Ur­ba­ne Dich­te

Der zunehmend begrenzte Siedlungsraum der Schweiz legt eine Verdichtung nach innen nahe. Ökonomisch und ökologisch macht dies Sinn. Wie Verdichtung, energetische Sanierung, Erhalt bezahlbaren Wohnraums und Rendite der Investoren unter einen Hut zu bringen sind – diesen Fragen ist die Immobilien-Konferenz 2013 vom 6. Juni am Institut für Finanzdienstleistung der Hochschule Luzern nachgegangen.

Publikationsdatum
12-06-2013
Revision
01-09-2015

«Die Stadt ist zu einem zentralen Thema unserer Zeit geworden. Die neuen Herausforderungen wie Klimawandel, Wirtschaftswachstum oder soziale Gerechtigkeit sind inhärent urbane Themen.» Mit diesem Satz umriss Carl Fingerhuth, ehemaliger Kantonsbaumeister von Basel-Stadt, den Hintergrund des Tagungsthemas treffend. Wie muss sich die Stadt entwickeln, wie gestaltet sein, damit sie den Menschen zur Heimat wird und als sozialer, ökonomischer und kultureller Ort funktionsfähig und attraktiv bleibt? Die Moderne habe diese Aufgabe in erster Linie als eine technische Aufgabe gesehen, so Fingerhuth. Unsere Zeit brauche jedoch eine neue Baukultur.1

Dichte schafft Raum

Urbane Dichte ist räumliche Dichte und Dichte der Interaktion. Gemäss Jörg Stollmann (TU Berlin) muss die Vorstellung von sozialem und kulturellem urbanem Leben eines Quartiers über die unmittelbare Gewinnschöpfung hinausgehen. Von einer sozialen Unternehmenskultur profitieren langfristig sowohl der Markt wie auch die Stadt. Stollmann definiert Urbanität als Kultur der Auseinandersetzung, der Mischung von Funktionen und Potenzial zur sozialen und ökonomischen Integration. Räumliche Dichte schafft Raum für Begegnung, Handel und Gewerbe. Er illustrierte diese Aussagen mit eindrücklichen Bildern aus São Paulo und Addis Abeba.

Ralf Kunz (Metron Architektur, Brugg) unterscheidet zwischen «Halbwüchsigen Siedlungsräumen», zwischen den «Wechseljahren», also der Agglomeration im Umbruch oder der Entwicklung vom Dorf zur Stadt, und er nennt die gefragte Urbanität «Gereifte städtische Lebensräume». Die innere Verdichtung sei als Rezept gegen die ausufernden Agglomerationen zu sehen. Letztere erzeugen hohe infrastrukturelle Folgekosten und beanspruchen zunehmend die offene Landschaft. Dies stellte Matthias Thoma (Ernst Basler & Partner) fest. Verdichtungsprozesse können dabei im Widerspruch zu anderen Anliegen der Stadt- und Gemeindeentwicklung stehen. Deshalb hat diese innere Verdichtung bei Planern Freunde und Feinde.

Bewahren, entwickeln oder neu orientieren 

Innenentwicklung vor Aussenentwicklung der Quartiere und Städte wird vielerorts in der Schweiz und im Ausland als künftige Stossrichtung betrachtet. Eine kompakte Besiedlung, eine positive Umweltbilanz und auch neue Steuereinnahmen überzeugen Städte und Gemeinden. Skeptiker plädieren jedoch für eine weniger dichte Besiedlung, verteidigen Eigentumsinteressen und ein ländlich geprägtes Idealbild.

