierte sie den US-Soziologen William H. Whythe, der viele Jahre zu städtischen Plätzen geforscht hat.

Standen am Vormittag die Gestaltung und die Elemente erfolgreicher, gelungener öffentlicher Plätze im Zentrum, rückte am Nachmittag die Rolle der «Besteller», also der Städte als Auftraggeber von Platzgestaltung, und der administrative Rahmen in den Vordergrund.

Städtebaukitsch und Eventisierung

Allen regionalen und kulturellen Unterschieden zum Trotz benannte der schon erwähnte Günther Vogt sehr klar seine Ansprüche an «echte» öffentliche Räume: «Der Ort ist 24 Stunden für jeden zugänglich, es gibt keine Überwachungskameras und sauberes Trinkwasser für alle.» In Zürich erfüllen fast alle Plätze diese Kriterien, in London die wenigsten. Hinzu kommen weitere, komplexere Kriterien wie die Adaptierbarkeit und Potenziale der Aneignung. Aufschlussreich waren diesbezüglich die Befragungen, die Günther Vogt mit seinen ETH-Studierenden unter den Nutzern von Plätzen und Parks durchgeführt hat.

Die Interviews unterstreichen, dass es «die» Lösung für gute Plätze und öffentliche Räume nicht gibt, weil die Befragten je nach Umfeld ganz unterschiedliche Erwartungen und Bedürfnisse haben. Am Klotener ­Opfikerpark etwa, vis-à-vis dem Flughafengebäude gelegen, antworteten neun von zehn Personen, sie gingen dorthin, um allein zu sein; manche von ihnen waren pausierende Flugbegleiter oder Terminalangestellte. Die oben zitierte Erkenntnis von William H. Whythe trifft also nicht immer zu.

In Einklang mit dem Tagungsmotto «Mehr als Gestaltung» ist aus Vogts Sicht nicht alles, was auf den ersten Blick einladend wirkt und durchgestylt ist, auch ein guter öffentlicher Ort. Der bei seiner Eröffnung vor sechs Jahren in den Architekturmagazinen einhellig gefeierte New Yorker High Line Park (ein Park auf alten Hochbahngleisen) ist für Vogt schlicht «Städtebaukitsch», eine vordergründige Eventi­sierung des Stadtraums. «Der Park ist eine reine Touristenfalle, Leute aus dem umgebenden Quartier gehen da gar nicht hin», konstatierte der Landschaftsarchitekt.

Verantwortung der Städte

In ihrem einführenden Vortrag «Urbanität neu denken» hatte Susanne Hauser von der Universität der Künste Berlin die Teilnehmenden daran erinnert, dass viele Städte in den 1980er- und 1990er-Jahren Angst gehabt hätten, ihre brach gefallenen Industrie-, Hafen- und Bahnflächen gar nicht sinnvoll mit neuen Nutzungen füllen zu können. Dieser Horror Vacui der Urbanisten ist lang verflogen, denn die wenigen verbliebenen Potenzialflächen der Städte sind begehrt und heiss umkämpft.

Dementsprechend drehte sich die von Judit Solt moderierte Schlussdis­kussion um die Verantwortung der Städte, die verbliebenen Orte echter Öffentlichkeit zu schützen. Die TEC21-Chefredaktorin erinnerte daran, dass der wohlfeile Wunsch nach urbaner Lebendigkeit und Freiheit auch bedeutet, Zumutungen auszuhalten; die «Mediterranisierung» der Städte mit Aussengastronomie und Menschentrauben auf nächtlichen Plätzen bringt Flair ins Quartier – und zugleich Ruhestörung für die Anwohner.

«Der Pfad zwischen willkom­menen Freiräumen und Verboten ist schmal», hatte Renate Amstutz vom Schweizer Städteverband schon in ihren einleitenden Worten konstatiert. Die Podiumsrunde des Nachmittags mündete daher in den Appell an die zahlreich anwesenden Planer aus Schweizer Gemeinden, den öffentlichen Raum als wertvolles Gut zu erkennen; die Ansprüche an ihn müssten im Dialog mit den Stadtbürgern ausgehandelt werden, je nach Ort und Notwendigkeit. Zwei weitere Tagungen zum Thema öffentliche Räume werden im Frühjahr und Herbst 2018 durchgeführt.
 

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