«Vom Gro­ben ins Fei­ne»

Fragen und Antworten zu BIM

Wie sinnvoll ist BIM für Wettbewerbe? Geht die Optimierung der Verwaltung auf Kosten der Innovation? Unsere kritischen Fragen hat der Präsident der Kommission SIA 2051 BIM schriftlich beantwortet.

Publikationsdatum
15-10-2015
Revision
15-11-2015

TEC21: Herr Huber, gibt es Defizite in den aktuellen Planungs- und Bauprozessen, die man mit einer neuen Methode (BIM) beheben muss?
Manfred Huber: Die Planungs- und Bau­prozesse, wie sie im Modell Bauplanung SIA 112 beschrieben sind, haben sich aus einer langen ­Tradition entwickelt und sind bewährt. Die neuen digitalen Planungs- und Baumethoden helfen aber, diese bewährten Prozesse zu stützen und weiterzuentwickeln – gerade weil im Kern der Methode das Bauwerksmodell und die interdiszi­plinäre Zusammen­arbeit stehen.  

TEC21: Vor welchem Hintergrund hat der SIA das Merkblatt SIA 2051 BIM erarbeitet? Warum ist ein spezifisches Merkblatt für die Schweiz notwendig?
Huber: Die digitalen Planungs- und Bau­methoden haben sich in den vergangenen Jahren rasch entwickelt und haben auch in der Schweiz Einzug gehalten. Kaum ein grösserer Baugrubenaushub findet zum Beispiel heute ohne die GPS-Daten statt, die der Bauingenieur dem Tiefbauer respektive dem Baggerführer zur Verfügung stellt. Skandinavien, Grossbritannien, die USA und zahlreiche weitere Länder wenden diese digitalen Methoden nun schon seit mehreren Jahren an und zeigen auch deren grosses Potenzial auf. Schweizer Architekten und Planer, aber auch Bauherrschaften, wurden auf diese Methode aufmerksam und haben begonnen, sie ebenfalls anzuwenden. Der Bedarf an Verständigung ist augenscheinlich geworden. Die Schweiz könnte nun beginnen, BIM-Leitfäden aus dem Ausland eins zu eins zu übernehmen und anzuwenden. Das Planen und Bauen ist aber immer noch sehr stark von der lokalen Kultur geprägt. Eine Übernahme von bestehenden BIM-Leitfäden ist daher nicht zielführend. Dennoch können wir offensichtlich von den Erfahrungen anderer Länder lernen, indem wir schauen, was sich bewährt hat und was weniger. Es gilt dabei, die BIM-Methode auf die schweizerischen Verhältnisse zu adaptieren. Das Merkblatt SIA 2051 wird dies leisten und zur Verständigung der BIM-Methode in der Schweiz beitragen. 

TEC21: BIM verspricht Vorteile in den höheren Leistungsphasen, der Ausführungsplanung – und vor allem im Facility Management. So beeinflusst die Methode BIM, von einem späten Zeitpunkt der Planung aus gedacht, auch die entscheidenden ersten Planungsphasen: Konzep­tion und Entwurf. Hier stellen sich die meisten Fragen, zum Beispiel wie am Entwurf gearbeitet wird, wie flexibel eine Planung mit BIM ist und ob sich der Aufwand erhöht. Sollte man in der Strukturierung und Optimierung der Planungsprozesse nicht «von vorn nach hinten» denken? Ein Gebäude fängt doch beim Entwurf an?
Huber: Die Methode BIM zwingt uns Architekten und Planer gerade, wieder vom Groben ins Feine zu denken – etwas, das mit dem Übergang vom Tuschstift zum CAD verloren ging. Wie beim Planungsprozess üblich, sollten wir uns zuerst über das zu erreichende Ziel im Klaren sein, dann über die dafür nötigen Inhalte sprechen und am Schluss uns noch Gedanken machen, wie wir die Zielerreichung überprüfen können. Dies sollte selbstverständlich entlang der uns bekannten Phasen des Planungs- und Bauprozesses erfolgen. Wir müssen uns wieder vermehrt darauf konzentrieren, phasen- und adressatengerecht zu arbeiten. Gerade für die BIM-Methode ist das zwingend. Trial and Error, das klassische Prinzip des Entwerfens und Verwerfens, lässt sich sehr gut mit der BIM-Methode anwenden. Ziele formulieren, die richtigen Inhalte beigeben, prüfen und dann entscheiden – aber bitte phasen- und adressatengerecht. Es sind pro Planungsphase nur die Informationen ins Modell einzufügen, die für die Beantwortung entwurflicher Fragen hilfreich sind. Es gilt, dabei das Prinzip «so viel als nötig, aber so wenig als möglich» zu beachten. Richtig angewandt, ergänzt BIM die uns bekannten Entwurfswerkzeuge und stärkt damit den klassischen architektonischen und ingeniösen Entwurf. 

