Wand­lungs­fä­hi­ge Häu­ser

Systemtrennung und Nutzungsflexibilität

Systemtrennung konsequent umgesetzt: Damit ­hochtechnisierte und funktionale Gebäude flexibel nutzbar sind, braucht es offene Strukturen und schnell anpassbare Installationskonzepte. Ein aktueller Einblick in die Planung zweier Forschungsbauten in Bern und Zürich.

Publikationsdatum
20-10-2016
Revision
21-10-2016

Internationale Rankings führen hiesige Hochschulen und Universitäten häufig weit oben. Studien- und Forschungsplätze in Basel, Bern, Genf, Lausanne, St. Gallen oder Zürich sind darum begehrt. Das aber kommt nicht von selbst: Bund und Kantone stellen beträchtliche finanzielle Mittel für die Bildung im tertiären Bereich bereit. Vor zwei Jahren betrugen die öffentlichen Ausgaben dafür 12 Milliarden Franken; knapp ein Fünftel floss in zusätzliche Infrastruktur. Mit dem Geld werden vorab neue Instituts-, Labor- oder ähnliche Forschungsgebäude erstellt. Damit sich diese Investitionen schnell auszahlen, werden die hochkomplexen Neubauten auf eine möglichst flexible Nutzung ausgelegt. Gebäude, deren Innenleben nach der Schlüsselübergabe wandlungsfähig bleiben, bieten bestmögliche Voraussetzungen dafür. 

Auf sich ändernde Betriebsanforderungen ausgerichtet ist beispielsweise das Laborgebäude 5. Etappe, mit dem der Unistandort Irchel in Zürich (UZH) aktuell erweitert wird. Das Institut für Chemie wird ab 2019 die beiden sechsgeschossigen Gebäudetrakte beziehen. Auch die Universität in Bern baut aus: Unweit des Inselspitals entsteht in den nächsten zwei Jahren ein Neubau für die Rechtsmedizin und die Klinische Forschung. Das Gebäude mitten in der Stadt wird eine Geschossfläche von 24 000 m2 aufweisen, die sich auf fünf Unter- und sieben Obergeschosse verteilt. 

Einfaches Skelett, lineare Lastabtragung

Unverwechselbar ist das jeweilige Fassadenbild: Während das Forschungsgebäude der Uni Bern (Architektur: Schneider & Schneider Aarau) einen klassischen Fenster­raster präsentiert, kennzeichnen umlaufende, vertikal mit Scheiben gefächerte Balkonschichten den Erweiterungskomplex im Zürcher Irchelpark (Architektur: Weber Hofer Partner Zürich). Beiden Hochbauten gemeinsam ist dennoch der vorbildliche Umgang mit dem Systemtrennungsprinzip. Ein konventionelles Betonskelett leitet die Lasten linear nach unten, und möglichst weite Stützachsen erlauben den modularen Ausbau der Geschossflächen.

Sowohl in Bern als auch in Zürich sind funktionale Gebäude bestellt, die im Endausbau hochtechnisiert eingerichtet werden sollen und deren Entwürfe sich bereits in den strukturellen Grundzügen ähnlich sind. Veränderbare Raumeinheiten und Installationskonzepte bilden die Haupt­elemente, damit die Wandel- und Anpassbarkeit der teuren Infrastruktur gewährleistet werden kann. 

Charakteristisch für die Wissenschaft sind dynamische Arbeitsweisen und sich schnell ändernde Technologien. Doch welche hochsensiblen Geräte dereinst benötigt werden, wie die ausgeklügelten Speziallabore in wenigen Jahren auszusehen haben oder mit wie vielen Forschern ein findiges Team zu besetzen ist, lässt sich im Voraus kaum abschätzen. Im Wettbewerbs­programm beider Forschungsgebäude wurde aber ein flexibles, einfach anpassbares Nutzungskonzept definiert. Die konstruktiven Antworten in beiden Projekten, die nun im Stadium der Ausführung stehen, wirken eher unspektakulär und beinahe reversibel: schlanke Konstruktionen und einfache Tragstrukturen, die auf allen Geschossen eine offene Raumorganisation erlauben.

