Te­he­ran im Win­ter

Im zweiten Teil der Bilderreise durch den Iran: TEC21-Redaktorin Danielle Fischer unterwegs vom Bazar zum Ferdwosi-Platz.

Date de publication
07-04-2017
Revision
19-04-2017

Kühl, samtgrau und nieselig empfängt mich Teheran. Dass es hier noch düsterer ist als anderswo, muss an den Abgasen liegen. Der Verkehr macht die mehrspurigen Boulevards schwer passierbar – Fussgängervortritt kennen die sonst so gastfreundlichen Iraner nicht. Daran muss ich mich gewöhnen, und davor warnten mich auch in der Schweiz lebende Iraner. So hefte ich mich an die Fersen routinierterer Passanten, um auf die andere Strassenseite zu gelangen.

Trotzdem – die Stadt ist fantastisch! Die unzähligen, nachts aussergewöhnlich hell erleuchteten Schaufenster stehen denen europäischer Geschäftsstrassen in nichts nach. Etwas zurückversetzt, in einer mehrstöckigen Hofeinfahrt, die Silhouette eines Verkäufers mit hölzernem Schubkarren. Darauf in einer ausladenden Pfanne: ein dampfender Berg von Fava-Bohnen, genannt «Baghali Pokhte». Man pickt die faden Klumpen mit Zahnstochern auf. Und dann in einer Gasse, abseits des Menschenstroms, eine offene Tür, aus der Licht auf den nassen Asphalt fällt – hier muss es sein, das gesuchte Restaurant. Die hohen Räume im zweiten Stock sind mit theatralischen Goldranken-Tapeten verkleidet. An einfachen Tischen sitzen unter Kronleuchtern vom Brocante junge Leute. Ich setzte mich hin und fühle mich sofort wohl.

Als ich tags darauf das Keramik- und Glasmuseum besuchen will, irrt der Taxifahrer eine Weile umher. Dann entscheide ich mich, zu Fuss weiterzusuchen – die grossen Strassen sind auch auf Englisch angeschrieben, die kleinen nur auf Farsi. Eine Frau, die ich anspreche, führt mich auf die gegenüberliegende Seite des Strassengevierts zum Museumseingang. Hans Hollein gestaltete in den 1970er-Jahren im Auftrag von Schah Mohammad Reza Pahlavi einen persischen Palast aus der Kadscharenzeit zum Museum um. In der Schweiz hätte Holleins entwerferische Überschwänglichkeit keine Chance. Aber ich muss zugegeben, mich faszinieren die abgestimmten, sinnlichen Raumkompositionen, die die Ausstellungsstücke einen Moment in den Hintergrund treten lassen. Jeder Saal überrascht: Mancher beinhaltet skulpturale Vitrinen, die opulentesten darunter mit poliertem Messingdach, andere sind zu üppigen Raumskulpturen ausstaffiert. Trotz der räumlichen Vielfalt sind Innenarchitektur und Ausstellungsstücke klar getrennt. Den kostbaren Gegenständen widme ich dann umso sorgfältiger meine Aufmerksamkeit.

Im Laleh-Park finde ich das von Kamran Diba, dem Bruder der studierten Architektin und Schah-Gattin Farah Diba gestaltete Museum für Moderne Kunst geschlossen. Ob es etwas mit der kürzlich abgesagten Ausstellung der Sammlung Pahlavi in der Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin zu tun hat? Ein paar Schritte weiter befindet sich das von Farah Diba entworfene Teppichmuseum. Die vorgestellte Betonfassade des flachen Baus ist feingliedrig und zugleich etwas steif. In der Ausstellung wirken manche der Seidenteppiche zart wie Federzeichnungen.

Neben dem Museum ragt das vom Architekten Neal Prinz erbaute Hotel Laleh wie eine skulpturale Grossform aus dem Park. Seine einprägsame Form ist ein Versuch zur Corporate Identity der damaligen Hotelkette. Als ich an einem anderen Abend in den Park zurückkomme, begegne ich trotz der Kälte jungen Männern beim Schachspiel und Familien beim Flanieren. Meine Gastgeberin und ihre Freunde führen mich zu einigen Hütten, hinter denen sich unerwartet ein kleiner Markt befindet. Unter provisorischen Plastikplanen vor einem Heizstrahler essen wir iranische Gassenküche und unterhalten uns über das Auswandern und das Bleiben.

Ich stelle fest: Die Brüche in Teherans Stadtgefüge, in den Stilen und Proportionen, im Unterhaltszustand der Bauten, dem Hang ihrer Entwerfer zu partieller Überschwänglichkeit und Disharmonie – sie bewegen mich weit mehr als die angemessen strukturierten, wohlproportionierten und ordentlichen Bauten unserer Schweizer Städte.

Im ersten Teil: Danielle Fischer unterwegs per Auto und Bus von Shiraz nach Teheran. Zum Artikel

Sur ce sujet