TEC21: Der Entwurf eines Gebäudes ist ein Prozess. Vor allem beim Wettbewerbsentwurf bewegt man sich, oft gleichzeitig, auf unterschiedlichen Massstabsebenen, vom Städtebau bis ins Gebäudedetail. In der konzeptionellen Phase haben sich dabei sehr unterschiedliche Werkzeuge bewährt. Wie sinnhaft ist BIM für Wettbewerbe? 
Huber: Die Anwendung einer Methode darf nie Selbstzweck sein. Dies gilt gerade auch bei der Anwendung von BIM im Wettbewerbswesen. Auslober, aber auch Teilnehmer von Wettbewerben müssen sich im Klaren sein, was sie mit der Anwendung der BIM-Methode erreichen möchten. Es gilt auch hier, zuerst über das Ziel zu sprechen und dann über die Inhalte. Ist es das Ziel, Kenngrössen wie zum Beispiel «Hauptnutzfläche zu Geschossfläche» zu erhalten, oder die architektonische Wirkung zusätzlich im digitalen Modell zu prüfen, so ist BIM ein starkes Werkzeug, um den Entwurfsprozess zu unterstützen. Dies geschieht in der Phase Wettbewerb sinnvollerweise meist über reine Raummodelle, die nur die Informationen enthalten, die dafür wirklich nötig sind. Von BIM-Modellen, die unzählige, nicht phasengerechte Informationen enthalten, ist aber dringend abzuraten. BIM basiert auf dem Gedanken des Optimums und nicht des Maximums.

TEC21: BIM geht von einer progressiven Vertiefung der Detaillierung aus (LOD 100 bis 500). Der architektonische Entwurf springt jedoch häufig vom Detail zum Gebäudevolumen und zurück. Wie wird der LOD innerhalb des Projekts koordiniert und von wem?
Huber: Die progressive Vertiefung der Detaillierung von grob zu fein ist ein bekanntes Prinzip aus dem Entwurf. Selbstverständlich gibt es eine Wechselwirkung von grob zu fein und umgekehrt. Die LOD sind nicht in Stein gemeisselt. Sie sind projektspezifisch zu vereinbaren und können sich innerhalb der jeweiligen Planungsphase zwischen den Disziplinen auch unterscheiden. Auch hier steht im Vordergrund, zu welchem Ziel die BIM-Methode eingesetzt wird. Zu Beginn eines Planungsprozesses verständigen sich die beteiligten Planer zusammen mit der Bauherrschaft über die Ziele und die dafür nötigen Inhalte und Informationstiefen – und zwar bezogen auf die jeweilige Phase. Im Hochbau ist es naheliegend, dass dies unter der Leitung des ­Architekten geschieht, der auch üblicherweise die Funktion eines Gesamtleiters innehat. Voraussetzung dafür ist, dass er die nötigen Kenntnisse bezüglich eines BIM-Prozesses hat. Das Merkblatt SIA 2051 BIM und die dazu parallel erscheinende Dokumentation kann ihm dabei als Hilfestellung dienen. Fehlen die nötigen Kenntnisse, so muss der Verantwortliche bezüglich des BIM-Wissens Verstärkung holen.

