Hei­den­haus, neu er­fun­den

Ein altes Dorfhaus in Münster kommt ohne Zentralheizung aus. Räume als Klimapuffer, zwei Giltsteinöfen und geschickt ausgenutzte Sonnenwärme genügen für ein wohnliches Klima.

Date de publication
16-06-2016
Revision
28-11-2016

Die Bauherrschaft hat gut gewählt. Ein Ehepaar mit Kindern wollte im Oberwallis ein Ferienhaus erstellen lassen. Bei der Suche nach einem geeigneten Grundstück stiessen sie gemeinsam mit dem von Jugend an mit der Re­gion vertrauten Architekten Roman Hutter auf das leer ­stehende Heidenhaus an guter Lage mitten im Dorf Münster. Das aus dem Jahr 1448 stammende Holzhaus mit diversen An- und Umbauten war zwar wirklich in die Jahre gekommen, sein Kern aber nach wie vor intakt. Gemeinsam mit Architekt und Handwerkern erweckte die Familie es zu neuem Leben.

Im Bezirk Goms im Oberwallis ist ein sogenanntes «Heidehüs» ein gängiger Bautyp. Die Bezeichnung geht auf die irrige Annahme zurück, diese Häuser würden aus vorchristlicher Zeit stammen. Die Blockbauten sind auf Steinsockel gesetzt und mit einer Trennwand in ein Vorder- und Hinterhaus geteilt. Ursprünglich bewohnten zwei Familien das Haus mit einem gemauerten Kellergeschoss und zwei aufgesetzten Stockwerken. Es wies den für diesen Haustyp üblichen Grundriss mit einer Aufteilung in ein Vorder- und Hinterhaus auf. Im Vorderhaus fanden sich eine Stube und Kammer, im Hinterhaus die Küche mit einem Nebenraum. Fest eingebaut war in der Stube je Geschoss ein Giltsteinofen, ein von hinten befeuerter Ofen aus Speckstein. 

Mit Respekt erneuert

Das Heidenhaus in Münster wies zwar diverse seitlich angebrachte Ergänzungen auf, entsprach aber kaum mehr heutigen Lebensgewohnheiten. Doch zeugt der Kernbau eindrücklich davon, wie ein mit handwerklichem Geschick erstellter Bau mit seiner materialgerechten Konstruktion weit über 500 Jahre bestehen konnte. Die Zimmerleute entfernten nach den Plänen des Architekten die über die Jahre hinzugekommenen Anbau­ten. Sie legten, wo es Sinn machte, die bestehenden Blockbauwände aus Lärche und teilweise Fichte frei und reinigten sie vom über Jahrhunderte angesammelten Staub, Russ und Schmutz.

Für Architekt und Bauherrschaft war es klar, die typische Gliederung in Vorder- und Hinterhaus beizube­halten. So wurden die Räume im Hinterhaus durch Einbaumöbel gegliedert. Im ersten und zweiten Geschoss findet sich im Hinterhaus nun eine Nasszelle mit Toilette, Waschtisch und Badewanne. Beide Stockwerke sind über einen längs der Trennwand angeordneten Korridor erschlossen. Der Zugang ins Dachgeschoss erfolgt hangseitig über den an der Ostfassade neu erstellten schmalen Anbau.

Die Riegelkonstruktion aus Fichtenholz bleibt unbeheizt und ist im hinteren Abschnitt mit einer einfach, aber robust konstruierten Holztreppe versehen, die zum Obergeschoss führt und dort in die Wohnstube mit Küche mündet. Ein west­seitiger Anbau in gleicher Konstruktion enthält im Erdgeschoss eine als Schreibstube und Bibliothek genutzte, ebenfalls unbeheizte Kammer, im Obergeschoss liegt darüber eine Terrasse. Beide Anbauten wirken wie ein Klimapuffer. Auf diese Weise sind die vormaligen beiden Kleinwohnungen zu einer Einheit verschmolzen. Dennoch funktionieren mit Ausnahme der Wohnküche die beiden Geschosse autonom. Dort treffen sich die Bewohner zum gemeinsamen Mahl, zum Zusammensein und zu Gesprächen. 