Aber auch Kreise der Bevölkerung, Politik und Planer hinterfragen die innere Verdichtung. Zürich zum Beispiel kennt beides: umnutzen und dicht bebauen in vordem industriell genutzten Quartieren und Skepsis gegenüber Neuem in bevorzugten Quartieren wie etwa im Seefeld. München will nach eigenem Verständnis «kompakt-urban-grün» werden, Wien denkt über Siedlungserweiterungen nach, und in London stehen seit einigen Jahren Planungsregulierungen in der Kritik. Standorte, die sich um ihre langfristige Lebensqualität und Funktionsfähigkeit sorgen, tun gut daran, sich mit den Themen Bewahren, Weiterentwickeln  oder Neuorientieren auseinanderzusetzen. Dies gelte nicht nur für  Kernstädte, so Thoma, sondern auch für urbanisierte Agglomerationsgemeinden, in denen während der nächsten Jahre Verdichtungsprozesse an Bedeutung gewinnen dürften.

Umnutzen als Zwang und Wille zur Veränderung

In einem Workshop wurden die in Umnutzungen liegenden Potenziale thematisiert. Andreas Binkert (Nüesch Development) legte dar, dass die Anteile der Energiekosten (40%) und der Instandhaltung (40%) den Anteil an Entwicklung und Bau einer Liegenschaft (20%) bei weitem übertreffen. Energieeinsparungen zahlen sich demnach langfristig klar aus. Anstehende Sanierungen und Umbauten, verbunden mit Verdichtung, steigern den Gebrauchs- und Verkehrswert einer Liegenschaft.

Binkert sieht die Belegungsdichte, die gute Gestaltung und hohe Erlebnisdichte sowie Nutzugsvielfalt als unverzichtbare urbane Qualitäten. Er nannte als Beispiel das Projekt Transitlager im Dreispitzareal Basel, die Umnutzung eines grossen Industrieareals, für die eine rechtskräftige Baubewilligung besteht und die ab 2014 in Angriff genommen wird. Mit einer gemischten Nutzung für Wohnen, Arbeiten, Dienstleistung und Handel soll hier ein neues und attraktives Quartier entstehen. Ähnliches ist mit einem Gewerbehaus aus den 1950er-Jahren an der Eichstrasse in Zürich geschehen.

Wie bestehende und nun ungenutzte Bürobauten neu zu positionieren und zu nutzen sind, zeigte Bruno Bächi (H&B Real Estate, Zürich) anhand von konkreten Objekten. Bei einem Büroflächenangebot in der Stadt Zürich von 270.000m2 besteht eine Leerstandsquote von 4,4%. Die hohe Neubautätigkeit in Zürich Nord und West und teilweise in der Agglomeration führt zu freien Grossflächen aufgrund des Auszugs von Firmen. Diese wollen ihren Standort optimieren und auch Fixkosten senken. Die freien Flächen sind in Zürich während der letzten Jahre von 25.000m2 auf 90.000m2 gestiegen. Leer stehende oder unternutzte ältere Geschäftsliegenschaften können nun durch langfristig orientierte Investitionen neu zu modernen, attraktiven Bürohäusern, aufgestockt mit attraktiven Wohnungen, werden, betonte Bächi.

Gleichgewicht zwischen Veränderung und Kontinuität

Wichtiger als die Gestalt einzelner Gebäude ist nach Ansicht von Carl Fingerhuth die Kontinuität des öffentlichen Raumes und das Sichern ihrer Bedeutung. Werde diese Kontinuität vernachlässigt, so helfe auch das architektonische Niveau des einzelnen Baus nicht weiter. Gerade in der Schweiz seien bei einer Vielzahl von Prozessen städtebauliche Konzepte vor architektonische Projekte gestellt worden. So wird das Spezielle des Orts integriert und das Potenzial für Neues geöffnet.

Fingerhuth nannte das Sulzer-Areal in Winterthur als Beispiel und verwies auf ähnliche Situationen in Zürich, Bern, Basel und Lausanne. Respekt vor dem Vergangenen und der Geschichte eines Orts führt zur Integration der Geschichte einer Stadt in das Neue. Fingerhuth drückte dies so aus: «Neues darf und muss entstehen, das Neue darf aber nicht zum ‹Schädiger der Seele› einer Stadt werden.»

Anmerkung

  1. Carl Fingerhuth: «Bedürfnisse, Werte und Träume», in: NZZ vom 5.1.2013, S. 56

Verwandte Beiträge