TEC21: Die Schnittstellen mit den Fachplanern werden ins digitale Modell ausgelagert. Häufig entstehen innovative Lösungen jedoch an den Fachplanersitzungen, wenn alle an einem Tisch sitzen und miteinander diskutieren. Droht diese Kultur – die in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern ausgesprochen hoch ist – nicht zu verschwinden, wenn die Planer nur noch auf virtuelle Abstimmungen setzen? Geht die Optimierung der Verwaltung nicht auf Kosten der Innovation?
Huber: Schnittstellen können am digitalen Modell gelöst werden. Sie werden aber nicht durch das digitale Modell gelöst. Dies ist ein grosser Unterschied. Das Modell hilft, Schnittstellen zu erkennen, zu visualisieren und dar­über zu sprechen. Die Lösungen müssen in interdisziplinären Workshops gefunden werden. Dabei diskutieren die Beteiligten gemeinsam die anstehenden Herausforderungen und entwickeln innovative Lösungen, und zwar real von Angesicht zu Angesicht und nicht in einem virtuellen Raum. Das digitale Modell unterstützt aber die Diskussion erheblich, indem es die Fragen sichtbar macht. In der BIM-Fachwelt spricht man von ICE(Integrated Concurrent Engineering)-Sessions. Eine Form der Zusammenarbeit, die in der Schweiz hoch entwickelt ist und mit den digitalen Modellen eine zusätzliche Stärkung erhält.

TEC21: Es stellt sich auch die Frage, ob BIM für alle Bauvorhaben gleichermassen geeignet ist. Wäre es nicht sinnvoll, je nach Projekt und Rahmenbedingungen zu differenzieren, ob BIM für den spezifischen Fall die beste Methode ist – oder ob nicht ein anderer Weg praktikabler und daher vorzuziehen ist?
Huber: BIM als Methode, die digitale Bauwerksmodelle in einer interdisziplinären Zusammenarbeit nutzt, kann unabhängig von der jeweiligen Grösse und Objekt­art genutzt werden. Hingegen unterscheiden sich sehr wohl die Ziele der Anwendung der BIM-Methode von Projekt zu Projekt stark und damit auch der Umfang und die Tiefe der Informationen, die mit dem Modell verknüpft werden. Für einen einfachen Umbau eines Einfamilienhauses ist die Art und der Umfang der Informationen ganz anders gelagert als bei einem Spitalneubau, bei dem sogar in der Phase Bewirtschaftung das Facility Management an das digitale Gebäudemodell angeknüpft wird.


Was ist BIM?

Grundsätzlich versteht man unter BIM das digitale Planen, Bauen und Betreiben. Lösungen aus der Informa­tionstechnologie ermöglichen heute die Verknüpfung der uns bekannten Vektorgeometrie mit zusätzlichen Informationen. Ein Punkt, ein Strich, eine Ebene oder ein Raum zeichnen sich dabei nicht nur durch ihre Geometrie aus, sondern besitzen zusätzliche Eigenschaften, Beziehungen und Rollen. BIM wird dabei nicht als Technik, sondern als Planungsmethode verstanden, die die Erzeugung und Verwaltung von digitalen Darstellungen von Bauwerken mitsamt ihren Eigenschaften beinhaltet. Die digitalen Bauwerksmodelle sind Informationsdatenbanken rund um das Bauwerk. BIM ist eine methodische Weiterentwicklung etablierter Planungs- und Bauprozesse, bei der im Kern das koordinierte und strukturierte digitale Gebäudemodell steht. Das Gebäudemodell wird dabei interdisziplinär erarbeitet, weiterentwickelt und bewirtschaftet. 

SIA 2051 BIM

Der SIA hat an der Delegiertenversammlung im Frühling 2015 den Planungs- und Bauprozess als Schwerpunktthema definiert. Momentan wird ein Leitbild «Planungs- und Bauprozess» ausgearbeitet, das die Position des SIA dazu erläutert. Das Leitbild wird auch Aussagen zu den neuen digitalen Planungs-und Bauprozessen machen. Eingebettet in das neue Schwerpunktthema wird momentan das Merkblatt SIA 2051 BIM erarbeitet. Es dient der Verständigung und beschreibt den Stand der Technik bei der Anwendung der BIM-Methode. Das Merkblatt wird in der ersten Jahreshälfte 2016 in Vernehmlassung gehen. Parallel zum Merkblatt wird eine SIA-Dokumentation erarbeitet, die mit Beispielen die Anwendung der BIM-Methode zusätzlich erläutert.

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