Sicherheit und Komfort

Das Haus musste erdbebensicher ertüchtigt werden. Dazu diente ein Eingriff im Untergeschoss. Das Erdreich im Keller wurde abgesenkt und der Raum so erhöht. Die bestehenden Bruchsteinmauern wurden unterfangen. Mittig wurde unter der Mittelwand der Obergeschosse ein rechteckiger Raum aus Stahlbeton eingebaut und die hangseitige Wand mit einem Vorbau aus Beton versehen.

Der neue Betonkubus unterteilt den Keller in eine Werkstatt und den Erdkeller. Darin befinden sich ein Warmwassertank und Installationen für eine später eventuell einzubauende Heizanlage. Doch bleibt das Untergeschoss unbeheizt. Die hangseitige Wand weist vier vertikale Rippen auf, und in den so entstandenen drei raumhohen Nischen machen Tablare den mit Naturboden versehenen Kellerteil zum Vorratsraum.

Auch die neuen Sockel der beiden Anbauten bestehen aus ­Beton. Architekt und Bauherrschaft definierten bei diesem Umbau von Beginn an, welche Räume notwendigerweise zu beheizen sind: die innenliegenden Wohn- und Schlafräume. Als Wärmequelle dient in beiden Stockwerken ein je mittig gesetzter, bestehender Giltstein­ofen. Ein spezialisierter Hafner sanierte diese beiden Öfen aufwendig und setzte sie neu.

Ursprünglich bestand deren Brennkammer bloss aus einem Raum. Neu windet sich der heisse Rauch mehrfach durch den Ofen, und derart entstand ein weit höherer Wirkungsgrad. Unterstützend dazu ist der steinerne, neu aufgemauerte Kamin mit Speichersand hinterfüllt. Die Öfen werden von ihrer Hinterseite mit Stückholz beheizt. Die Strahlungswärme der über eine Tonne schweren Öfen wirkt angenehm und verteilt sich über die beiden Stockwerke.

Eine weitere Heizung gibt es in diesem Haus nicht. Für Warmwasser der Küche und Bäder sorgen sorgsam integrierte Sonnenkollektoren an der Südfassade des westseitigen Anbaus. Diese wärmen zudem bei Abwesenheit der Bewohner die ins Haus neu eingebauten Radiatoren, sodass die eingespeiste Energie nicht verpufft oder gar abgeführt werden muss. Mit einer Schiebetüre zur Bibliothek lässt sich die von Westen einstrahlende Sonnenwärme auf einfache Weise bewirtschaften.

Auch der ostseitige Anbau verfügt über drei Türen, die im Winter geschlossen sind und im Sommer offen stehen können. Je nach Sonneneinstrahlung ermöglichen auch sie einen Energieeintrag in den Hauptbau. Sämtliche Fenster- und Türöffnungen wie auch Teile der Wände mussten saniert werden. Dies unter anderem auch, weil über die Jahre nicht zimperlich mit der Substanz umgegangen worden war. Beim Umbau mussten mit einer Motorsäge die Bauteile passgenau vorbereitet werden. Dafür wurde, wenn immer möglich, Altholz von der Originalsub­stanz verwendet.

Die bestehenden zweiflügligen Fenster wurden ersetzt und zweiflüglig belassen. Die in den beiden Anbauten neu gesetzten Fenster hingegen sind einflüglig konstruiert. Sie weisen eine Sprossenteilung auf, die den Massstab der Fenster im Kernbau übernimmt. Schiebeläden, die unter der Innenverkleidung verschwinden können, dienen zur Regelung des Lichteinfalls und als Sichtschutz.

Material als Gestaltungsmittel

Der ganze Innenausbau besteht aus Fichte und setzt so einen Kontrast zu den bestehenden dunklen Strick­bauwänden. Die Massivholzküche ist wie ein Kommodenmöbel gesockelt in den Raum gestellt. Sie besteht aus Lärchenholz, und die hellblauen glatten Flächen sind aus Vollkernplatten. Der obere Stauraum ist nach dem Vorbild der 1950er-Jahre leicht abgeschrägt und mit Schiebetüren versehen. Die Rückwand über der Arbeitsfläche besteht ebenfalls aus geöltem Lärchenholz.