Modulare Einbauten

Die Laborräume sind asymmetrisch auf zwei Bünde entlang der Längsachse konzentriert und mit wenigen Stützen versehen. Davon sind die Erschliessungszonen mit nicht tragenden Leichtbau- respektive Glaswänden abgetrennt. Und damit wechselnde Arbeitskonstella­tionen und variable Nutzungszyklen ohne Grossumbau effektiv ermöglicht werden, braucht es modulare Einbausysteme. Mit diesen darf sich die Gebäudestruktur nur spärlich und einfach trennbar verbinden.

Gut ablesbar ist das am zweiteiligen Zürcher Laborgebäude, dessen Schenkel 60 m lang und 25 m breit sind: Ein Stützenraster (7.6 m × 7.2 m) hält die Nutzfläche frei von tragenden Wänden, damit die Laboreinheiten, als eigenes Baukastensystem, wandelbar und nach Bedarf einteilbar sind. Einzig der Mittelkorridor, eine durchgehende Erschliessungszone, wird seitlich partiell mit stützenden Elementen abgegrenzt: Insgesamt acht massive Steigschächte ziehen sich über die ganze Traktlänge verteilt von den Untergeschossen nach oben. Darin sind die Medienversorgung und Gebäudetechnik inklusive Reserve untergebracht.

Jeder der acht Schächte bündelt bis zu zehn verschiedene Kanal- und Rohranschlüsse, von wo aus jede Laborachse ihren ­Bedarf an Stickstoff, Kühlwasser oder anderweitigen Medien beziehen respektive diverse, teilweise hoch­giftige Abfall- und Abwasserkategorien loswerden kann. Die horizontale Verteilung erfolgt über eigens entwickelte, abgehängte Deckenelemente. Auch die Installationen für Heizen und Kühlen sind im UZH-Laborgebäude konsequent von der Trag­struktur auseinanderzuhalten. Weder Heizungsschlaufen noch andere thermisch aktive Einbauten dürfen in die Deckenplatten eingelegt werden; Letztere sind aus statischen Gründen bis zu 40 cm mächtig ausgelegt. 

Nicht nur hochtechnisierte Bauten

Die Wandlungsfähigkeit des Neubaus im Campus Irchel wurde vom Institut für Chemie spezifisch gewünscht. Die wissenschaftliche Forschung in Bern funktioniert vergleichbar; allerdings ist die Umsetzung der «Systemtrennung» eine selbstverständliche Bauvorgabe, sobald das kantonale Amt für Grundstücke und Gebäude (AGG) als Bauherrschaft auftritt. Nicht nur hochtechnisierte Forschungs- oder Spitalbauten sind auf flexible Bau- und Installationskonzepte zu trimmen, sondern auch alle anderen öffentlichen Gebäude, vom Verwaltungssitz über das Gymnasium bis zur Polizeiwache.

In jedem Wettbewerbsprogramm des Kantons Bern wird auf die dazugehörige Richtlinie verwiesen (vgl. TEC21 26–27/2015); jede Entwurfseingabe wird dahingehend vorgeprüft. Und hat die Jury ihr Urteil gefällt, werden die siegreichen Planungsteams gemeinsam in «Systemtrennung» geschult. Damit ist die Absicht verbunden, den Gebrauchswert der realisierten öffentlichen Bauten zu erhöhen und den Projektverfassern dafür die interdisziplinäre Arbeitsweise näherzubringen. Ein Gebäude, dessen Struktur auf veränder-, erweiter- und trennbaren Systemen beruht, ist in Bern zudem zentraler Bestandteil der nachhaltigen Immobilienstrategie.

