Fors­chung Lang­zeit­beo­bach­tung Schlie­ren

Zeitreisen als Planungsinstrumente

Das Forschungsprojekt «Fotografische und auditive Langzeitbeobachtung Schlieren» begleitet seit 2005 die räumlichen Entwicklungen westlich der Zürcher Stadtgrenze. Unter dem Titel «Ästhetik der Agglomeration. Dispositive zur Wahrnehmung von Transformationsprozessen» stellte das Projektteam am 3. Oktober 2013 ein einjähriges Forschungsprojekt von SNF und DFG zur Diskussion.

Date de publication
24-10-2013
Revision
30-10-2015

«Wir haben neu sehen und hören gelernt», fasste Peter Wolf von der metron Raumentwicklung AG seine Erfahrungen im Forschungsprojekt zusammen. Die fotografischen und akustischen Aufzeichnungen, die in den Jahren 2005, 2007, 2009 und 2011 gemacht wurden, sind mehr als eine Dokumentation der Orte und ihrer Veränderung – sie sind «zusätzliche Mittel der Analyse.»

Über den Objektivierungsgrad und die Anwendbarkeit der Methode wurde während der Tagung verschiedentlich diskutiert, keiner der Beteiligten stellte aber infrage, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Allein schon das Interesse an der Tagung zeigt, dass das Projektteam des Forschungsprojekts «Visuelle und auditive Wahrnehmungsdispositive. Zur Erweiterung der Evaluationsmethodik von Stadtentwicklung in der Agglomeration am Beispiel von Schlieren» seine Idee zur richtigen Zeit am richtigen Ort umsetzte: Über 100 Personen aus Kunst, Architektur und Stadtplanung erschienen am 3. Oktober im Festsaal Salmen aus dem Jahr 1956 (Architektur: Peter Sennhauser), in dem der Stolz und die Würde der Stadt Schlieren unversehrt scheint, während die restliche Stadt in den vergangenen 50 Jahren fast alle erdenklichen Hochs und Tiefs der Stadtentwicklung durchgemacht hat.

Die über 15 Jahre hinweg geplante Langzeitbeobachtung begann 2005. Dies war das erste Jahr des von metron auf 20 Jahre Entwicklung angelegten Stadtentwicklungskonzepts, das die Brachen der entvölkerten und verarmten Gemeinde in städtische Strukturen überführen will.

Ästhetik der Agglomeration

Schlieren ist in den letzten Jahren zum Vorzeigebeispiel und Laboratorium der Stadtentwicklung geworden. Susanne Hauser, Professorin für Kunst- und Kulturgeschichte in Berlin, war mit ihrem Buch «Ästhetik der Agglomeration» (Verlag Müller und Busmann, 2006, vergriffen) Taufpatin der Tagung. Sie lieferte zum Einstieg eine Übersicht über die mit der Agglomeration verbundenen Begriffe.

Der im Lauf der Zeit veränderliche Gebrauch der Sinne – die «Historizität der Wahrnehmung» – wurde zu einem Kernthema der folgenden Diskussionen. Angelus Eisinger, Direktor der RZU, bezeichnete den Begriff der Agglomeration als «terrain vague». Andreas Sonderegger (pool Architekten) hielt fest, dass es Agglomerationen gebe, seit es Städte gibt, nur ihre Wahrnehmung habe sich verändert. Anschaulich machte die veränderten Wertesysteme Philip Ursprung, der schilderte, wie seine Familie sich in den 1960er-Jahren nach der Einwanderung aus den USA in Würenlos Auto fahrend orientierte.

Der zweite Vortragsblock verwickelte nicht nur den Projektbeteiligten Alex Arteaga und die eingeladenen Elke Bippus und Roberto Nigro, sondern auch die Zuhörer in die grundlegende Frage, ob Ästhetik und mit ihr die Wahrnehmung unmittelbar körperlich, organisch und universell sein könne, oder ob das Subjekt kulturell und historisch konstruiert sei. Während die theoretischen Argumentationen der zweiten Position zuneigten, zeichnete sich ab, dass aus künstlerischen Positionen die unvermittelte Wahrnehmung und das «spontan Ästhetische» eine Bedingung der künstlerischen Arbeit sei.

Meret Wandeler und Thomas Kusitzky erklärten die von ihnen konstruierten «visuellen und auditiven Wahrnehmungsdispositive», nach denen das Forschungsprojekt benannt ist. Innerhalb der von 2005 bis 2020 angelegten Langzeitbeobachtung ging das Projekt 2012–13 mit dem u. a. vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsprojekt in eine intensive Phase: Fünf Mitarbeiter der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und der Universität der Künste Berlin (UdK) untersuchten spezifische Anordnungen, unter denen Fotografien und Schallaufnahmen in Planungsprozesse eingeführt werden können. Installationen aus diesen Bildern und Tönen wurden in zwei Workshops ausgewählten Fachpersonen und Stakeholdern in Schlierens Entwicklungsprozessen präsentiert. In insgesamt 16 Anordnungen aus Bildausdrucken oder Bildschirmprojektionen, gekoppelt mit Lautsprechern oder Kopfhörern, in eingegrenzten Laborsituationen oder im Aussenraum wurden aus den über 500 Bild- und 144 Schallaufnahmen ausgesuchte Momente einer möglichst vorurteilslosen Betrachtung ausgesetzt. 

Neben den streng zugeschnittenen räumlichen Dispositiven unterlag auch die zeitliche Anordnung der beiden Workshops einem straffen Programm: Die Teilnehmer mussten sich der auf ihre jeweilige Situation zugeschnittenen Auslegeordnung der Bild- und Toninstallation 15 Minuten lang aussetzen, dann diese 15 Minuten lang beschreiben. 30 Minuten sind für die Gewohnheiten professioneller Entscheidungsprozesse eine durchaus lange Zeit – vielleicht eine angebrachte Entschleunigung angesichts der Tatsache, dass die auf 20 Jahre angelegten Ziele der metron-Studie bereits heute, nach acht Jahren, erreicht sind. 

Für Barbara Meyer, Leiterin der Stadtentwicklung Schlieren, sind die Bilder und Töne der Langzeitbeobachtung ein wertvolles Instrument der Erfolgskontrolle. Der Erfolg sei nicht das Erreichen der 2005 veranschlagten baulichen Verdichtung, sondern eine verbesserte Lebensqualität. Ebenfalls 2005 veröffentlichte Hartmut Rosa seine Thesen zum «rasenden Stillstand»: Gerade einen solchen könnte ein Einhalten für 15 Minuten visuelle und auditive Wahrnehmung verhindern helfen.

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