Das Haupthaus ist neu innen gedämmt und verkleidet. Im Gegensatz dazu erfolgte der Wandaufbau für die Anbauten von innen nach aussen. So bleibt ­die Struktur des Haupthauses aussen sichtbar, wie dies traditionell bei einem Blockbau der Fall ist. Bei den Anbauten bleibt die Struktur im Innern sichtbar. Dafür ist der Holzriegel mit Dreischichtplatten ausgefacht. Der Leim, der bei allen anderen Bauteilen nicht erwünscht ist, übernimmt dort die Funktion der Dampfbremse.

Sämtliche Böden in den Räumen sind aus Fichtenholz – einfach gestossene breite Bohlen mit 12 cm Dicke ohne Schalldämmung. Weil das Haus durch eine Familie genutzt wird, genügt das durchaus. Für die beiden Schränke der Obergeschosse wurde das Holz der alten Böden verwendet – ein Recycling-Gedanke, der den alten Häusern aus Mangel an Ressourcen von jeher eingeschrieben ist. Die bestehenden 8 cm dicken Bohlen wurden zu Brettern aufgeschnitten und neu für die Einbaumöbel verwendet.

Bei den Anbauten dominiert das wetterbeständige Lärchenholz. Sägerohe Bretter sind in ihrer maximalen Breite stumpf gestossen und deren Fugen mit einer Deckleiste geschlossen. Ähnlich vielschichtig sind die Innenverkleidungen. Die neuen Flächen erhalten so eine optisch wirksame Tiefe entsprechend dem furchigen und unebenen Altholz des Bestands. Das dem Haus irgendwann verpasste Blechdach wurde durch ein ­traditionelles Schindeldach ersetzt.

Der in Münster aufgewachsene Architekt Roman Hutter kennt sich in solchen Dingen bestens aus. Er betont, es sei bei den Holzschindeln wesentlich, dass diese aus einer Region stammen, die möglichst ähnliche klimatische Bedingungen aufweist – am besten natürlich aus dem Ort. Nur so bleibt die Langlebigkeit der neuen Eindeckung garantiert.

Engagement zahlt sich aus

Die Planung des Umbaus und die Sanierung dieses Heidenhauses erfolgten im Jahr 2012, die Bauarbeiten selber konnten im Verlauf des Jahres 2013 abgewickelt und im Frühjahr 2014 abgeschlossen werden. Einer anspruchsvollen Bauherrschaft und dem mit örtlichen Gegebenheiten vertrauten Architekten ist es zu verdanken, dass dieses altehrwürdige Holzhaus zu neuem Leben erweckt ist und trotzdem seine Seele bewahrt hat. 

Diese Sorgfalt im Umgang mit bestehender ­Bausubstanz und die intelligente Neunutzung wurden entsprechend gewürdigt. Die Zeitschrift «Umbauen ­und Renovieren» hat dem vorliegenden Umbau anlässlich der Swissbau 2016 den Sonderpreis Energie zuge­sprochen. Die Jury zeigte sich zudem beeindruckt von der architektonischen Leistung, die eine gelungene Weiterentwicklung der Holzbautradition darstellt. ­Roman Hutter hat mit seinem Büro den Best Architects Award 16 in Gold errungen, eine besondere Ehre, da diese ­Auszeichnung internationale Geltung hat.

Am Bau Beteiligte


Architektur
Roman Hutter Architektur GmbH

Bauingenieur
VWI Ingenieure AG

Hafner
Roth AG

Bauphysik
Truffer Ingenieurberatung, Visp

Holzbau
Holzbau Weger, Münster

Weitere Informationen
 

Bauzeit
2013 bis 2014
 

Gebäudevolumen
658 m3 (SIA 416)
 

Gebäudefläche total
254 m2 (SIA 416)
 

Geschosse
2

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