So sind für neue Gebäudeentwürfe jeweils die Mindestmasse für Nutzlast und Raumhöhe festgesetzt, damit eine spätere Umnutzung respektive Aufstockung möglich wird. Bisweilen sind in Wettbewerbseingaben sogar mehrere Nutzungsvarianten darzustellen. Die Richt­linie im Kanton Bern versteht die Systemtrennung ebenso als übergeordnetes Entwicklungs- und Entwurfskonzept wie auch als praxisnahes Konstruktionsprinzip. Die Bewährungsprobe stellt sich jedoch erst, wenn die Gebäudelebensdauer abgelaufen ist. Trotzdem profitieren Immobilien des Kantons Bern jetzt schon von der integrierten Flexibilität: Das Innenleben neuerer Universitäts- und Spitalbauten wurde mehrfach verändert; die Baustruktur selbst blieb unangetastet. 

Vorleistungen mit Mehrkosten

Ein weiterer Erfahrungswert aus bereits erstellten, ­flexiblen Bauten ist: Die Systemtrennung vereinfacht zwar die Gebäudestruktur, doch statische und räumliche Reserveleistungen sind kostenrelevant. Tatsächlich hat der Kanton Bern seine Vorgaben optimiert: Als Raumhöhe werden 3.6 m und nicht mehr 4 m verlangt. Gleichzeitig wurde die minimale Nutzlast von 5 kN/m2 auf 3 kN/m2 reduziert. Interne Berechnungen ergaben, dass teilweise über 10 % der Investitions- und Unterhaltskosten eingespart werden können, ohne die Nutzungsflexibilität grundsätzlich infrage zu stellen.

Trotz möglichem Mehraufwand haben auch gewerbliche und institutionelle Investoren die Vorteile der Systemtrennung erkannt. Frei zugängliche Haustechnikschächte, abgehängte Deckenelemente oder Hohlböden sind in vielen Neubauten selbstverständlich. Und im Holzbau werden aufgrund des hohen Vorfertigungsgrads daraus innovative Konstruktionselemente entwickelt und separierbare In­stallationskonzepte penibel umgesetzt. 

Überraschenderweise sind nun sogar die Räume im Untergrund flexibel strukturiert. Der Pharmakonzern Hoffmann-La Roche erweitert derzeit sein Firmengelände in Kaiseraugst mit Verwaltungsbauten, Auditorium und Eingangsbereich mit Park (Architektur: Nissen & Wentzlaff Architekten Basel). Das Besondere ist die zweigeschossige Tiefgarage darunter: Ein unüblich weiter Stützenraster von 15.6 m × 15.6 m stimmt die Formate der Parkfelder flexibel auf unterschiedliche Autogrössen und auf die ungewisse Zukunft der Mobilität ab. Sollten dereinst kompakte Elektromobile die gross­spurigen SUVs verdrängen, bleibt die Fläche im Roche-Untergrund effizient nutzbar (vgl. Grafik).

Auf längere Sicht wird sogar eine autofreie ­Nutzung erwogen; die Tiefgarage ist ohne grossen ­Mehraufwand in Lagerhallen verwandelbar. Im Gegenzug kostet das Bauwerk etwa 7 % mehr als mit konventionellem Stützenraster von 8 m. Und die Deckenplatten wurden mit 80 cm mächtigen Unterzugachsen statisch verstärkt; die dazwischen liegenden Felder sind mit einem Hohlkörpersystem optimiert. Passend zum ­flexibel nutzbaren Raumkonzept wird – auch hier – die Gebäude- und Sensortechnik nicht in die Stahl­betonstruktur eingelegt, sondern an aufgehängten Kabel­trassen durch die Parkhallen geführt.

