Zur frei­en Ver­wer­tung

Gebäudebestand als Baustofflager

Die Wegwerfmentalität dominiert auch das Bauen. Riesige Mengen an Bauschutt und Abbruchmaterialien landen auf Deponien oder enden als niederwertige Reststoffe. Eine Recyclingstrategie tut not.

Publikationsdatum
17-06-2015
Revision
07-10-2015

Einladung zum Rundflug über die Baustelle Schweiz, mit Start in Nordwest: In Kleinbasel wächst der Roche-Turm in den Himmel; westlich davon möchte der Kanton Teile des Felix-Platter-Spitals niederreissen. In Muttenz BL ist ein weitläufiger Hochschulcampus im Bau; knapp 20 km südlich wird das stillgelegte Zementwerk Lausen BL demontiert. Und auf der anderen Seite des Bözbergs sind die Konstrukteure und Demonteure ebenso eifrig am Werk: Die ehemalige Konservenfabrik in Lenzburg AG ist fast abgeräumt, stattdessen spriesst eine Grossüberbauung aus dem Boden. 

Eine Fortsetzung der Besichtigungstour kann man sich sparen, die Eindrücke wären dieselben: In der Schweiz wird nicht nur emsig gebaut, sondern auch mindestens so viel abgerissen, abgebrochen oder abgeräumt. Das Bauen bewegt sich im Kreis: Wo Neues entstehen soll, muss Altes weichen. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) schätzt, dass fast 10 Mio. m3 Bausubstanz im Jahr verschwinden1, ein grosser Anteil darunter sind alte Industriebauten und Werkhallen. Input und Output halten sich bei diesem riesigen Material­umsatz jedoch längst nicht die Waage: Über 60 Mio. t Rohstoffe werden jährlich in die Neubauten gesteckt; gleichzeitig hinterlassen die Rückbauobjekte einen riesengrossen Abfallberg. Insgesamt fallen 3 Mio. t Bauabfälle und Abbruchmaterialien an. Allerdings wird die rekordverdächtige Recyclingquote der inländischen Privathaushalte von 50% locker übertroffen. Auf der Baustelle Schweiz werden über vier Fünftel der Abfälle aussortiert und in die Verwertung geschickt. 

Knapper Deponieraum

Die Abrissbirne war gestern: Heute werden Gebäude auch in Handarbeit entkernt und mit Fräsen, Schneidegeräten und Baggerzähnen fein säuberlich zerlegt. Bis zu fünf Mulden nehmen die jeweils unterschiedlichen Materialfraktionen auf. Eine zunehmende Zahl von Wertstoffhändlern und Bauteilbörsen durchstöbert inzwischen fast jeden Abbruchplatz. Intakte Fenster und Türen oder funktionstüchtige Kücheneinbaugeräte werden sorgfältig ausgebaut und bisweilen zur Weiterverwendung nach Osteuropa exportiert. Giftstoffe und Sonderabfälle ausgenommen, enden 1 bis 2 Mio. m3 Bauschutt pro Jahr auf Inert-, Reaktor- oder Reststoffdeponien. Allmählich wird der Platz aber knapp. «Die Suche nach sicheren Standorten ist aufwendig, und die Akzeptanz in der Bevölkerung nimmt weiter ab», bestätigt Patrick Plüss, Co-Geschäftsführer GEO Partner AG. Deponien gilt es zudem als letzte Senke für nicht verwertbare Abfallrückstände zu reservieren. Daher bemühen sich immer mehr Kantone, die Abfallbewirtschaftung stärker mit Recycling anzureichern.  

Tatsächlich wandeln sich Strategie und die Begriffe: Bislang wurden viele Rohstoffe verbaut und nach der Nutzungsphase weggeworfen. Neu wird der Gebäudebestand als Ressourcenpool für künftige Ansprüche verstanden. «Urban Mining» hat auch den Bausektor erreicht: Das temporäre Materialreservoir im bestehenden Gebäudepark soll dereinst zur stofflichen Wiederverwertung dienen. Den Kreislauf mit sekundären Abfallressourcen zu schliessen ist allerdings nicht einfach: Zum einen ist das Preisniveau für primäre Rohstoffe niedrig, zum anderen sind hochwertige Aufbereitungs­verfahren noch in Entwicklung. «Der Recyclingerfolg hängt wesentlich davon ab, wie die Behörden den Absatz der wiederverwertbaren Produkte fördern», ergänzt Umweltingenieur Plüss. Tatsächlich wird Bauschutt bisweilen erst zwischengelagert, um die weitere Entwicklung in der Abfallplanung abzuwarten.  

