«Um­si­ch­tig»: Mehr­ge­ne­ra­tio­ne­n­haus Gies­se­rei, Win­ter­thur

Umsicht – Regards – Sguardi 2013

Am 22. März verleiht der SIA die Auszeichnung «Umsicht – Regards – Sguardi 2017». Bis dahin präsentiert espazium.ch wöchentlich einen Gewinner der vorigen Auslobung. Diese Woche: das Mehrgenerationenhaus Giesserei.

Data di pubblicazione
08-03-2017
Revision
08-03-2017

Am Anfang standen die Vision und ein Online-Inserat. Gesucht waren Einzelpersonen, Paare und Familien, die an sozialen Interaktionen und an Gemeinschaft interessiert waren. Gemeinsam sollte ein ökologisches Mehrgenerationenhaus realisiert werden, in dem Menschen aller Altersgruppen und Lebensformen sozial durchmischt und selbstverwaltet zusammenleben und einander unterstützen würden. Sieben Jahre nachdem der Initiator die ersten Interessenten mit seinen zukunftsgerichteten Wohn- und Lebensvisionen begeisterte, waren diese zu Holz geworden. Im Frühjahr 2013 wurden im Neuhegi-Quartier in Oberwinterthur auf einem ehemaligen Gelände der Firma Sulzer die 155 Wohnungen der grössten selbstverwalteten Siedlung der Schweiz bezogen (vgl. TEC21 9 / 2013). Das Mehrgenerationenhaus ist gleichzeitig einer der ersten sechsgeschossigen Holzbauten des Landes.

Planung und Gestaltung verlangten von den künftigen Bewohnern viel Durchhaltewillen und Risikofreudigkeit, immer wieder auch Überzeugungs- und vor allem eine immense Freiwilligenarbeit. Viele von ihnen waren von Anfang an am Prozess beteiligt. Zuerst wurde ein Verein gegründet, der sich später einer gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft anschloss, mit dem ein langfristig tragfähiges Finanzierungsmodell erarbeitet werden konnte. In diversen Kommissionen und Arbeitsgruppen leisteten alle Beteiligten in unzähligen Sitzungen und Workshops ihren Beitrag für ein nachhaltiges, soziales und ökologisches Zusammenleben und Wohnen. 

Verschiedene Gemeinschaftsräume, zwei Werkstätten, eine «Pantoffelbar» – eine Bar im sechsten Stock, in der sich Bewohner in lockerem Rahmen treffen können – sowie durchgehende Lauben sind heute wichtige, für die gewollten sozialen Kontakte von der Architektur massgeschneiderte Elemente. Vielfältige Wohnungsgrundrisse stellen sicher, dass Bewohner bei Veränderungen ihrer Lebenssituation innerhalb der Siedlung eine neue Lösung finden. Ein Teil der Mieten wird durch die Stadt Winterthur subventioniert, sodass auch Familien mit geringem Einkommen in der Liegenschaft Platz finden. Bewusst stehen in der Ökosiedlung nur 31 Autoparkplätze, dafür aber 580 Veloparkplätze zur Verfügung. Effizient wird Fernwärme einer nahe gelegenen Kehrichtverbrennungsanlage genutzt. Der Bau ist Minergie-P-Eco-zertifiziert, erfüllt also höchste energetische Ansprüche.

Aus städtebaulicher Sicht liefert die Siedlung ein hervorragendes Beispiel für verdichtetes Bauen. Die Giesserei, benannt nach der dort einst von Sulzer betriebenen Produktionsstätte, erfüllt wegweisend die Anforderungen des Masterplans, ein Hybrid-Cluster-Modell, das die Rahmenbedingungen für die Neubebauung setzte: Es übernimmt Massstab und Footprint des industriellen Areals. Auf der 10 000 m2 grossen Parzelle bindet sich die Siedlung mit öffentlichen Nutzungen im Erdgeschoss vielseitig in die Nachbarschaft ein. Heute beherbergt die Giesserei ein Biorestaurant, eine Quartierbibliothek, eine Kindertagesstätte, ein Musikzentrum, einen Veloladen, eine Praxis-gemeinschaft sowie ein Tageszentrum für Menschen mit Hirnverletzungen.

Sechs Monate nach Bezug zeigt sich: Die Bewohner identifizieren sich in hohem Masse mit dem Bau und der Gemeinschaft. Auch nachdem sie eingezogen sind, treffen sie sich regelmässig und klären gemeinsam alle Fragen rund um das Mehrgenerationenhaus: Treppenhaus putzen, Gartenarbeiten, Organisation der öffentlichen Räume, Betrieb der Pantoffelbar. Eine professionelle Hausverwaltung oder einen Hauswart gibt es nicht. Die Bewohner packen selber an – gemeinsam, freiwillig, selbstbestimmt. Ganz so, wie es die Vision einst vorsah. (Text: Michael Mathis)

Mit «Umsicht – Regards – Sguardi» zeichnet der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein SIA «umsichtig» ausgeführte Werke, Produkte und Instrumente unterschiedlicher Art und Grössenordnung aus, die sich exemplarisch mit unserer Umwelt auseinandersetzen und in besonderer Weise zu einer zukunftsfähigen Gestaltung des Lebensraumes Schweiz beitragen. Die Preisverleihung findet am 22. März 2017 im Landesmuseum Zürich statt. Weitere Infos: www.sia.ch/umsicht

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