For­schung und Pra­xis

Die Zusammenarbeit von Hermann Blumer und Prof. em. Ernst Gehri war wichtig, um neue Ideen im Ingenieurholzbau mit Versuchen zu verifizieren. Im Gespräch erläutert Ernst Gehri, wie es zu diesem Gespann kam.

Publikationsdatum
16-06-2023

«Hinter der Arbeit steckt ein Team», betont Hermann Blumer stets. Dazu ge­hören auch Experten in der Forschung, denn diese ist in der Holzindustrie ein wesentlicher Teil der Arbeit. Sie trägt dazu bei, neu erdachte Technologien ent­wickeln zu können sowie die Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeiten von Holz besser zu verstehen. Als ordentlicher Professor für Holztechnologie am Departement für Forstwissenschaften der ETH Zürich (1990–1999) be­schäftigte sich Ernst Gehri intensiv mit dem Holzbau, der in den 1990er-Jahren noch wenig Beachtung in der Schweizer Baubranche fand, abgesehen von Gerüstbauten und als Schalungsmaterial für den Betonbau. Durch Gehris Entwicklungen im Bereich der verleimten Hölzer (Brettschichtholz) erhielt Holz wieder eine Bedeutung als Baustoff (vgl. «Es braucht eine gesunde Hartnäckigkeit»). Die Verbindungen der Tragelemente waren allerdings die grosse Schwach­stelle. Als ehemaliger Stahlbauer brachte Gehri die GSA-­­Tech­nologie ins Spiel; die eingeklebten Gewindestangen waren ein Quantensprung im Holzbau.

Gründlichkeit und Forscherinstinkt

«Ernst Gehri stach mit seiner Gründlichkeit in den analytischen Untersuchungen heraus. Er durchschaute die Schwächen des Holzes, verstand das Verhalten von Verbindungen und Holztragwerken und lenkte die Normierung im Holzbau in die richtige Richtung», schildert Hermann Blumer seinen Weggefährten. Zuvor waren die Holzbaunormen oft empirisch festgelegt und basierten zu wenig auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. So war und ist es Gehri wichtig, dass Normen ein Leitfaden sind und nicht zu Leitplanken werden wie in Deutschland. Die Schweizer Leitlinien kann man auch mal verlassen, sofern man sich der Gefahren bewusst ist. Das sei eine völlig andere Kultur und eine Chance, die wir pflegen und behalten sollten.

Ernst Gehri trieb aus diesem Grund Versuchsreihen in der Forschungshalle der ETH voran und bot die Infrastruktur den Unternehmen an – Nichtnormiertes sollte analysiert werden. «Ohne Labor und Versuche», erklärt Gehri, «geht es im Holzbau nicht.» Auch Blumer kam, und die Professur von Gehri profitierte von den Ergebnissen und dem Praxisbezug. «Blumers grosser Vorteil war, dass er das Baumaterial kannte. Holz kann man nicht einfach rechnen, das Material ist lebendig», sagt Gehri. Blumer beherrschte es und schloss entsprechend auch sein Studium mit Bestnoten ab.

Versuch und Irrtum

Allerdings funktionierten Blumers Versuche nicht alle. Einige Träger brachen unter Gebrauchslast ein, weshalb die Holzkonstruktionen starker Kritik ausgesetzt waren. Zudem gab es Grenzen in der Zusammenarbeit. So wider­strebte es Ernst Gehri beispielsweise, Blumer bei extra­vaganten Projekten zu unterstützen: «Hermann Blumer war auch für Projekte zu begeistern, die nicht wirklich für den Holzbau geeignet waren. Manchmal wollte er mit Versuchen an der ETH Konstruktionen verifizieren, die nicht holzgerecht waren.» Natürlich seien solche Projekte wichtig für die Architektur, weil sie eine mediale Wirkung haben. Wenn Gehri in den Projekten aber keinen weiteren technischen Fortschritt sah, lehnte er Anfragen ab: «Es gibt heute fast grenzenlose Möglichkeiten, verschiedene Materialien im Holzbau zu kombinieren. Aber holzgerecht ist das mitunter kaum.»

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Blumer fand andere Partner. Die maschinelle Verarbeitung von Holz entwickelte sich in der Schweiz bereits in den 1980er- und 1990er-Jahren sehr schnell. Unterstützt wurde dies auch vom Start des ersten Studiengangs Holzingenieur/-in HTL 1986 in Biel. Diesen besuchten vor allem Zimmermannssöhne, die seltener den Weg über eine akademische Ausbildung an der ETH einschlugen. In Biel fand Blumer Unterstützung für die Bauten, die letztlich von der Öffent­lichkeit wahrgenommen wurden – den Golf­club Yeoju in Südkorea (2009) oder das Centre Pompidou in Metz (2010).

Grenzen überschritten

Ebenso gab es aber auch Grenzen der Machbarkeit, die Blumer hart zu spüren bekam. So hatte Gehri den Einsturz der olympischen Ringe zu beurteilen, die Blumer 1992 für die Sommerspiele in Barcelona aus Fichtenholz zu erstellen versuchte. In der gewohnten Gründlichkeit und Korrektheit hielt Gehri die Vorkommnisse in einem Gutachten fest – es stellte sich heraus, dass auch Blumer Fehler einzugestehen hatte.

Schwer wog auch die Übernahme der kriselnden Appenzeller Kantonalbank 1996 durch die Schweizerische Bankgesellschaft, die die Blumer’sche Firmengruppe zerschlug. Hermann Blumer hatte aber die Fähigkeit, sich wiederholt aufzurichten, sich von Ideen zu distanzieren, schrittweise neue Lösungen zu entwickeln und diese auf neue Weise gekonnt umzusetzen. «Er war eine gefestigte Person, konnte sich von Rückschlägen erholen und tastete sich wiederum an neu gesteckte Grenzen heran», hält Gehri mit deutlich wahrnehmbarer Bewunderung fest.

«Nach wie vor braucht es Personen wie Hermann Blumer», sagt Gehri und ergänzt: «Wir sind noch weit entfernt von dem, was wir mit dem Baustoff Holz erreichen könnten. Die Entwicklung wird zeigen, wo noch Potenzial brachliegt – zum Beispiel in der Verwendung von geschältem Starkholz.» Die Arbeit mit Holz werde dort spannend, wo noch nicht alles normiert ist und wo man mit gesundem Menschenverstand und einer ordentlichen Portion Neugier das Potenzial ausschöpfen kann – Blumer hat immer schon gezeigt, was dann möglich ist.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 20/2023 «Einem Holzbaupionier auf der Spur».

Mehr zum Thema finden Sie in unserem E-Dossier Hermann Blumer.

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