Der Ein­fluss des Gebäu­de­nut­zers

Energieeinsparung durch kluges Nutzerverhalten

Um den Anforderungen der 2000-Watt-Gesellschaft gerecht zu werden, genügen bauliche Massnahmen nicht. Das Verhalten der Gebäudenutzer ist für den Ressourcenverbrauch ebenso prägend. Eine Literaturrecherche ­der Stadt Zürich zeigt, dass das Einsparpotenzial bei Raumklima, Warmwasser- und Stromverbrauch im Wohnbereich je mindestens 20 % beträgt, und gibt auch Hinweise darauf, mit welchen Anreizen Nutzer zur Ausschöpfung dieses Potenzials motiviert werden können.

Date de publication
10-02-2012
Revision
01-09-2015

Mit technischen Verbesserungen allein sind die Ziele der 2000-Watt-Gesellschaft kaum zu erreichen, sondern es braucht zusätzlich Anstrengungen, um den individuellen Konsum auf ein nachhaltiges Mass zu senken. Dafür wurde der Begriff der «Suffizienz» geprägt. Die Stadt Zürich möchte den Beitrag des Lebensstils auf den Ressourcenbedarf in den Alltagsbereichen Wohnen, Arbeit, Mobilität und Ernährung quantitativ abschätzen.
Ein erstes Ergebnis ist die Studie «Nutzerverhalten beim Wohnen»;1 sie soll die bisherigen Erkenntnisse beim Planen und Bauen für die 2000-Watt-Gesellschaft ergänzen und das Verständnis der Nahtstelle zwischen Bau und Betrieb von nachhaltigen Gebäuden verbessern. Erstmals wird in dieser Studie versucht, das gesamte Spektrum der personen-bezogenen Nutzungsfaktoren, die den Energieverbrauch im Gebäude beeinflussen, zu benennen. Eine Grundlagenstudie zu einem suffizienten Mobilitätskonzept für städtische Wohnsiedlungen ist in Vorbereitung.

Nutzungsabhängige Faktoren

Ob im sparsamen Neubau oder im ineffizienten Bestand: Bewohnerinnen und Bewohner bestimmen mit ihrem täglichen Verhalten, wie hoch der Wärme- und Strombedarf in einem Gebäude effektiv ist. Wohnfläche, Raumklima (Heizen und Lüften), Warmwasser, Beleuchtung sowie feste und mobile Betriebseinrichtungen (Elektrogeräte) sind dabei die wesentlichen Nutzungsfaktoren. Der Faktor Wohnfläche wurde dabei in der Studie nur am Rande betrachtet, da er vor allem im Einflussbereich von Planern und Verwaltung liegt und vom Nutzer nur im Zusammenhang mit einem Wohnungswechsel beeinflusst werden kann. Im Rahmen der Studie war ausserdem nur eine Abschätzung des relativen Nutzer-einflusses in den Bereichen Raumklima, Warmwasser- und Stromverbrauch möglich, nicht jedoch eine Aggregierung der Werte dieser drei Bereiche entsprechend ihrem Anteil am Gesamtenergieverbrauch der Haushalte. Fundierte Erkenntnisse sind vor allem aus dem europäischen Umfeld zusammengetragen worden. Fündig wurde man aber auch vor der eigenen Haustür: Im Rahmen einer Studentenarbeit ist die städtische Siedlung Luchs-wiesen in Zürich-Schwamendingen durchleuchtet worden. Der Energieverbrauch für Heizung und Warmwasser in den einzelnen Wohnungen schwankt (bei identischem Baustandard und identischer Zimmerzahl und Grösse) bis um den Faktor vier.2 In den 4½-Zimmer-Wohnungen wurden maximal 750 kWh/Jahr und minimal 400 kWh/Jahr gemessen, in den 3½-Zimmer-Wohnungen zwischen 750 kWh/Jahr und 100 kWh/Jahr. Fachleute, die sich mit verbrauchsabhängigen Heizkostenabrechnungen ­befassen, bestätigen Unterschiede in dieser Grössenordnung. Eine wissenschaftliche Differenzierung dieses Faktors nach Anzahl Bewohnern pro Wohnung, Nutzereinfluss bzw. ­gebäudebezogenen Faktoren ist jedoch weitgehend hängig.