Hohes Recyclingpotenzial

Die im Hochbau gelagerte Masse ist immens. Das geschätzte Gesamtgewicht aller Immobilien in der Schweiz beträgt rund 1 Mrd. t, mit einem spezifischen Durchschnittsgewicht von rund 360 kg/m3 Bauvolumen. Nur: Die Gebäudemasse ist nicht homogen, sondern auf über Dutzende Baumaterialien verteilt. Die verwendete ­Stoffchemie reicht von herkömmlichen Mineralien in Sand und Kies über organische und synthetische ­Substanzen bis zu Seltenen Erden. Die klassischen Schwergewichte sind Beton, Backstein, Holz und Stahl, in Bezug auf Masse und ­Anteile. Fassaden, Dach und Innenausbau sind aber durch eine weit grös­sere, unübersichtlichere Palette an Werkstoffen und Verbundmaterialien charakterisiert. Davon liegt das meiste nur in Spuren vor. Behindert wird die stoffliche Wiederverwertung aber auch dadurch, dass die wenigsten Abbruchmaterialien sortenrein oder homogen entfernt werden können.

Die ETH Zürich hat vor über zehn Jahren ­erste Analysen der Gebäuderezeptur präsentiert. Ak­tuell bestimmt die Technische Universität Wien die Ingredienzen im Gebäudepark der ehemaligen Kaiser­stadt. Eine solche Stoffflussanalyse erlaubt Prognosen und Strategien, um die wiederverwertbaren Materialanteile im Gebäude aufzuschlüsseln. 

Lückenlose Infrastruktur

Beim Betonrecycling lässt sich der Stoffkreislauf heute schon schliessen. Rückgebaute und gebrochene Betonwände und -decken lassen sich problemlos konstruktiv wiederverwenden. «Die Recyclingquote schwankt regional zwischen 50 und 90%», bestätigt Stefan Rubli, Inhaber der Energie- und Ressourcen-Management GmbH. Die Anteile haben sich vor allem im Kanton Zürich vergrössert, weil Behörde und Branche die ökologische Verwertungsvariante gemeinsam vorantreiben. «Basis der Erfolgsgeschichte ist eine lückenlose Aufbereitungs- und Recyclinginfrastruktur von der Rückbaustelle bis zum Betonwerk», sagt Rubli. Den weiteren Ausbau des Absatzes behindern mittlerweile weniger technische Hürden oder fehlende Kapazitäten als vielmehr Unwissen oder Bedenken bei Planern und Entscheidungsträgern.2 Genug rezyklierbares Material hat es auf jeden Fall: Laut Stefan Rubli mischen Beton­produzenten bisweilen von sich aus geringe Abbruch­anteile dem konventionellen Beton bei. Das Recycling von Kupfer, Aluminium und Altmetall ist ein weiterer Zweig, bei dem das Urban Mining bestens funktioniert.

Die Rückbaubranche arbeitet oft aus eigenem Antrieb daran, Schrott, Schutt und andere Abbruchmaterialien in sekundäre Ressourcen zu verwandeln. Und wo dies noch nicht gelingt, macht gern die Behörde darauf aufmerksam. So hat die Zürcher Baudirektion erstmals die Gipsflüsse untersucht und regt eine Erhöhung der Verwertungsquote an. Gefragt sind Recyclingkonzepte, die die gesamte Materialpalette im Gebäude umfassen. Die laufende Revision der Technischen Verordnung über Abfälle (TVA) will darum, die Kreisläufe schliessen: «Dafür sind Bauabfälle zu trennen sowie stofflich und energetisch sinnvoll wiederzuverwenden».  

Wertstoffcluster in Zentrumsnähe

Die Verwertung der ausschlachtbaren Ressourcen steckt allerdings erst in den Kinderschuhen. Urban Mining heisst oft: eine Kaskadennutzung mit Down- statt Re­cyc­ling oder die thermische Verwertung. Das Gros des mineralischen Abbruchs wird Magerbeton und Koffer- und Füllmaterial. Altes Fensterglas wird aus qualitativen Gründen oft nicht 1 : 1 wiederverwendet, sondern geht häufig zur Dämmstoff- oder Hohlglasfabrikation.  

