Landschaft als interdisziplinäre Zukunftsaufgabe
Im Gespräch: Fritz Zollinger, scheidender Präsident der Berufsgruppe Umwelt
Er hat es im Blut, Menschen und Disziplinen zu verbinden: Dank Fritz Zollingers Beharrlichkeit entwickelten sich die Umweltthemen vom exotischen Randgebiet zum wichtigen Querschnittsthema des SIA. Ein Blick zurück auf 17 Jahre als Präsident der Berufsgruppe Umwelt.
SIA: Fritz, du warst jetzt 17 Jahre Präsident der Berufsgruppe Umwelt (BGU). Was bleibt dir aus diesen bald zwei Jahrzehnten besonders rege in Erinnerung?
Fritz Zollinger: Zuallererst die Tatsache, dass ich immer ein ganz grossartiges Team um mich hatte. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit vier bis acht Fachvereinen war eine unglaubliche Bereicherung meines Berufslebens. Und dann besonders die ersten und die letzten Jahre: Als erste Berufsgruppe, und über viele Jahre als einzige, haben wir Berufsgruppentage organisiert. In den letzten Jahren konnten wir – nach früheren vergeblichen Anläufen – endlich die Naturgefahren zum Thema im SIA machen und erarbeiteten federführend, aber mit den anderen Berufsgruppen zusammen das SIA-Positionspapier «Landschaft».
SIA: Wie war die Zusammenarbeit mit Geschäftsleitung und Vorstand des SIA?
Fritz Zollinger: Im grossen Ganzen gut. Wenn ich als ehemaliger Beamter den «SIA-Apparat» hin und wieder aus diesem Blickwinkel kommentierte, kam nicht immer Freude auf. Vor zwei Jahren hatten wir – allerdings nicht nur die BGU, sondern alle Berufsgruppen – mit der Leitung eine Krise, aus der alle gelernt haben. Wir mussten erkennen, dass unser gutes Tun nur dann zur Kenntnis genommen wird, wenn wir auch genug darüber reden. Ich hoffe, Vorstand und Geschäftsleitung haben auf der anderen Seite erkannt, dass die Berufsgruppen vieles tun, mit dem man sich nicht sofort und wirkungsvoll brüsten kann, sondern das aus vielen kleinen Mosaiksteinchen besteht, die erst zusammen und auf die Dauer Wirkung zeigen.
SIA: Gelebte Interdisziplinarität ist dir ein wesentliches Anliegen?
Fritz Zollinger: Diese Mentalität habe ich von meinem verehrten, heute 94-jährigen, immer noch geistig fitten Doktorvater Professor Herbert Grubinger mitbekommen: Alle reden von Interdisziplinarität, sie wird aber selten tatsächlich gelebt, weil sie manchmal weh tut – Kompromisse erfordert, das eigene Wissen relativiert, Toleranz braucht. Vor der Umstrukturierung des SIA 2012 hatte meine Berufsgruppe acht Fachvereine, nachher noch vier, weil wir nicht mehr Delegiertenstimmen zu vergeben haben. Das schmerzte. Ich bin andererseits glücklich und stolz, dass zwei der «abgesprungenen» Fachvereine bei uns mit vollem Stimmrecht an allen Sitzungen aktiv mitarbeiten! So vereinen wir heute in der BGU weiterhin auf Augenhöhe Geologie, Forstwesen, Umwelttechnik, Kulturtechnik, Raumplanung und Landschaftsarchitektur.
SIA: Wie siehst du die Bedeutung und Präsenz der Berufsgruppen innerhalb des SIA?
Fritz Zollinger: Ich glaube, dass wir als zweitkleinste Berufsgruppe eine anerkannte Stellung haben. Früher waren die «grünen Bereiche» im Bauwesen kein Thema im SIA. Heute sind sie es.
SIA: An der kommenden SIA-Delegiertenversammlung im April wird euer «Positionspapier Landschaft» zur Abstimmung kommen. Welche Bedeutung hat dieses Papier für dich?
Fritz Zollinger: Wenn das Papier angenommen wird, was ich sehr hoffe, zeigt das zum einen, dass sich interdisziplinäres Engagement im SIA bezahlt macht. Eine positive Reaktion wäre zudem ein Signal, dass der Ingenieurverein SIA inzwischen bereit ist, die Umgebung der Bauwerke auch aus dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit und als Wert an sich zu betrachten – was auch bedeutet, dass man der Landschaft ihren Charakter und ihre Seele lässt und akzeptiert, dass sie kein blosser Funktionsraum ist, der bestimmten Zwecken zu dienen hat. Mit dem Positionspapier beschreibt der SIA seine Werthaltung zur Landschaft und deren Entwicklung. Landschaft wird dabei verstanden als sinnlich erlebbarer, identitätsstiftender Kulturraum, der dem menschlichen Gestaltungswillen unterliegt, sich mit uns und durch uns entwickelt.
SIA: Landschaftsschutz und Kulturtechnik: Sind das nicht Widersprüche?
