«Un­se­re Ge­ne­ra­ti­on muss Ant­wor­ten ge­ben»

Klimaanpassung, Biodiversität, Verwaldung, knappe Freiräume: Die Landschaftsarchitektur steht vor grossen Herausforderungen. Daia Stutz, Partner im Büro S2L Landschaftsarchitekten, sieht die junge Generation in der Verantwortung. Es brauche ein neues Vokabular und neue Ansätze.

Publikationsdatum
26-09-2020
Caspar Schärer
Architekt, Publizist und Raumplaner; Generalsekretär BSA und Co-Kurator der Biennale svizzera del territorio (ehemals: Biennale i2a)

Herr Stutz, ist Landschaftsarchitektur per se nachhaltig? Sie ist ja zuständig für die Freiräume und damit das Wohlbefinden der Menschen. Sie sind immer auf der Seite der «Guten» – oder täusche ich mich da?

Selbstverständlich ist Landschaftsarchitektur nachhaltig, obwohl auch bei uns – zum Beispiel bezüglich der grauen Energie – noch deutliches Verbesserungspotenzial besteht. Aber in ihrem Grundsatz ging es in der Landschaftsarchitektur schon immer um Nachhaltigkeit, um die Verbesserung des Stadtraums, des Stadtklimas, um soziale Themen und damit auch das Wohlergehen der Menschen. In dem Sinn sind wir schon die «Guten», ja.

Wir beobachten, dass in den letzten Jahren wieder mehr gestritten wird um den öffentlichen Raum. Das ist gut so! Freiräume müssen verhandelt werden, immer wieder neu. Der Shutdown hat uns deutlich vor Augen geführt, wie wichtig öffentlich zugängliche Freiräume sind. In der Stadt Zürich waren die Parkanlagen an den Fluss- und Seeufern während Wochen abgesperrt, was die Menschen aufgewühlt hat und auch dazu führte, dass sie in die umliegenden Kulturlandschaften ausgewichen sind und diese regelrecht eingenommen haben. Das zeigt, wir müssen verstärkt die Diskussion über den öffentlichen Raum auch auf die Kulturlandschaften ausweiten.

Die Landschaftsarchitektur hat in den letzten 30 Jahren einen bemerkenswerten Aufstieg und Wandel durchlebt. Nun steht sie vor neuen, grossen Herausforderungen. Spüren Sie das bereits in Ihrer täglichen Arbeit im Büro?

Ja, das spüren wir sehr deutlich. Der Druck auf die Freiräume ist immens: Die Siedlungsentwicklung nach Innen bedrängt den Freiraum, gleichzeitig steigen die Ansprüche der Nutzerinnen und Nutzer, hinzu kommen die «neuen» Themen Biodiversität, Klimaanpassung und Wassermanagement. Auf der anderen Seite ist kaum Geld vorhanden. Der Freiraum soll alles leisten, aber niemand ist bereit, den Preis dafür zu bezahlen.

Für uns als junges Büro ist es trotzdem eine sehr spannende Zeit. Wir stehen auf den Schultern unserer Vorgängerinnen und Vorgänger, die die Landschaftsarchitektur dorthin gebracht haben, wo sie jetzt steht. Aber unsere Generation muss nun eigene Antworten auf die aktuellen Herausforderungen geben. Und diese Herausforderungen sind gewaltig! Die «Guten» zu sein ist eben auch eine Verpflichtung.

Zurzeit ist Landschaft in aller Munde, Landschaft ist beliebt bei den Leuten. Andererseits wird sie auch rücksichtslos ausgebeutet. Es gibt die «schöne» Schweiz, die über alles verehrt wird, und dann gibt es die «normale» Schweiz, die verbraucht wird. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Diesen Widerspruch gibt es nur in unseren Köpfen. Dort sitzt sie noch, die intakte Heidi-Welt. Wir werden von Kindesbeinen an mit diesen Bildern geflutet, und es wird sehr viel Geld ausgegeben, um den Schein dieses Bilds aufrechtzuerhalten. In der Realität verändern sich alle Landschaften – auch die vermeintlich «ewigen» Alpen. Die Gletscher schmelzen, der Permafrost weicht auf, die ganze Landschaft gerät in Bewegung. Extreme Kräfte wirken auf die Landschaften ein, menschliche Kräfte wie die Urbanisierung, aber auch die «Natur», wobei der Klimawandel ja auch von Menschen verursacht wird. Kaum jemand spricht über die Verwaldung und Verwilderung der Alpen. Das geschieht auch in der Schweiz, Tag für Tag.

Mich beschäftigt die Diskrepanz zwischen der schieren Grösse des Problems und der Bereitschaft, etwas zu tun. Ein progessiver Diskurs über den Wandel der Kulturlandschaft fehlt fast vollständig, trotz der hohen Relevanz des Themas.

Spielt das Thema der Wiederverwendbarkeit in der Disziplin oder bei Ihnen im Büro eine Rolle? Einerseits auf der Ebene des Materials, der Bestandteile, andererseits vielleicht auch auf der morphologischen, territorialen Ebene?

Wiederverwendung ist sozusagen Teil der DNA der Landschaftsarchitektur, zumindest sehen wir das in unserem Büro so. Wir fangen nie bei null an. Gerade öffentliche Räume haben immer einen vielschichtigen Kontext und werden nie total überschrieben. Es findet ein Weiterschreiben des Vorhandenen statt, sowohl metaphorisch als auch konzeptionell und konkret mit Material.

Wie viele andere Büros arbeiten wir gern mit Bildern und Typologien wie etwa «Park», «Hain» oder «Wald». Auch das ist eine Art Wiederverwendung. Wir stellen mittlerweile aber selbstkritisch fest, dass wir wohl zu sehr in diesen Bildern und Begriffen verhaftet sind. Für die kommenden Aufgaben brauchen wir ein neues Vokabular und neue systemische Ansätze, um den ohnehin stattfindenen Wandel aktiv mitzugestalten. Es ist an uns, Antworten darauf zu geben.

Daia Stutz nimmt an der Podiumsdiskussion «Terrains Vagues: Exploring new Fields» im Rahmen der Schweizer Biennale des Territoriums teil.

Schweizer Biennale des Territoriums: Re-use

Die dritte Ausgabe der «Biennale svizzera del territorio» (ehemals: Biennale i2a)  widmet sich vom 1. bis 3. Oktober dem Thema Re-use.

An drei Tagen werden bei Konferenzen, Ausstellungen, Filmvorführungen und Stadtspaziergängen zwischen Wissenschaftlern, Urbanisten, Architekten und Landschaftsarchitekten Projekte für die Wiederverwendung von Stadtteilen, Gebäuden und Brachflächen vorgestellt und diskutiert.

 

Informationen und Anmeldung:
www.biennale.i2a.ch

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