Nutzereinfluss beim Raumklima

Quantitative Angaben zur Grösse des Nutzereinflusses finden sich dagegen in älteren Untersuchungen: Nach erstmaliger Einführung der verursachergerechten Heizkosten-abrechnungen (VHKA) vor rund 30 Jahren ist der Nutzereinfluss bestimmt worden. Es ergaben sich Einspareffekte zwischen 16 und 22 % des zuvor ermittelten Heizenergie-bedarfs. Allerdings fehlt eine systematische Auswertung resp. ein Controlling der Anreizwirkung dieses Abrechnungsverfahrens basierend auf aktuellen Grundlagen. Über aktuellere Daten zum Nutzerverhalten verfügt dagegen das gemeinnützige Wohnbau-unternehmen Volkswohnung e.V. in Karlsruhe. Die bauliche und energetische  Sanierung ­einer Grosssiedlung wurde von einem wissenschaftlichen Projekt der Hochschule Karlsruhe mit mehrjähriger Messkampagne und spezifischer Mieterberatung begleitet. Inzwischen können sich die Mieter online ein zeitnahes Bild des eigenen Verbrauchs machen. Vor der Sanierung wurde das Lüftungs- und Heizungsverhalten der Bewohner exemplarisch erfasst. Dabei wurden in den Wohnzimmern beispielsweise Tagesmittelwerte der Temperatur zwischen 20 und 26 °C gemessen. Nach der Sanierung übertraf der Befund die Erwartungen: Der Heizenergiebedarf der grossen Mehrfamilienhäuser konnte mit der baulichen Sanierung von 189 kWh/m² auf 74 kWh/m² reduziert werden. Durch gezielte Mieterberatung und als ­Folge davon geändertes Mieterverhalten gelang es, den Verbrauch sogar auf 58 kWh/m² zu senken. Das Nutzerprojekt hat also eine Reduktion des Verbrauchswerts beim Raumklima um 22 % gebracht.3 Das ist offensichtlich kein Einzelfall: «Allein wenn die Räume nicht überhitzt werden, liegt das Einsparpotenzial bei rund 15 %», ergibt die Auswertung ähnlicher, verhaltensbezogener EU-Energiespar-programme.4 Als Erkenntnis der Studien, die den ­Nutzer­einfluss auf das Raumklima (Einstellung der Heiztemperaturen und Lüftungsverhalten) quantifizieren, ergibt sich ein Einsparpotenzial von 20 bis höchstens 25 %.

Nutzereinfluss bei Warmwasser- und Stromverbrauch

In einer ähnlichen Grössenordnung liegt der Nutzereinfluss beim Warmwasserbezug und beim Stromverbrauch, wie vor allem in Deutschland durchgeführte Verbraucherstudien im Wohnbereich zeigen. Das Sparpotenzial beim Warmwasser kann zwischen 18 und 30 % ­liegen; bei Beleuchtung und Haushaltsgeräten sind es zwischen 20 und 50 %. Beispielhafte Daten zum nutzerabhängigen Strombedarf liefert wiederum die städtische Wohnsiedlung Luchswiesen: Pro Haushalt liegt der durchschnittliche Verbrauch bei 4000 kWh/Jahr; maximal waren es über 10 000 kWh/Jahr und im Minimum unter 600 kWh/Jahr. Einflussgrössen sind neben den verfügbaren Geräten das Benutzerverhalten (Einsatz-zeiten, Standby etc.) sowie die Anzahl Bewohner pro Wohnung. Was Verhaltens-änderungen bei den Stromanwendungen bewirken, hat das Öko-Institut Freiburg theoretisch quantifiziert. Demnach ermöglicht die Anschaffung effizienter Haushaltsgeräte ein Einsparpotenzial von etwa 57 %. Allein durch die Veränderung des Nutzungsverhaltens beim Kochen, Waschen usw., also ohne grössere finanzielle Investition, lässt sich fast ebenso viel einsparen.6

Welche Anreize wirken 

Obwohl das Zahlenmaterial wertvolle Hinweise liefert, reicht es nicht aus, das Nutzer-verhalten als weiteren Faktor messbar zu machen. Mindestens so relevant sind auch qualitative Aspekte: Wie lässt sich den Bewohnern ihr Handlungsspielraum bewusst machen, und was bringt sie dazu, alte Gewohnheiten zu überdenken und ihr Verhalten zu ändern? Wichtige Hinweise dazu gibt die Kampagne, die der Genfer Vorort Vernier zusammen mit den Stadtwerken SIG durchgeführt hat. «Gesparte Energie ist gespartes Geld!», hiess der Aufruf zum bewussten und sparsamen Umgang mit elektrischer Energie, der an die rund 300 Bewohner der Sozialwohnsiedlung «Les Libellules» gerichtet war.7 Einfache Tipps, mit denen Energie eingespart werden kann, die unentgeltliche Abgabe von energieeffizienten Lampen, Mehrfachsteckern, Rabattgutscheinen für A+-Geräte sowie die Beratung vor Ort haben Einsparungen von 13.5 % eingebracht. Solche finanziellen Anreize funktionieren vor allem bei einkommensschwachen Haushalten. Bei der Durchführung der mehrjährigen Kampagne – sie hat den Watt d'Or 2011 des Bundesamts für Energie erhalten – hat man aber auch auf soziale Faktoren wie eine zielgruppennahe Beratung geachtet. So sind Jugendliche aus der ­Siedlung selbst für die Energieberatung akquiriert worden, was die Akzeptanz wesentlich erhöhte. Neben finanziellen Anreizen wird vor allem auch dem zeitnahen Feedback zugetraut, die Motivation für Verhaltensänderungen zu erhöhen. Konsistente und zielgruppengerechte ­Informationen und wiederkehrende Beratungsangebote sind ebenfalls wichtig; weiter wird auch einem Wettbewerb unter Freiwilligen das Potenzial zum Energiesparen zugetraut. Eine durchaus vertretbare These ist aber auch, dass die Idee, nachhaltig zu leben, für sich selber spricht: Heinz Gutscher, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Zürich, geht davon aus, dass sich für jede neue soziale Idee Leute finden, die bereit sind, sie umzusetzen. Diese Pioniere machen zwischen 10 und 20 % der Bevölkerung aus. Die Mehrzahl der Menschen kann zum Nachahmen motiviert werden. Diejenigen, die nur auf Vorschriften und Gesetze reagieren, bleiben laut Gutscher hingegen auf eine Minderheit von rund 15 % beschränkt.