Fritz Zollinger: Zugegeben: Unsere fachlichen Väter und Grossväter haben mit ihren Meliorationen, Wegebauten, Bacheindolungen und systematischen Drainagen die Landschaft vielerorts ziemlich ausgeräumt. Man tut ihnen aber unrecht, wenn man diese Tätigkeiten allein nach heutigen Massstäben bewertet: Bis nach dem Zweiten Weltkrieg hatte die Landwirtschaft die grosse Bedeutung, die sie noch heute haben sollte. Das heisst, ausserhalb der Bauzonen musste möglichst viel und wirkungsvoll produziert werden. Den «Naturschutz» gab es noch nicht. Dann kam der grosse Wandel, mit dem sich auch viele meiner Kollegen sehr schwer taten und sich noch heute allzu viele Bauern schwer tun.
SIA: Ist denn der Kulturingenieur für den notwendigen «Rückbau der Landschaft» geeignet?
Fritz Zollinger: Davon bin ich überzeugt: So wie der Architekt als Bauleiter einen Hochbau ideal managen kann, obschon er von den einzelnen Handwerken wenig versteht, halte ich den Kulturingenieur für ideal geeignet, interdisziplinär in der Landschaft zu koordinieren, weil er nicht nur zur Kulturtechnik ausgebildet ist, sondern auch in Bodenkunde, Forstwesen, Raumplanung, Wasserbau und anderem mehr als nur eine Einführung erhalten hat.
SIA: Stärkt der Volksentscheid von 2013 gegen weitere Siedlungsexpansion (Raumplanungsinitiative) eure Disziplinen?
Fritz Zollinger: Das denke ich schon. Auch andere Vorstösse wie die Zweitwohnungsinitiative oder die Kulturlandinitiative im Kanton Zürich. Allerdings zeigt gerade die Ablehnung dieser Vorlage, dass das Stimmvolk noch immer allzu blauäugig und mit blindem Vertrauen in die Politik ist – und keine rechte Idee hat von einer Landschaft, an der auch unsere Nachkommen in 50 Jahren noch Freude haben werden. Gerade die natürliche, bisher unbebaute Landschaft ist besonders verletzlich für Eingriffe; wenn dort Bautätigkeit stattfindet, wird Boden für immer zerstört.
SIA: Die BGU macht Baukultur in der Landschaft?
Fritz Zollinger: So ist es. Am Runden Tisch für Baukultur bin ich bekannt für mein «ceterum censeo», man möge bitte unter Baukultur nicht allein Hoch- und Infrastrukturbauten verstehen, sondern auch Schutzwälder, renaturierte Bäche neben Wildbachverbauungen, Meliorationen, gestaltete Parks oder Alleen.
SIA: Man hört, die Disziplinen der BGU hätten Nachwuchsprobleme?
Fritz Zollinger: Nicht alle, aber insbesondere zwei: Sowohl bei den Kultur- als auch den Forstingenieuren hat die ETH erkannt, dass wenige Chancen auf Nobelpreise bestehen, und darum deren Ausbildung abgeschafft. Eine traurige Sache mit der Folge, dass wir heute in der Praxis allmählich echte Probleme haben, die Aufgaben in der Landschaft statt mit punktuellen Flickwerken übergeordnet und akademisch anzugehen.
SIA: Wie hast du deine Berufsgruppe geführt?
Fritz Zollinger: Von meinem intensiven Hobby her – ich gründete vor über 30 Jahren einen Jugendzirkus – war mir bewusst, dass man ehrenamtlich Arbeitende anders führen muss als Angestellte. Die Leute müssen einfach spüren, dass ihre Arbeit geschätzt wird. Das fängt mit kleinen Gesten an: So habe ich immer zu Beginn für Kafi und Gipfeli gesorgt, ein BGU-Logo und BGU-Schöggeli kreiert und bei den Sitzungen Endzeiten einzuhalten versucht – ein respektvoller Umgang also mit der eingebrachten Zeit.
SIA: Ein Schlusswort?
Fritz Zollinger: Ja, gern. Zuerst möchte ich meiner Nachfolgerin Evelyn Coleman Brantschen von Herzen alles Gute mit der BGU wünschen! Dann möchte ich danken für die tolle Zusammenarbeit mit meinen BG-Präsidenten-Kollegen Patric Fischli-Boson, Michael Schmid und Jobst Willers, für das einmalige Teamwork aller Berufsgruppenratsmitgliedern, sowie Beatrice Nyfeler und Corinne Tavernier in der SIA-Geschäftsstelle – und schliesslich meinen sieben BGU-Sekretären, allen voran Klaus Fischli und Carmen Kreienbühl – ihr wart grandios!
Zur Person
Nach dem Studium der Kulturtechnik an der ETH in Zürich assistierte Fritz Zollinger bei Professor Grubinger am Institut für Kulturtechnik. Ein Einsatz für die FAO (UNDP) in Nepal sowie eine Dissertation an der ETH/VAW folgten. Anschliessend war er bei verschiedenen Arbeitgebern tätig. Von 2001 bis 2014 leitete er die Abteilung Landwirtschaft beim Amt für Landschaft und Natur des Kantons Zürich. Zudem war er 17 Jahre Präsident der BG Umwelt.