Wie viel En­er­gie be­nö­tigt die Ver­dich­tungs­for­mel?

Der Erhalt von Bausubstanz verdient stärkere Beachtung, weil damit graue Energie eingespart wird. Eine Studie der Empa und zweier Architektur- und Städtebaubüros hat die nachhaltigen Effekte einer Siedlungsverdichtung untersucht.

Publikationsdatum
19-04-2022

Rund 8.7 Millionen Menschen leben heute in der Schweiz, jedes Jahr kommt rund ein Prozent dazu. Aktuell braucht jede Einwohnerin und jeder Einwohner 46 m2 Wohnfläche. Der Bedarf wächst allerdings überproportional: Nicht nur nimmt die Anzahl Menschen zu, sondern diese beanspruchen auch immer grössere Wohnflächen. Dies gilt vor allem für Neubauten. Auch hierzu die neueste Zahl: 2019 entstanden in der Schweiz gut 11'000 Wohnbauten. Gebaut wird in Einfamilienhausquartieren und bestehenden Siedlungszonen. Die bauliche Verdichtung erfolgt durch den Zubau von neuen Häusern ebenso wie durch Aus- und Umbauten im Bestand.

Quartiere nachhaltig verdichten

Wichtige Ziele beim Bauen sind, möglichst wenig Energie und Material zu konsumieren und eine höhere Baudichte möglichst nachhaltig zu realisieren. Wie das gelingen kann, haben Forschende aus dem ETH-Bereich gemeinsam mit zwei Architektur- und Städtebaubüros untersucht. Das Forschungsteam konzentrierte sich auf Mehrfamilienhäuser und Quartiere aus der Nachkriegsperiode. Von 1946 bis 1980 entstanden gut 30 % des heutigen Gebäudeparks.

Dieser Fokus hat einen doppelten Grund: Bei vielen Quartieren aus dieser Zeitspanne steht eine grundlegende Sanierung an, «mit der ein grosses Einsparpotenzial an Energie einhergeht», ergänzt Michael Wagner, Mitinhaber von Wagner Vanzella Architekten. In der Nachkriegszeit entstanden vor allem Grosswohnsiedlungen, die bis heute nur wenigen Eigentümerinnen und Eigentümern gehören. Liessen sich diese für eine nachhaltige Sanierung und Verdichtung gewinnen, hätte das auf den Ressourcenverbrauch einen grossen Effekt, so Wagner.

Wohnraum für bis zu 1.4 Millionen Menschen

Das Forschungsteam, dem auch KCAP und die Empa angehören, wählte Untersuchungsgebiete – Mehrfamilienhausquartiere mit Baujahr zwischen 1946 und 1980 mit jeweils 150 bis 200 Bewohnerinnen und Bewohnern – in der ganzen Schweiz anhand von Geoinformationsdaten aus. Eine Abschätzung, wie viel Wohnraum eine Verdichtung in diesen Quartieren schaffen könnte, ergab folgende Prognose: Wenn nur schon die heutigen Baureserven mit den geltenden Ausnützungsziffern bis maximal 2 ausgeschöpft würden, fänden zusätzlich 700 000 Menschen darin Platz.

Der zusätzliche Wohnraum würde sogar verdoppelt, wenn sich die Verdichtungsstrategie auf Ausnützungsziffern von 2 bis 3 konzentriert. «Mehr als die Hälfte dieses Potenzials liegt in zentralen oder zentrumsnahen Lagen mit guter Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr, die nach unserer Empfehlung für eine nachhaltige Verdichtung prioritär betrachtet werden sollten», schreiben die Autorinnen und Autoren im Schlussbericht des vom Bundesamt für Energie finanzierten Projekts. Ein wichtiges Planungsinstrument wäre dafür der Sondernutzungsplan, der eine höhere Ausnützung als nach kommunalem Baurecht erlaubt.

Graue Energie fällt ins Gewicht

Wie aber lässt sich diese Verdichtung nachhaltig gestalten? Dafür schätzten die Forschenden die Konsequenzen der unterschiedlichen Verdichtungsstrategien auf den Energieverbrauch ab. Sie betrachteten zum einen den Energieverbrauch für Heizen und Kühlen, zum anderen die graue Energie, die für die Erstellung der Wohnbauten inklusive Herstellung von Baumaterialien und die Bau- bzw. Sanierungsarbeiten aufgewendet werden muss. Anhand von Simulationen liessen sich die Ergebnisse aus Beispielquartieren für die gesamte Schweiz hochrechnen.

Das Resultat überrascht insofern, als dass der Pro-Kopf-Energieverbrauch von den untersuchten Verdichtungsstrategien nicht massgeblich beeinflusst wird. Gemäss Sven Eggimann von der Empa zeigt der Vergleich von verschiedenen Verdichtungsstrategien Folgendes: «Ein höherer Verbrauch der Betriebsenergie von sanierten Bestandsbauten steht der grauen Energie von Neubauten gegenüber.» Der grösste Hebel zur Verminderung des Energieverbrauchs liege deshalb nicht bei der Wahl der Verdichtungsstrategie, sondern bei der durchschnittlich beanspruchten Wohnfläche. «Die öffentliche Debatte sollte stärker darauf fokussieren, wie wir den Trend des steigenden Wohnraumbedarfs pro Kopf stoppen können», so Eggimann.

Tatsächlich sind erste Anzeichen eines Umdenkens bereits festzustellen: Im Gegensatz zu den Nullerjahren hat sich das spezifische Wachstum der Wohnfläche pro Person abgeschwächt. In Städten wie Basel und Genf geht der Wert sogar leicht zurück. So werden Genossenschaftswohnungen mittlerweile wieder kleiner gebaut.

Nachhaltige Baustoffe einsetzen

Nebst der sozialen Verdichtung spielt die Wahl von Materialien für Sanierung oder Neubau eine wichtige Rolle für das nachhaltige Ergebnis. Die Herstellung von Zement benötigt bekanntermassen viel Energie und verursacht erhebliche CO2-Emissionen. Die Forschenden wollten deshalb wissen, was ein Einsatz alternativer Baustoffe und Konstruktionen im Zuge einer Quartierverdichtung im Energiesektor bewirkt. Sie berechneten für Beispielquartiere, dass sich der Ausstoss von Treibhausgasen über den Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg um 6 bis 7 % senken lässt, wenn alle Neubauten mit Holz statt mit Beton ausgeführt werden. Im Schlussbericht wird die Wahl des Baumaterials als Einflussfaktor jedoch relativiert: Der Energieverbrauch und die Emissionen würden in der Gesamtschau einer nachhaltigen Verdichtung nur «relativ gering» gesenkt.

Das Projekt «Städtische Verdichtung und ihre Auswirkungen auf den Energieverbrauch von Schweizer Städten» dauerte zwei Jahre. Daran beteiligt waren das Urban Energy Systems Laboratory der Empa in Dübendorf sowie KCAP Architects & Planners Zürich und Wagner Vanzella Architekten Zürich.

 

Der Schlussbericht ist hier abrufbar.

 

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