Re­duk­tion von Teil­si­che­rhei­tsbei­wer­ten ni­cht zu­läs­sig

Empfehlung der Normkommission SIA 262

Die Normkommission SIA 262 weist darauf hin, dass bei der Bemessung nach SN EN 1992-1-1 eine Reduktion der Teilsicherheitsbeiwerte auch für vorfabrizierte Elemente unzulässig ist.

Data di pubblicazione
15-09-2016
Revision
16-09-2016

Von verschiedenen Seiten wurde die Normkommission SIA 262 (NK SIA 262) mit der Frage konfrontiert, ob bei der Bemessung von vorfabrizierten ­Elementen nach SN EN 1992-1-1 ­Eurocode 2: Bemessung und Kon­struktion von Stahlbeton- und Spannbetontragwerken – Teil 1-1: Allgemeine Bemessungsregeln und Regeln für den Hochbau eine Reduktion der üblichen Teilsicherheitsbeiwerte für Baustoffe (Beton γc = 1.50 , Bewehrung γs = 1.15) zulässig sei. Diese Frage stellt sich, weil die EN 1992-1-1 im Anhang A Modifikation von Teilsicherheitsbeiwerten für Baustoffe die Möglichkeit bietet, diese Beiwerte unter gewissen Voraussetzungen zu modifizieren. Für die reduzierten Teilsicherheitsbeiwerte sind dabei landesspezifische Werte (NDP) vorgesehen. 

Im Nationalen Anhang SN EN 1992-1-1/NA:2014, der fester Bestandteil der SN EN 1992-1-1 und damit für die Anwendung der EN 1992 in der Schweiz massgebend ist, werden hierzulande anzuwendenden NDP festgelegt. Den Anhang A betreffend ist keine Reduktion der Teilsicherheitsbeiwerte zugelassen: γs,red = γs = 1,15 und γc,red = γc = 1,50. Auf eine Abminderung wurde bewusst verzichtet, insbesondere weil die in der EN 1992-1-1 als Voraussetzung für eine Reduktion angegebenen «erhöhten Qualitätsanforderungen» vergleichbar sind mit den üblichen Anforderungen der SIA 262 (teilweise sogar weniger restriktiv).

Eine Reduktion hätte also zu einer nicht erwünschten Herabsetzung der Sicherheit gegenüber dem Niveau, das heute in der Schweiz akzeptiert wird, geführt. Zwar enthält der Anhang A der SN EN 1992-1-1 separate Unterkapitel für Trag­werke aus Ortbeton (A.2), Fertigteilprodukte (A.3) und Fertigteile (A.4), die modifizierten Teilsicherheitsbeiwerte und die entsprechenden NDP sind jedoch ausschliesslich in Anhang A.2 festgelegt, und die Anhänge A.3 und A.4 verweisen auf diese Werte. Somit gelten für vorfabrizierte Elemente die gleichen Teilsicherheitsbeiwerte γc und γs wie für Ortbeton, und bei einer Bemessung nach SN EN 1992-1-1 ist auch für vorfabrizierte Elemente keine Reduktion dieser Werte zulässig. 

Die Produzenten von Fertigteilen sind an das neue, seit 2015 geltende Bauproduktegesetz gebunden und demzufolge verpflichtet, die relevanten Produktenormen (u.a. SN EN 13369 und SN EN 13225) und Vorgaben bezüglich Zertifizierung einzuhalten. Da Produktenormen allenfalls von der SN EN 1992-1-1 abweichende Angaben zu den Teilsicherheitsbeiwerten enthalten können (auch wenn dies seit 2014 unzulässig ist), stellt sich in diesem Zusammenhang zudem die Frage nach der Hier­archie der verschiedenen Normen.

Gemäss SN EN 13670 Ausführung von Tragwerken aus Beton gilt bei Widersprüchen zwischen Normen die in der Abbildung gezeigte Hierarchie, derzufolge die Tragwerksnorm SIA 262 den Produktenormen vorgeht. Zwar ist in Abb. 1 die SN EN 1992-1-1 nicht aufgeführt, sie ist jedoch äquivalent zur SIA 262 und somit, zumindest nach der Interpretation der Normkommission SIA 262, den Produktenormen übergeordnet. Eine Reduktion der Teilsicherheitsbeiwerte ist somit unzulässig, auch wenn dies in einer Produktenorm vorgesehen wäre.

Diese Beurteilung wird durch den 2014 getroffenen Entscheid des CEN Technical Boards Decision BT C36/2014 untermauert, wonach erstens Produktenormen be­treffend Bemessungsregeln, wenn immer möglich, auf die Eurocodes verweisen sollen und zweitens Bemessungs­regeln nur mit Genehmigung des CEN/TC 250, das für die Eurocodes verantwortlich ist, in Produktenormen integriert werden dürfen. Drittens sind, falls Bemessungsregeln in Produktenormen bestehen, diese in Absprache mit CEN/TC 250 in die Eurocodes zu integrieren oder dort zumindest Widersprüche zu eliminieren.

Abschliessend bleibt festzuhalten, dass Tragwerksnormen in der Schweiz keine Gesetze sind, allerdings besteht für die technischen Normen des SIA nach Rechtsprechung des Bundesgerichts die Vermutung, dass sie anerkannte Regeln der Baukunde sind, die von Gesetzes wegen anzuwenden sind. Auf die anerkannte Regel der Baukunde verweisen die kantonalen Baugesetze, und in einigen Kantonen wird sogar ausdrücklich auf die Anwendung der technischen Normen des SIA hingewiesen, zu denen die Tragwerksnormen gehören. Um die Vorgaben der aktuellen Tragwerks­normen einzuhalten, ist auf eine Reduktion von Teilsicherheitsbeiwerten zu verzichten. Es mag sein, dass dadurch die ­Wirtschaftlichkeit im Einzelfall ­geringfügig beeinträchtigt wird; im Vergleich zu den potenziellen Schadenfolgen, namentlich im Fall vorfabrizierter, hochfester Stützen, ist dies nach Auffassung der NK SIA 262 jedoch von untergeordneter Bedeutung.

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