Die Stadt Zürich hat 15 eigene Rückbauprojekte analysiert3 und unter anderem den ökologischen ­Pfad bei der Altholzverwertung gesucht. Das Aussortieren alter Balken und heruntergerissener Wandtäfer gehört zwar zum Standardrückbau; die Verwertung jedoch endet thermisch (vgl. Kasten) oder im Export. Die ökologische Bestvariante ist materialspezifisch und hängt von ­weiteren Faktoren ab: «Beim Urban Mining spielen neben der Verwertung auch Transportwege, Maschinenpark und Rückbauverfahren eine wichtige Rolle», sagt Philipp Noger, Projektleiter Fachstelle für Nachhaltiges Bauen Stadt Zürich. Für das Betonrecycling wird beispielsweise empfohlen: Die Aufbereitung soll innerhalb eines Radius von 25 km stattfinden. Darum ist bemerkenswert, dass sich rund um Siedlungszentren in der Deutschschweiz eigentliche Wertstoffcluster zur Aufbereitung von mineralischen Abfällen und Altmetall angeordnet haben. 

Warnung vor Altlasten

Im Rückbau fallen auch Materialfraktionen aus jüngeren Baustoffgenerationen an, deren Recycling wenig erforscht ist. Das deutsche Fraunhofer-Institut hat
im vergangenen Jahr eine Pilotstudie zum Recycling von Wärmedämmverbundsystemen präsentiert. Der Tenor: Verklebte und verputzte Bauteile sind schwer trennbar. Und gegen die Wiederverwendung spricht, dass die energetische Verwertung beim Verbrennen von Kunststoffen wirtschaftlich und ökologisch besser ist. Denn eine definitive Entsorgung verhindert das Verschleppen problematischer Zutaten, etwa der Brandschutzmittel. 

Zurück zur Besichtigungstour auf der Baustelle Schweiz: Am Zürcher Entlisberg startet bald der Rückbau einer Genossenschaftssiedlung, um grosszügigeren Wohnhäusern Platz zu machen. Und in Oberarth SZ muss die stolze Seidenweberei modernen Mehrfami­lienhäusern weichen. Zu hoffen ist, dass diese und alle anderen Neubauten ohne bereits bekannte Problemzutaten auskommen. Denn damit das Kreislaufmodell endlich in Schwung kommt, sind mögliche Altlasten vor dem Einbau in den Gebäudebestand fernzuhalten.

Anmerkungen
1 Bundesamt für Umwelt (Bafu), Bauabfälle Hochbau in der Schweiz; Schlussbericht, 2008
2 Bundesamt für Strassen (Astra), Entscheidungsgrundlagen und Empfehlungen für ein nachhaltiges Baustoffmanagement, Forschungsprojekt Astra 2005/004, 2014
3 Amt für Hochbauten AHB Stadt Zürich, Urban-Mining-Potenzial in der Stadt Zürich, Zwischenbericht, 2014


Verbrennen von Altholz ist ökologisch vertretbar

Interview mit Peter Hofer, ehemaliger Präsident Holzfachverband Lignum, Verwaltungsrat mehrerer Firmen in der thermischen Holzverwertung.

TEC21: Warum wird Altholz in der Schweiz verbrannt und nicht stofflich verwertet?
Peter Hofer: Stofflich lässt sich Altholz vor allem in der Spanplattenindustrie verwerten. Bis heute ist in der Schweiz aufgrund hoher Qualitätsansprüche eine Zurückhaltung feststellbar. Dagegen findet diese Verwertungsvariante vorwiegend im Ausland statt, vor allem in Italien. Gewisse Bauteile aus Altbauten werden zwar in neuen Chalets wiederverwendet; mengenmässig fällt das aber kaum ins Gewicht. Die Alternative zur stofflichen Verwertung ist die energetische Nutzung. Der Energieinhalt von Altholz kann dabei sinnvoll genutzt werden. 

Was passiert mit den Schadstoffen, die in vielen Holzwerkstoffen und -bauteilen stecken?
Nicht alles Altholz enthält Schadstoffe. Das Sortieren der schadstofffreien Hölzer ist aber meist aufwendig. Wird Altholz als Sekundärrohstoff für Holzwerkstoffe verwendet, verbreiten sich allerdings die Schadstoffe. Das ist umwelttechnisch nicht erwünscht. Die thermische Entsorgungsvariante erlaubt dagegen einen kontrollierten Umgang mit der Filterasche. Stark kontaminierte Althölzer müssen sogar in Kehrichtverbrennungsanlagen oder in Feuerungen mit weitergehender Rauchgasreinigung verbrannt werden.

Und was passiert mit dem exportierten Altholz?
Es gibt zwei etwa gleich grosse Altholzströme ins Ausland. In Italien wird Altholz in der Spanplattenindustrie vorwiegend stofflich wieder verwendet; nach Deutschland gelangt Altholz zur energetischen Verwendung.

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