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Baudirektion Kanton Zürich

Generalplanung/ Architektur
Weber Hofer Partner AG

Gebäudetechnik
Hochstrasser Glaus & Partner Consulting AG

Elektroplanung
Gode AG

Statik
Flückiger + Bosshard AG

Nutzerin
Universität Zürich

Koordination Gebäudetechnik
Schudel + Schudel


«Flexible Gebäude sind Gold wert»
 

Paul Knüsel spricht mit Bruno Rankwiler, dem Leiter der Fachstelle Nachhaltig Bauen und Bewirtschaften beim Amt für Grundstücke und Gebäude (AGG), Kanton Bern.
 

TEC21: Herr Rankwiler, der Kanton Bern fördert die Systemtrennung bei Gebäuden mit einer Richtlinie. Was wird damit bezweckt?
Bruno Rankwiler: Die Systemtrennung ist für uns ein ökonomisch und ökologisch relevanter Bestandteil des nachhaltigen Bauens. Damit werden strukturelle und funktionale Schnittstellen zwischen den unterschiedlich langlebigen Schichten oder Systemen eines Gebäudes einfach trennbar aus­einandergehalten. Dies sichert den ­Gebrauchswert und die Anpassungsfähigkeit von Immobilien über deren Lebensdauer.
 

TEC21: Sie beachten aber dafür nicht nur konstruktive Aspekte wie die Trennbarkeit von einzelnen Bauteilen?
Bruno Rankwiler: Genau. Die Systemtrennung beginnt bereits bei der Immobilienentwicklung. Mit der AGG-Richtlinie sollen künftige Nutzungsänderungen und Erweiterungsvarianten thematisiert werden. Wir setzen Dimensionierungskennwerte bei Geschosshöhe, Raum­freiheit und Nutzlasten fest, damit ein neues Gebäude bei Bedarf möglichst mit geringem Zusatzaufwand angepasst werden kann. Die Systemtrennung ist deshalb nicht nur eine baulich umsetzbare Aufgabe, sondern mit viel gedanklicher Arbeit verbunden. Eine Analogie dazu sind unsere hundertjährigen Verwaltungs- und Schulbauten: Sie haben hohe Räume und sind deshalb einfach umnutzbar. Derart flexible Immobilien sind Gold wert.
 

TEC21: Wie gehen die Architekten damit um? Und wo können beim Entwerfen neuer Gebäude Konflikte entstehen?
Bruno Rankwiler: Ich denke, die Architekten verstehen unser Anliegen sehr gut. Die Systemtrennung fördert eine strukturelle Klarheit und schlanke Strukturen mit einem einfachen Prinzip in der Lastabtragung und beispielsweise möglichst wenigen tragenden Wänden. Dies steht in Wechselwirkung mit der Gebäudeform; doch Widersprüche sind selten. Weniger kompatibel sind etwa auskragende Decken oder versteckte Haustechnik in repräsentativen Zonen, wobei der mögliche Verhandlungsspielraum projektspezifisch festgelegt wird. In einem aktuellen Wettbewerb für ein Bildungszentrum haben wir aus Denkmalschutzgründen auf die Möglichkeit einer späteren Aufstockung verzichtet.
 

TEC21: Die Flexibilitätsvorgaben wurden im Vergleich zu den anfänglichen Ideen inzwischen angepasst. Warum?
Bruno Rankwiler: Wir haben aus der Vergangenheit gelernt. Zum einen beweisen bereits erstellte Gebäude, wie flexibel die Räume umnutzbar und die hochkomplexen technischen Einrichtungen veränderbar sind. Zum anderen haben wir gesehen, dass eine Raumhöhe von 3.6 m für einen sehr grossen Anteil an möglichen Nutzungen ausreichend ist. Gebäude mit Raumhöhen von 4 m und mehr erscheinen uns im Grenzbereich des wirtschaftlich Sinnvollen. Nach internen Abklärungen und Berech­nungen haben wir darum die Vorgaben optimiert. Das wirkt sich auf jeden Fall auf die Bau- und Betriebskosten aus, ohne dass der Flexibilitätsgrad darunter leidet.

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