«Es ge­ht um Or­te der Kol­la­bo­ra­tion»

In Fragen der zukünftigen Konzeption von Arbeitsplätzen verändert sich momentan viel. Der Geschäftsführer von Vitra Schweiz und Österreich, Heiko Stahl, gibt Einblick in die neue Arbeitswelt und sagt, wie Vitra darauf reagiert. 

Data di pubblicazione
20-10-2017
Revision
26-10-2017

TEC21: Herr Stahl, was muss ein Arbeitsplatz, der ja inzwischen überall sein kann, heute bieten? 
Heiko Stahl:
Ein Arbeitsplatz muss neben Schreibtisch, Stuhl und Schrank vor allem auch Heimat und Identität vermitteln. Denn inzwischen können viele Arten von Arbeiten von überall erledigt werden. Sinn und Zweck eines Bürogebäudes ist nicht mehr nur, dass die Menschen dort vertieft an ihrem Computer arbeiten, sondern dass sie Ideen teilen, aus denen dann etwas Grösseres entstehen kann. Dafür ist der Raum, in dem der Arbeitsplatz liegt, ganzheitlich zu betrachten. Es muss berücksichtigt werden, welche Aufgaben und damit verbundenen Bedürfnisse die einzelnen Mitarbeiter haben, um dafür flexibel verknüpfbare Bereiche anzubieten.
Arbeit verändert sich im ­Moment extrem und damit auch der Ort, an dem sie erledigt wird. Zuvor ist es wichtig zu klären, ob ein Bürogebäude heute noch Büros anbieten muss. Meiner Meinung nach geht es eher um Orte zur ­Kollaboration, das Sichtbarmachen von Arbeit. Private Welt und Arbeitswelt verschwimmen. Jeder sucht sich Plätze, an denen er motiviert und inspiriert arbeiten kann. Im Grunde genommen geht es nur noch darum, dass der Mensch sich wohlfühlt und der Arbeitsplatz dem dient, was er dort machen möchte. 

TEC21: Wie reagiert Vitra auf diese Veränderung?
Heiko Stahl: Wichtig ist, dass die Mit­arbeiter eines Unternehmens bei einem Veränderungsprozess miteinbezogen wer­den – wir machen das anhand von begleiteten Workshops. Denn bei der Innenarchitektur geht es in erster Linie nicht darum, ob die Mitarbeiter den Raum gestalten dürfen, sondern ob der Raum auf die gewünschten Veränderungen und Bedürfnisse reagieren kann und diese formal trägt. Das gelingt weniger mit fest installierten Wänden als mit flexiblen Elementen. Bei Vitra folgen wir dafür dem Leitgedanken der Collage – eine Idee, die uns von Anfang an begleitet. Das hat mit dem Erbe von Ray und Charles Eames zu tun, auf dem das Design und die Entwicklung bei Vitra basiert.
Es ist unser Credo, dass die zu verschiedensten Zeiten und von einer Reihe unabhängiger Designer entwickelten Produkte insoweit einer Sprache entspringen, als sie immer als Patchwork funktionieren. Das Produktportfolio von Vitra ist der Grundstock für die Planung individueller Bürocollagen, und jedes neue Produkt ermöglicht neue Verflechtungen. Hinzu kommt die Zu­sammen­setzung von Prozessen, Arbeitsstilen und Arbeitsatmosphären, die im Büro statt­finden. Das ist ein Zusammenspiel auf verschiedenen Ebenen mit möglichst offenem Ende. Wichtig scheint mir für ein Team die Auseinandersetzung mit diesen Fragen. Anhand dieser in­di­viduellen Mischung von Produkten, Formen, Farben und Materialien erhält das Büro Cha­rakter. Richtig kombiniert, spiegelt es die Identität des Unternehmens und seine Ambitionen wider.

TEC21: Kann die Gestaltung des Arbeitsplatzes auf die Qualität der Arbeit Einfluss nehmen? 
Heiko Stahl: Ganz sicher. Dafür gilt es herauszufinden, welche Ängste der Mensch haben könnte, und die Gründe dafür zu begrenzen. Im Unterbewussten ist es stets spürbar, ob ein Raum funktioniert. Eine klare Orientierung gibt Sicherheit. Licht, Akustik und Wegeführung sind vor der Möblierung die ausschlaggebenden Parameter der Raumgestaltung. Das Wohlfühlen und damit die Inspiration sind von der direkten Umgebung abhängig, wobei die Umgebung bis in städtebauliche Zusammenhänge betrachtet wird. Es geht um die Integration in ein Gewebe, genau wie die Arbeit sich flächig in unser Leben integriert. 

TEC21: Wie spüren Sie solche neuen Tendenzen in der Arbeitswelt auf? 
Heiko Stahl: Wir haben bei Vitra eine Abteilung, die sich um diese Themen kümmert und die Veränderung der Arbeit untersucht. Zudem arbeiten wir mit verschiedenen Unternehmen, Institutionen und Hochschulen im In- und Ausland zu­sammen oder machen Entdeckungsreisen an die Ost- und Westküste Amerikas. In unseren Regionen verbauen wir uns viele Möglichkeiten durch Abgrenzung.
Bei Amazon in Seattle sind täglich nicht nur 23 000 Mitarbeiter, sondern auch 3000 Hunde auf dem Campus unterwegs. Neben dem Wohlbefinden, das sie für manche Mitarbeiter verbreiten, funk­tionieren sie auch als verbindende Elemente zwischen den Abteilungen, deren Abgrenzungen sie naturgemäss nicht wahrnehmen. So wird das Silodenken aufgebrochen, wovon das Unternehmen enorm profitiert. Der Campus-Gedanke ist grundlegend.

TEC21: Inwiefern spielt bei der Auflösung des Arbeitsplatzes in Lounges, Cafés oder Zug­abteile die Ergonomie noch eine Rolle? 
Heiko Stahl: In den USA ist das Sitzen bereits das neue Rauchen. Die Gesundheit des ­Körpers wird heute eher durch den mobilen Wechsel zwischen einzelnen Arbeitsszenarien unterstützt als durch die Veränderbarkeit der Möbelstücke selbst. Man kann heute von überall, zu jeder Zeit arbeiten. Genügend Bewegung wird durch das bewusste Planen von Dis­tanzen beispielsweise zum Drucker oder zum Papierkorb gefördert. Auf diesen Wegen wird dann das Treppenhaus zum Besprechungszimmer, das Regal zum Stehtisch oder das Sofa zur Telefonecke. Aber natürlich haben wir bei Vitra auch Produkte, die sich verschiedenen Ansprüchen anpassen lassen. Der einzelne Mensch steht im Mittelpunkt und entscheidet.

Weitere Beiträge rund ums Thema Büro finden sich in unserem E-Dossier.

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