Vom Wissen zum Handeln

Die Nutzerstudie der Stadt Zürich macht durchaus Mut: Das Potenzial für Verhaltens-änderungen im Wohnbereich scheint bei weitem nicht ausgeschöpft, und mehrere Kampagnen – zwar eher in Europa als im Inland durchgeführt – bestätigten, dass sich die Bewohner ­positiv anregen lassen. Es fehlen jedoch interdisziplinäre Forschungsprojekte, um die Erfolgsfaktoren von Sensibilisierungskampagnen systematisch zu analysieren und methodische Rückschlüsse für die breite Anwendung zu ziehen. Ebenso ist es erforderlich, die bekannten Nutzungsfaktoren in Fallstudien und Pilotkampagnen auf den Prüfstand zu stellen, um die quantitativen Prognosen zu verbessern und aktualisierte Erfahrungswerte zu sammeln. Auf übergeordneter Ebene möchten vor allem deutsche Forschungsinstitutionen – unter Beteiligung von öffentlichen Institutionen und Wohnbau-trägern – den Graben zwischen Wissen und Handeln überbrücken: Das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung ­finanziert einen Forschungsschwerpunkt «Neue Wege zum nachhaltigen Konsum»10; Teil­ergebnisse, die sich auch auf das Konsumverhalten im Wohnbereich beziehen, hat etwa die Interfakultäre Koordinationsstelle für allgemeine Ökologie der Universität Bern im Herbst letzten Jahres publiziert.11 Die Stadt Zürich wird die Erkenntnisse aus der Nutzerstudie in die Bearbeitung des Forschungsschwerpunkts «Wir leben 2000 Watt – Mehr Energieeffizienz im Zürcher Alltag» einfliessen lassen und dadurch das Verständnis für suffizientes Wohnverhalten verbessern. Daneben sind die städtische Liegenschaftenverwaltung und die Baugenossenschaft «mehr als wohnen», beide Mitauftraggeberinnen der Nutzerstudie, interessiert, die Einsparpotenziale beim Wohnverhalten bei der Bewirtschaftung der eigenen Immobilien respektive bei der Realisierung neuer Wohnbauten auszuschöpfen.

Anmerkungen 
1 Fachstelle Nachhaltiges Bauen AHB, Stadt Zürich: Nutzerverhalten beim Wohnen, Analyse, Relevanz und Potenzial von Massnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs (Effizienz und Suffizienz), Schlussbericht. Amt für Hochbauten, Stadt Zürich 2011. Autoren: Matthias Gallati / Paul Knüsel.
2 Auszeichnung «umweltbewusstes wohnen» für Wohnsiedlungen. Studentenarbeit an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften 2008
3 Integrale Sanierung auf Niedrigenergiestandard unter Einschluss moderner Informations- und Regelungstechnik und Beeinflussung des Nutzerverhaltens, EnSan-Projekt, Karlsruhe-Goerdelerstrasse. Fachinstitut Gebäude Klima e.V. 2004
4 SAVE@Work4Homes, Supporting European Housing Tenants in Optimising Resource Consumption; Final Report. Intelligent Energy Europe 2009
5 Bundesamt für Energie: Analyse des schweizerischen Energieverbrauchs 2000–2010 nach Verwendungszwecken. BFE 2011
6 Identifikation, Quantifizierung und Systematisierung technischer und verhaltensbedingter Stromeinsparpotenziale privater Haushalte. Transpose Working Paper No 3, Öko-Institut e.V. Freiburg 2009
7 Bundesamt für Energie: Energiesparen über gesellschaftliche Grenzen hinweg, in: energeia, Januar 2011
8 VSE: Geräteausstattung und Stromverbrauch von Schweizer Haushalten, in: Bulletin SEV/VSE 4/06
9 Bürger: Identifikation, Quantifizierung und Systematisierung technischer und verhaltensbedingter Stromeinsparpotenziale privater Haushalte. Transpose Working Paper No 3, Veit Bürger, Öko-Institut e.V. Freiburg 2009 10 Vom Wissen zum Handeln – Neue Wege zum nachhaltigen Konsum, Forschungsschwerpunkt Sozial-Ökologische Forschung; Deutsches Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF; www.sozial-oekologische-forschung.org.
11 Wesen und Wege nachhaltigen Konsums, Ergebnisse aus dem Themenschwerpunkt «Vom Wissen zum Handeln – Neue Wege zum nachhaltigen Konsum», Oekom Verlag, München 2011

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